Geflohen vor Putin: Pushbacks an Finnlands Grenze zu Russland sorgen für Empörung

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Finnland hat seine Grenzen zu Russland geschlossen. Ein Gesetz soll dieses Vorgehen in Stein meißeln. Von NGOs und aus der Politik kommt Widerspruch.

Helsinki - Finnland plant in Zukunft, Menschen aus Russland nicht mehr über die Landesgrenze zu lassen - auch wenn es sich um Asylsuchende handelt. Nächste Woche soll ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt werden. Begründet wird dies mit einer möglichen Instrumentalisierung der Zuwanderung im Rahmen einer hybriden Kriegsführung Russlands. Derweil ist sich die deutsche Politik in der Bewertung des finnischen Vorstoßes uneins.

Bereits Mitte Dezember letzten Jahres schloss Finnland alle acht Grenzübergänge zu seinem östlichen Nachbarn, weil seit dem Sommer rund 1300 Asylbewerber und Migranten ohne Papiere angekommen waren. Die finnischen Behörden beschuldigen den Kreml, die Asylsuchenden zu ermutigen, die gemeinsame Grenze zu überqueren, um das Land zu destabilisieren. Es sei ein „hybrider Angriff“, den Helsinki als Moskaus Vergeltung dafür ansieht, dass es mit dem Beitritt zur Nato die jahrzehntelange militärische Blockfreiheit aufgegeben hat.

„Keine Anzeichen dafür, dass Russland sein Verhalten ändert“ - bedroht Putin Finnlands nationale Sicherheit?

Während die politische Klasse Finnlands das Thema in den Vordergrund rückte - es wurde zu einem der Hauptdiskussionsthemen während der jüngsten Präsidentschaftswahlen - hatte es auf das Leben eines Großteils der Bevölkerung kaum spürbare Auswirkungen. Doch für viele der 93.000 russischsprachigen Finnen - darunter etwa 38000 finnisch-russische Doppelbürger - hat die Schließung der Grenze sie von ihren Familien und anderen Bindungen zu ihrem Heimatland getrennt und das Gefühl geschürt, nicht willkommen zu sein. Das berichtet die unabhängige russische Zeitung The Moscow Times.

 Finnlands Innenministerin Mari Rantanen will die Grenzen dauerhaft schließen.
 Finnlands Innenministerin Mari Rantanen will die Grenze zu Russland dauerhaft schließen. © IMAGO/Roni Rekomaa

Im Januar verlängerte Finnland die Schließung der Grenze bis mindestens zum 14. April und erklärte, es sehe „keine Anzeichen dafür, dass Russland sein Verhalten ändert“. Laut den finnischen Grenzbehörden warten noch immer 3000 Asylbewerber, die größtenteils aus dem Nahen Osten und Afrika stammen, auf eine Öffnung der Grenze. Sie beschuldigen Russland, die Geflüchteten gezielt zur Grenze zu schleusen und sie dafür mit Geld, Lebensmitteln, Unterkünften oder Transportmitteln zu versorgen. Die finnische Regierung bezeichnete den Zustrom der Ankömmlinge daher als „ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung“.

Von Russland bei der Flucht geholfen - Trotzdem gelten Menschenrechte „für jeden einzelnen“

Laut dem stellvertretenden Abteilungsleiter des finnischen Grenzschutzes in Helsinki, Marek Saareks, liegen der Behörde Informationen vor, „dass es im Raum St. Petersburg Tausende von Personen gibt“, die darauf warten, so nach Finnland kommen zu können. Das schreibt Euronews. Ein Marokkaner, der auf diesem Weg ins Land kam, scheint dir Befürchtungen der Grenzschutzbehörde zu bestätigen. Gegenüber dem Portal sagte er, die russische Polizei und die Armee hätten bei seiner Flucht „geholfen“.

