Formel 1 droht bei ihrer Lifestyle-Revolution 3 große Fehler zu machen

Natürlich war die USA der perfekte Schauplatz, um das mal zu machen: eine Pre-Race-Show, der Auftritt eines Musik-Superstars unmittelbar vor einem Formel-1-Rennen. Im texanischen Austin feierten die sogenannten "F1 Grid Gigs" mit Drake Milligan kürzlich ihre Premiere.

Ob's so etwas in der Formel 1 wirklich braucht? Aber ja! Findet zumindest: die Formel 1.

Formel 1 boomt: Netflix-Serie, Kino-Hit, Apple-Einstieg

Seit Alleinherrscher Bernie Ecclestone 2017 hinauskomplimentiert wurde, hat der Grand-Prix-Zirkus etliche Quantensprünge hingelegt. Unter der Regie des US-amerikanischen Unterhaltungskonzerns Liberty Media erhielt dieser elitäre, wiewohl angestaubte Sport eine frische Lackierung, und auf den Boliden blinken plötzlich die Buzzwords: Entertainment, Eventisierung, Digitalisierung.

Die Netflix-Serie "Drive to Survive" eröffnete ganz neue Märkte, ab 2026 hält ein Global Player wie Apple die exklusiven Streaming-Rechte in den USA; die Formel 1 soll dann Dauerthema sein, auf sämtlichen Diensten des Tech-Giganten. "Wir werden Teil einer sozialen Bewegung", raunt F1-Generalmanager Stefano Domenicali fast ehrfürchtig.

Formel 1 im Kino: Die Schauspieler Brad Pitt (l.) und Damson Idris (r.) mit Rekordweltmeister und Co-Produzent Lewis Hamilton bei der Filmpremiere
Formel 1 im Kino: Die Schauspieler Brad Pitt (l.) und Damson Idris (r.) mit Rekordweltmeister und Co-Produzent Lewis Hamilton bei der Filmpremiere Getty

Zuvor produzierte Apple bereits den Kino-Hit "F1 Movie" mit Hauptdarsteller Brad Pitt – es wurde der finanziell erfolgreichste Film seiner Karriere. Hollywood liegt jetzt in Silverstone, Spielberg oder Spa-Francorchamps.

Die Formel 1 war immer ein rasendes Mega-Business, aber nie war sie so wie heute: immens populär in der breiten Masse, nicht "nur" in ihrer Auto-Nische. Trotz hoher Ticketpreise sind die Rennen permanent ausverkauft, meist mit über 350.000 Menschen pro Wochenende. Der spannende WM-Dreikampf 2025 zwischen Lando Norris, Oscar Piastri und Max Verstappen? Gern genommen, aber kein Ausschlusskriterium.

Schumi-Zeiten lange vorbei: Formel-1-Fans sind heute jünger und weiblicher

Mit den Zeiten, in denen Michael Schumacher die Motorsport-Königsklasse prägte, hat sie nichts mehr zu tun. Alles ist anders. Am eindrücklichsten zeigt sich das an der Fan-Basis.

Im Vorjahr vermeldete die Formel 1 offiziell 827 Millionen Anhänger, ein Plus von 90 Millionen zu 2023. Die höchsten Zuwachsraten gab's demnach bei Jugendlichen, 43 Prozent der Fans sind unter 35 Jahre alt. Auf den eigenen Social-Media-Kanälen tummeln sich über 100 Millionen Follower (ein Plus von 21 Prozent), TikTok wächst am schnellsten.

Formel-1-Fans mit Papp-Gesichtern von Charles Leclerc und Carlos Sainz
Formel-1-Fans mit Papp-Gesichtern von Charles Leclerc und Carlos Sainz Getty

Moderne Formel-1-Piloten sind Gladiatoren der Rennbahn UND Ikonen für die Society. Allein Rekordweltmeister Lewis Hamilton hat 41,5 Millionen Instagram-Follower.

