Berlin ist spitze. Und das nicht nur, was die Einwohnerzahl, die Partyszene und die Sehenswürdigkeiten anbelangt: Die Mitarbeiter, die für die Hauptstadt im öffentlichen Dienst tätig sind, sind auch besonders häufig krank. Jeder von ihnen fehlt im Schnitt in einem Jahr insgesamt Tage 36,8 Tage lang krankheitsbedingt. Etwa die Hälfte der 135.000 Beschäftigten ist verbeamtet, wie die örtliche Finanzverwaltung auf Anfrage von FOCUS online bestätigt.
Die Finanzverwaltung präzisiert, dass es sich beim Durchschnittswert von 36,8 Tagen um Kalendertage handelt. Das bedeutet, dass Wochenenden und Feiertage mitgezählt werden.
Viele Krankentage: So wehrt sich der Beamtenbund
Zieht man von den 36,8 Tagen zwei Wochenend-Tage pro Woche ab, kommt man trotzdem noch auf 26,3 Fehltage. Das sind über fünf Wochen pro Mitarbeiter im Jahr. Zum Vergleich: In Hamburg kam ein Mitarbeiter im öffentlichen Dienst im Jahr 2023 im Schnitt auf 21,5 Fehltage.
Der Berliner Wert liegt ebenso über dem Bundesdurchschnitt. Nach Daten des Dachverbands der Betriebskrankenkasse (BKK) waren Beschäftigte 2024 im Durchschnitt an 22,3 Arbeitstagen krankgemeldet. Egal, ob sie im öffentlichen Dienst arbeiten oder nicht. Für den Bereich öffentliche Verwaltung lag der gesamtdeutsche Wert 2024 bei 25,5 Fehltagen, so der Dachverband BKK.
Die Statistik fallen auch die, die sich besonders lange krankschreiben lassen. In Nordrhein-Westfalen sorgten zwei Fälle für Schlagzeilen: Eine Lehrerin ist seit 16 Jahren krankgeschrieben und wehrt sich vor Gericht gegen eine amtsärztliche Untersuchung. In einem zweiten Fall trat ein krankgeschriebener Lehrer in zwei Kochshows auf und gewann.
Zurück in die Hauptstadt: Im Berliner Bezirk Mitte fallen die Mitarbeiter besonders häufig aus, wie aus der Statistik der Finanzverwaltung hervorgeht: Hier kommt ein Mitarbeiter auf 46,5 Gesamt-Krankentage im Jahr. Mit Blick auf die ganze Stadt gibt es auffällig viele Krankmeldungen im Bereich Parkraumbewirtschaftung mit 77,3 Tagen pro Mitarbeiter und Jahr. In den Justizvollzugsanstalten und in den Ordnungsämtern meldet sich ein Beschäftigter durchschnittlich an die 50 Tage krank.
Handwerker: "Leute im öffentlichen Dienst sind gerne mal krank"
Tobias Schröder leitet in Berlin einen Betrieb für Sanitär- und Heizungstechnik. Für ihn selbst oder seine acht Angestellten wäre es undenkbar, so lange zu fehlen. "Ich habe einen Gesellen, der ist über 60 und war in diesem Jahr noch nicht einmal krank", sagt er FOCUS online. Er selbst habe schon mit Fieber gearbeitet.
"In der Verwaltung können Akten vielleicht drei Wochen liegenbleiben und werden dann später bearbeitet", sagt er. "Mit einem kleinen handwerklichen Betrieb, wo du Kunden und Aufträge hast, geht das nicht. Als Chef kannst du nicht ausfallen. Und wenn du ausfällst, musst du dich gut vertreten lassen."
"Mitarbeiter, der so lange ausfällt, können wir uns nicht leisten"
Tobias Schröder formuliert es vorsichtig: "Es gibt schon die Vermutung, dass Leute, die im öffentlichen Dienst sind, gerne mal krank sind." Aber er möchte auch niemandem unrecht tun. "Wir leben in einer Zeit, in der Erkrankungen wie Depressionen zunehmen. Darüber zu reden, ist immer noch ein Tabu. Es gibt Menschen, die sind nicht belastbar, die haben Probleme und brauchen die Auszeiten."
Hätte er solche Mitarbeiter in seinem Betrieb, würde er Modelle entwickeln, um ihnen zu helfen und sie zu integrieren, sagt Schröder. Dennoch meint er: "Einen Mitarbeiter, der so lange ausfällt, das könnten wir uns nicht leisten. Der hätte bei uns keine Zukunft."
Auch der Betreiber der Berliner Kiezkneipe "Pankena" kann sich nicht vorstellen, so lange krank zu sein. Etwas ungläubig sagt er FOCUS online: "Du darfst eigentlich nicht ausfallen, du musst immer auf dich aufpassen. Natürlich bin ich auch mal krank, aber denke immer an meine Gäste."
Krankenstand in Berliner Verwaltung: Jeder ist über 5 Wochen krank
In die Berliner Krankenstatistik fallen auch die Beschäftigten von Polizei und Feuerwehr. Beide kommen auf über 40 Krankentage pro Mitarbeiter. Beide klagen seit Jahren über zu hohe Belastung und zu wenig Einsatzfahrzeuge. Sie arbeiten in einer Millionenstadt, in der es regelmäßig Tötungsdelikte und durchschnittlich etwa 30 Demos pro Tag gibt. Die Polizeigewerkschaften appellieren permanent an die Politik. "Wir sehen anhand der seit Jahren extrem hohen Krankenstände, dass insbesondere Polizei und Feuerwehr in dieser Stadt immer weiter auf Verschleiß gefahren werden", so Gewerkschaftssprecher Benjamin Jendro.
Der Beamtenbund (dbb) wehrt sich gegen das Vorurteil, dass Beamte gerne mal blau zu machen. "Unsere Beschäftigten haben einen sehr hohen Altersdurchschnitt. Wer als junger Mensch gerne am Wochenende einspringt oder Überstunden macht, kann das, wenn er älter ist, vielleicht nicht mehr", sagt der Berliner dbb-Vizechef Thomas Goiny FOCUS online.
Berlins Sozialsenatorin wollte die Vier-Tage-Woche
Der Krankenstand steige auch deswegen, weil weniger Menschen mehr Arbeit machen müssten, so Goiny. 400 von 800 Stellen seien in den Ordnungsämtern nicht besetzt. Von den 135.000 gehen in den nächsten Jahren 40.000 in Rente. Sein Vorschlag: Mitarbeiter bräuchten Lob und Anerkennung von ihren Chefs, um den öffentlichen Dienst auch für den Nachwuchs attraktiver zu machen. "Eine Mail zu Weihnachten reicht da nicht."
Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hatte vor zwei Jahren die Idee, eine Vier-Tage-Woche in der Verwaltung einzuführen. FDP-Landesvorsitzender Christoph Meyer kann sich noch gut an den Vorschlag erinnern. Im Hinblick auf den hohen Krankenstand hält er das auch jetzt für keine gute Idee. Meyer sagt FOCUS online: "Termine in Berliner Bürgerämtern sind Mangelware, so dass KFZ-An- und Ummeldungen, Passdokumente oder auch die Beantragung einer Geburtsurkunde teilweise Monate dauern."