Der Landkreis Unterallgäu stoppt die Reaktivierung der südlichen Staudenbahn vorerst, will das Projekt aber bei veränderten Bedingungen prüfen.
Unterallgäu – Mit einem klaren, aber nicht endgültigen Beschluss hat der Mobilitätsausschuss des Landkreises Unterallgäu die Reaktivierungsbemühungen für die südliche Staudenbahn zwischen Langenneufnach und Türkheim vorerst auf Eis gelegt. Grundlage war das von der Firma PTV Transport Consult GmbH erstellte Potenzialgutachten, das ein Fahrgastaufkommen von maximal 828 Personenkilometern pro Streckenkilometer prognostiziert – und damit unter der vom Freistaat geforderten Schwelle von 1.000 liegt.
Südliche Staudenbahn: Landkreis Unterallgäu stoppt Reaktivierung vorerst
Landrat Alex Eder betonte zu Beginn der Sitzung, man habe „alles versucht und sei am Ende des Möglichen angekommen“. In die Berechnungen seien sämtliche realistische Faktoren eingeflossen, „ohne rot zu werden“. Trotz der deutlichen Absage des bayerischen Verkehrsministeriums wolle man sich nichts vorwerfen lassen: „Wir können uns attestieren, alles unternommen zu haben.“
Hintergrund: Das 1.000er-Kriterium
Für eine Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken verlangt der Freistaat Bayern ein prognostiziertes Fahrgastaufkommen von mindestens 1.000 Personenkilometern pro Streckenkilometer und Werktag. Wird dieser Wert nicht erreicht, entfällt in der Regel die staatliche Finanzierung des Betriebs. Grundlage ist eine standardisierte Bewertung, die von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) angewendet wird. Ziel ist, wirtschaftlich tragfähige Bahnreaktivierungen zu fördern.Quelle: Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG)
Eder verwies auch auf die finanziellen Dimensionen: Für den nördlichen Abschnitt der Staudenbahn, der rund 13 Kilometer lang ist, stünden etwa 65 Millionen Euro im Raum. Übertragen auf die südliche Teilstrecke wären das nach seiner Einschätzung mindestens 150 Millionen Euro. Eine Reaktivierung sei damit nicht nur planerisch, sondern auch finanziell aufwendig.
Helmut Höld, beim Landratsamt zuständig für den Öffentlichen Personennahverkehr, erinnerte daran, dass der Ausschuss bereits im Dezember 2023 den Auftrag für das Gutachten beschlossen habe. Das Prognosemodell ziele auf das Jahr 2037 ab, erklärte Janna Ulrich von der PTV Transport Consult GmbH. Etwa die Hälfte der prognostizierten Fahrgäste seien Schülerinnen und Schüler. Besonders stark ausgelastet wäre der Abschnitt zwischen Türkheim Bahnhof und Türkheim Süd mit bis zu 2.580 Fahrgästen pro Werktag.
Wachler: „Keine voreilige Beerdigung des Projekts“
CSU-Landtagsabgeordneter Peter Wachler warnte in einem leidenschaftlichen Plädoyer davor, „ein Zukunftsprojekt aufzugeben, das seit über einem Vierteljahrhundert von den Menschen in den Stauden getragen wird“. Das Gutachten sei „keine Endstation, sondern eine Momentaufnahme“. Zudem sei die 1.000er-Grenze „kein Naturgesetz, sondern ein Bewertungsinstrument“. In Bayern gebe es Beispiele von Bahnstrecken, die trotz geringerer Prognosewerte erfolgreich reaktiviert wurden. „Die Staudenbahn ist kein Nostalgieprojekt, sondern eine Investition in die Zukunft unserer Region“, sagte Wachler. „Ich werde dem Beschlussvorschlag, die Reaktivierungsbemühungen einzustellen, nicht zustimmen.“
Auch Robert Sturm (CSU), Bürgermeister von Ettringen, sprach sich deutlich gegen ein Ende der Planungen aus. „Wenn wir das jetzt nicht weiterverfolgen, wäre das ein Tod aus der Mitte“, sagte er. Sturm erinnerte an die lange Geschichte der Bahnlinie, die 1908 in Betrieb ging, und warf dem Freistaat vor, Mobilitätsgelder zu stark auf München zu konzentrieren. „In Baden-Württemberg gibt es nicht diese starre Zahl. Wir hingegen sind flexibel wie Ambosse“, kritisierte er. Mit 828 Fahrgästen pro Kilometer sei die geforderte Mindestnachfrage nur knapp verfehlt.
Diskussion um Bewertung und Perspektiven
Helmut Scharpf (Grüne) hob hervor, dass laut Gutachten bei einer Gesamtbetrachtung der nördlichen und südlichen Staudenbahn ein höheres Potenzial erreicht werden könnte. Gutachterin Ulrich entgegnete, dass für eine solche Betrachtung ein neues, drittes Gutachten nötig wäre.
Christian Fröhlich (ÖDP-BfU) hielt dagegen, man müsse die klare Aussage des Ministeriums anerkennen: „Das Potenzial ist nicht da – das ist unsere Entscheidungsgrundlage.“ Josef Diebolder (Freie Wähler) plädierte dafür, das Thema zwar nicht zu überhöhen, aber offen zu halten.
Kompromiss im Beschluss
Nach intensiver Diskussion entschied der Ausschuss, das Ergebnis des Potenzialgutachtens „zur Kenntnis zu nehmen“. Gleichzeitig wurde der ursprüngliche Beschlussvorschlag abgeschwächt: Die Bemühungen zur Reaktivierung der südlichen Staudenbahn werden momentan nicht weiterverfolgt, der Landkreis will jedoch beobachten, wie sich die Reaktivierung des nördlichen Abschnitts (Gessertshausen–Langenneufnach) entwickelt und ob der Freistaat künftig von seinem 1.000er-Kriterium abrückt.
Entwicklung bleibt im Blick
Landrat Eder fasste zusammen: „Mit der aktuellen Situation gibt es keine Spielräume. Vielleicht ändert sich irgendwann etwas an den Grundvoraussetzungen.“ Damit zieht der Landkreis zwar die Bremse – aber nicht endgültig. Sollte sich das 1.000er-Kriterium lockern oder der nördliche Abschnitt deutlich mehr Fahrgäste anziehen, könnte die Diskussion um die Staudenbahn-Süd wieder Fahrt aufnehmen.
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