Das ist der Balanceakt, den die Formel 1 geschafft hat: Auf der einen Seite das überwiegend männliche Stammpublikum halten; zugleich neue, jüngere, vor allem auch weiblichere Zielgruppen erobern. 

Alles wunderbar in der Boxengasse? Die Antwort: ein klares Jein.

Formel 1 erwägt, an drei Grundfesten des Sports zu rütteln

Irgendwann endet jeder Boom. Und wer es schlecht meint mit den Expansions-, Umsturz- und sonstigen Plänen der Formel 1, der darf argumentieren: Inmitten ihrer Lifestyle-Revolution droht die Rennserie einem Irrtum zu erliegen. Wenn sie ihre DNA blind auf die Generation TikTok zuschneidet und damit ihren Markenkern gefährdet. Also ihr Herz.

Konkret erwägt die Formel 1, an drei Grundfesten zu rütteln.

  • Mehr Sprints: Die Gen Z hat's lieber kürzer

Die Einführung von Sprints, zusätzlichen Samstagsrennen über ein Drittel der Grand-Prix-Distanz, bildete 2021 einen ersten Tabubruch mit der Tradition. In der Saison 2025 sind sechs Sprints im Kalender, Tendenz steigend. F1-Boss Domenicali argumentiert mit den kürzeren Aufmerksamkeitsspannen der Gen Z: "Diejenigen, die mehr Action sehen wollen, bevorzugen ein Sprintwochenende."

Star in der Manege: Lando Norris nach seinem Sieg in Mexiko
Star in der Manege: Lando Norris nach seinem Sieg in Mexiko Getty

So simpel ist das nicht. "Mir ist klar, dass sich der Sport weiterentwickelt, aber wir sollten es nicht übertreiben", sagt Weltmeister Verstappen. Tatsächlich sind Sprints nicht lang, dafür oft langweilig. Sie bringen halt mehr Geld als ein Freies Training, deutlich. Und das rechnet sich. In ihrer Vorjahresbilanz wies die Formel 1 einen Umsatz von etwa drei Milliarden Euro (!) aus, Besitzer Liberty Media verbuchte knapp 681 Millionen Euro Gewinn.

  • Umgedrehte Startreihenfolge: Wäre das noch Sport?

Bisher wurde die Idee einer umgedrehten Startreihenfolge bei Sprints stets verworfen. Laut Domenicali steht dieses von Puristen verpönte Element nun wieder "auf der Agenda".

Eine umgedrehte Startreihenfolge würde bedeuten, dass die schnellsten Autos hinten losfahren und die langsamsten vorne. Wäre das noch ernstzunehmender Sport? "In dem Moment, in dem wir in Show und Hollywood abrutschen, verliert man als Sport insgesamt viel an Glaubwürdigkeit", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff schon vor Jahren.

  • Kürzere Rennen: Alonso zieht den Fußball-Vergleich

Der heikelste Punkt, den Domenicali in den Ring warf, ist ein Eingriff in die Grand-Prix-Gesetze: eine Verkürzung der Renndauer.

Die üblichen eineinhalb bis zwei Stunden seien "für ein jüngeres Publikum möglicherweise etwas zu lang", glaubt der Italiener. "Wir beobachten auf unseren Kanälen, dass Highlight-Clips sehr beliebt sind. Es gibt eine große Zielgruppe, die nur die wichtigsten Momente sehen möchte." Was allerdings auch damit zu tun hat, dass die Formel 1 zusehends im PayTV verschwindet und YouTube-Sequenzen kostenlos sind.

"Es gibt immer Momente der Ablenkung, aber niemand spricht davon, Fußballspiele auf 60 Minuten zu verkürzen", sagt PS-Veteran Fernando Alonso, ein alter Schumi-Rivale. "Es ist also kein Problem des Sports, sondern eines der Gesellschaft und der Kinder."

Und wer in der Mitte der Gesellschaft stattfinden will, sollte vermutlich aufpassen, dass die Rennstrecke keine Einbahnstraße wird. Oder noch schlimmer: eine Sackgasse.