Trotzdem kritisieren Menschenrechtsorganisationen die Grenzschließung scharf. „Wir haben Menschenrechte, die für jeden einzelnen Menschen gelten. Und die Regierung hat die Pflicht, diese Rechte zu respektieren“, so Pargol Miraftab, ein Rechtsberater von Amnesty Finnland gegenüber Euronews. Eine Vereinigung finnisch-russischer Doppelstaatsbürger habe sogar rechtliche Schritte eingeleitet. Die finnische Bevölkerung sei hingegen größtenteils einverstanden - laut aktuellen Umfragen befürworten demnach 80 Prozent der Finnen einer Schließung der Grenze zu Russland.

SPD und Grüne lehnen Migrationsbeschränkungen ab - hat nationalen Sicherheit „immer Priorität“?

Laut dem Portal erscheint das Vorhaben einigen Beobachtern als weiterer Schritt der rechts-konservativen Regierung hin zu einer Verschärfung ihrer Migrationspolitik. Finnlands Innenministerin Mari Rantanen verteidigte den Schritt gegenüber der Welt am Sonntag hingegen als essenziell für die Wahrung der nationalen Sicherheit. Diese habe „immer Priorität, und das ist auch mit EU-Recht vereinbar“. Gleichzeitig plädierte sie für eine Neubewertung des EU-Zurückweisungsverbots. Man müsse „die entsprechenden internationalen Abkommen ändern“, auch auf EU-Ebene. Nur so könne Europa das Grundrecht auf Asyl wirklich schützen.

Was ist das EU-Zurückweisungsverbot (Non-Refoulement-Prinzip)?

Der Grundsatz der Nichtzurückweisung ist ein grundlegendes Prinzip im internationalen und europäischen Asylrecht. Er verbietet es Staaten, Personen an der Grenze abzuweisen oder zurückzuweisen, die Schutz suchen und möglicherweise Anspruch auf Asyl haben. Dieser Grundsatz ist auch als „Non-Refoulement-Prinzip“ bekannt.

Das Prinzip ist in verschiedenen internationalen Abkommen verankert, darunter die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Zusatzprotokoll von 1967. Es verbietet die Rückführung von Personen in Länder, in denen ihnen Verfolgung, Folter oder andere ernsthafte Menschenrechtsverletzungen drohen.

In der Europäischen Union (EU) ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung ebenfalls ein zentrales Element der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik. Er stellt sicher, dass Menschen, die Schutz suchen, die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen, und dass ihre Anträge fair und individuell geprüft werden.

Einige deutsche Politiker zeigen Verständnis für das Vorhaben, doch es hagelt auch Kritik. „Wer europäische Grenzen erreicht, hat ein Recht auf anständige Behandlung. Es muss möglich sein, Asylanträge zu stellen“, sagte der SPD-Migrationsexperte Lars Castellucci der Welt am Sonntag. Die Grünen sind ebenfalls überzeugt, dass Schutzsuchende „grundsätzlich nicht ohne Prüfung des Asylgesuchs an den EU-Außengrenzen zurückgewiesen werden“ dürfen, so Julian Pahlke gegenüber dem Blatt. Pahlke ist asylpolitischer Sprecher der Partei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe das wiederholt bestätigt. Auch mit den Reformen des europäischen Asylsystems und den Regelungen zur Instrumentalisierung seien Pushbacks unvereinbar.

Zuspruch erhält Finnlands Regierung von Politikern der Union. Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP im EU-Parlament, signalisierte gegenüber der Zeitung Unterstützung. Zwar stehe man zum Asylrecht, die EU dürfe sich von Wladimir Putin „aber nicht erpressen lassen“. Die russische Beihilfe zur Migration sei „ein weiterer Beleg dafür, dass wir mitten in diesem Konflikt sind“, so Weber gegenüber der Zeitung. Auch Philipp Amthor (CDU) legte in dem Bericht dar, dass für ihn „die finnischen Erwägungen nicht nur plausibel, sondern ausdrücklich unterstützenswert“ sind. Eine Überwindung von Staatsgrenzen dürfe „nicht allein unter dem Vorbehalt eines Asylantrages stehen, sondern muss auch durch Vorbehalte staatlicher Interessen begrenzt werden.“ (tpn)

Auch interessant

Kommentare