Wer hat Merz ins Chaos gestürzt? CDU und SPD suchen die Abweichler
Friedrich Merz scheitert bei der Wahl zum Bundeskanzler im ersten Wahlgang, weil in der schwarz-roten Koalition nicht alle mitziehen. Wer waren die Abweichler? Eine Spurensuche.
Berlin - Es ist vollbracht: Auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Scheitern der Ampel-Koalition hat Deutschland wieder eine voll handlungsfähige Bundesregierung, und zwar eine schwarz-rote aus CDU/CSU und der SPD.
Niederlage für Bundeskanzler Friedrich Merz: CDU-Mann scheitert im ersten Wahlgang
Aber: Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) scheiterte an diesem Dienstag (6. Mai) im ersten Wahlgang im Deutschen Bundestag. Es herrschte Riesen-Ernüchterung bei den künftigen Regierungsparteien, und das international viel beachtet. Die New York Times schrieb von einem „ernüchternden Rückschlag“ für Merz, während Deutschland zunehmend unter Druck gerate.
Der Schweizer Blick kommentierte, es sei der „allerdümmste Moment“, um Merz schon vor Regierungsantritt derart den Rückhalt zu entziehen. Bleibt die Frage: Wer hat es trotzdem getan? 316 Ja-Stimmen hätte der Sauerländer von 328 möglichen aus der Union und der SPD gleich am Anfang gebraucht - es wurden nur 310. Wer waren die Abweichler?

Abweichler in CDU und SPD: Alexander Dobrindt will „keine Spurensuche“
Namen sickerten bis zum frühen Dienstagabend nicht durch. Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte „keine lange Spurensuche“, denn diese „würde nur zu Misstrauen führen“, meinte der Oberbayer im Interview mit ntv. „Der Eine oder Andere“ habe wohl „gedacht, man könnte bisschen was ausprobieren, sagte er, aber die Abgeordneten hätten „die Situation nicht ganz verstanden“. Dobrindt: „Da lag man mit Sicherheit daneben.“ Er finde „es nicht verantwortlich, für jene, die da mitgestimmt haben“, erklärte er und meinte jene, die aus der zukünftigen schwarz-roten Koalition anfangs mit Nein gestimmt hatten. Sein Parteichef Markus Söder meinte, dass Deutschland Stabilität wie nie brauche.
„Deswegen ist es so wichtig, keine Spielchen, keine Denkzettel auszustellen, alte Rechnungen zu begleichen, sondern daran zu denken, was für alle auf dem Spiel steht“, erklärte der Franke nach dem ersten gescheiterten Merz-Wahlgang der Union. Die Denkzettel-Theorie womöglich enttäuschter Parteimitglieder aus der CDU machte in der Hauptstadt schnell die Runde. „Mein Eindruck ist, dass vielen nicht so ganz klar war, was sie auslösen mit einer Stimme der Enttäuschung oder des Denkzettels. Die haben gedacht, da kommt gleich der zweite Wahlgang hinterher“, sagte der CDU-Politiker Mathias Middelberg bei Phoenix: „Viele haben sich danach gewundert, dass sie damit ein Wahlprocedere auslösen, das sich über mehrere Tage hinstrecken kann.“
Ich finde es nicht verantwortlich, für jene, die da mitgestimmt haben.
Kanzlerwahl von Friedrich Merz: Erster Wahlgang bringt nicht erforderliche Mehrheit
Brisant: Laut der sogenannten Koalitionsdisziplin, einem ungeschriebenem Gesetz im Parlament, wären eigentlich alle 328 Abgeordnete von CDU, CSU und SPD aufgerufen gewesen, wie abgemacht für Merz zu stimmen. Insgesamt 307 von 630 Abgeordneten hatten anfangs gegen Merz gestimmt, drei enthielten sich und eine Stimme war ungültig. Gleich neun Parlamentarier waren zu dieser überaus wichtigen Abstimmung erst gar nicht erschienen, da nur 621 Stimmen abgegeben wurden. Doch: Wer soll innerhalb der Union Interesse an einem Merz-Denkzettel gehabt haben? Die oft als Merkel-Anhänger umschriebenen linksliberaleren Abgeordneten aus der CDU, die die teils sehr konservative Politik des neuen Bundeskanzlers ablehnen?
Am Dienstagabend war das letztlich alles Spekulation. Die Abstimmung erfolgte schließlich geheim und kein einziger Parlamentarier hatte sich öffentlich für zum Bruch der Koalitionsdisziplin bekannt, ehe die Koalition offiziell überhaupt zustande gekommen war. Laut Spiegel könnte es auch innerhalb der SPD-Fraktion Abweichler gegeben haben, obwohl der neue Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil bekräftigte, seine Leute hätten schon im ersten Durchgang geschlossen für Merz als neuen Regierungschef gestimmt.
Schwarz-rote Koalition: Stimmten Klingbeil-Gegner aus der SPD gegen Friedrich Merz?
Der Analyse zufolge ist nicht unwahrscheinlich, dass Klingbeil-Gegner anfangs gegen Merz und damit gegen die neue schwarz-rote Bundesregierung gestimmt haben, der sie künftig selber als Teil der Bundestagsfraktion angehören werden. Schließlich hatte Klingbeil seine Machtfülle in den vergangenen Wochen parteiintern enorm gesteigert, bisherige Regierungsmitglieder bis auf Verteidigungsminister Boris Pistorius bei der Formierung des neuen Kabinetts nicht berücksichtigt und die Co-Vorsitzende Saskia Esken regelecht ausgebootet. (pm)