Bürgergeld von 3.368 Euro im Monat? Wie Boris Palmer darauf kommt - und was Empfänger wirklich erhalten

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Boris Palmer hat seinen Bürgergeldanspruch ausgerechnet – und konnte es nicht fassen. Dabei sind 3.368 Euro im Monat für eine vierköpfige Familie nicht repräsentativ.

Für den Oberbürgermeister einer Kleinstadt hat es Boris Palmer zu ziemlich viel Öffentlichkeit gebracht. Aktuell treibt Palmer das Bürgergeld um. Um zu veranschaulichen, dass das viel zu hoch sei und arbeiten sich kaum noch lohne, hat der Tübinger OB ausgerechnet, was ihm zustehen würde. Das Ergebnis: 3.368 Euro im Monat. Daran regt sich Kritik. „Das Beispiel von Boris Palmer ist realitätsfern und hat nichts mit der Lebensrealität von Menschen im Bürgergeldbezug zu tun“, kritisierte der Paritätische Gesamtverband auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Aber wie sieht diese Lebensrealität aus?

Mit dem Bürgergeld sollen die Kosten für Essen und Trinken, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Strom und persönliche Bedürfnisse abgedeckt sein. Das Bürgergeld ist dafür gedacht, dass das Existenzminimum von Bedürftigen gesichert wird, so hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden. Daran kann nicht gerüttelt werden, weil andernfalls der Schutz der Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip angegriffen würden. Beide Grundgesetzartikel können nicht verändert werden, nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit.

Bürgergeld steigt am 1. Januar 2024

Etwa 5,5 Millionen Menschen bezogen laut der Bundesagentur für Arbeit im Juli 2023 Bürgergeld. Das Bundesministerium für Arbeit (BMAS) überprüft jährlich die Bürgergeldsätze und passt sie nach einer festen Berechnungsformel an. Entscheidend ist dafür die Preisentwicklung und zu einem kleineren Teil die Entwicklung der Netto-Löhne. Zum 1. Januar 2024 wird das Bürgergeld um rund zwölf Prozent erhöht. Für die Auszahlung des Bürgergeldes sind die örtlichen Jobcenter zuständig. 

Bedürftige Menschen bekommen Lebensmittel von der Tafel.
Bedürftige Menschen bekommen Lebensmittel von der Tafel. © Rolf Vennenbernd/dpa

Zu dem Regelbedarf – für einen kinderlosen Erwachsenen 502 Euro (ab 1. Januar 563 Euro), mit Kindern sind es 451 Euro (ab 1. Januar 506 Euro) – kommen weitere Beiträge für Kinder. Dabei steigt mit jedem Kind der Zuschuss – von 318 Euro (bis fünf Jahre, ab 1. Januar 357 Euro) auf 348 Euro (bis 13 Jahre, ab 1. Januar 390 Euro) und 420 Euro (bis 17 Jahre, ab 1. Januar 471 Euro). Dazu werden die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen, soweit sie angemessen sind. Die Jobcenter orientieren sich am Niveau der Mieten auf dem örtlichen Wohnungsmarkt. Im August 2023 betrugen die durchschnittlichen Kosten der Unterkunft für Bedarfsgemeinschaften mit vier Personen nach Angaben der Bundesagentur monatlich 842,66 Euro.

Alleinerziehend, Familie, Single: Das bekommen Bürgergeldempfänger

Was Berechtigte genau bekommen, wird individuell berechnet und richtet sich nach dem jeweiligen Bedarf. Insofern ist es nicht ganz einfach, Beispielrechnungen aufzustellen. Für eine vierköpfige Familie (ein Kind ist fünf Jahre alt, ein Kind ist acht Jahre alt), deren Miete 700 Euro beträgt, beläuft sich der Bürgergeldanspruch auf 2268 Euro im Monat – abgezogen wird das Kindergeld, weswegen am Ende 1768 Euro bleiben. Anderes Beispiel: Für ein kinderloses Paar mit einer Miete von 530 Euro im Monat und einem monatlichen Netto-Erwerbseinkommen von 520 Euro, das auf das Bürgergeld angerechnet wird, liegt der Anspruch bei 1096 Euro.

Nimmt man eine alleinerziehende Mutter, die eine durchschnittliche Miete zahlt und zwei Kinder zwischen sieben und 15 Jahren hat, liegt der Gesamtbedarf bei 2079 Euro. Von diesem Betrag werden das Kindergeld in Höhe von 500 Euro sowie der Unterhaltsvorschuss abgezogen. Am Ende bleiben 1225 Euro. Das gilt allerdings nur, wenn die Kinder ausschließlich bei der Mutter sind. Entscheiden sich die Eltern für das Wechselmodell, bekommt man das Geld nur für die Tage, in denen die Kinder auch wirklich dort sind.

„Herr Palmer rechnet offenbar mit einer Miete von deutlich über 2000 Euro“

Klar ist: Je teurer die Wohnregion, desto mehr kostet die Miete, und somit steigt auch das Bürgergeld. Leben zum Beispiel in einem städtischen Haushalt die Eltern mit zwei Kindern, die drei und fünf Jahre alt sind und deren Miete monatlich 850 Euro beträgt, liegt der monatliche Gesamtbedarf bei 2488 Euro. Nach Abzug des Kindergelds bleiben 1988 Euro. Mit am meisten Bürgergeld dürfte es in München geben. Dort kommt eine Familie mit einem Kind auf 2577 Euro im Monat, einem Single stehen 1358 Euro zu.

Weil jeder Einzelfall unterschiedlich gelagert ist, kommt die Caritas, mit deren Rechner Boris Palmer seinen Bürgergeld-Anspruch ermittelt hat, zu einem eindeutigen Fazit: „Auf individuelle Zahlen zu schauen, empfinden wir in dieser Debatte als wenig zielführend“, hieß es auf Anfrage unserer Redaktion.

Wie konnte Palmer auf 3368 Euro kommen? „Herr Palmer rechnet offenbar mit einer Miete von deutlich über 2000 Euro für seinen Haushalt“, sagt der Paritätische Gesamtverband dazu. Und weiter: „Mieten in dieser Höhe werden nur ausnahmsweise gemäß § 22 SGB II im Rahmen einer Karenzzeit von einem Jahr übernommen, ein solcher Anspruch bestünde deshalb nur vorübergehend. Herr Palmer rechnet hier mit der absoluten Ausnahme von der Regel, an der Lebensrealität von Bürgergeldberechtigten gehen die Zahlen weit vorbei.“

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