„Dieser Krieg ist sinnlos“: Russlands Soldaten geben auf dem Rückweg zur Ukraine-Front düsteren Einblick

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Erschöpfung prägt die Stimmung von Russlands Soldaten. Die Motivation im Ukraine-Krieg schwindet. Trotzdem halten sich hartnäckige Propagandafloskeln.

Cherson – Der Ukraine-Krieg hinterlässt bei allen Soldaten Narben, die tiefer gehen als sichtbare Wunden – auch auf russischer Seite. Eine Interview-Reportage der Moscow Times gab Einblicke in die schwermütige Stimmung in Russlands Militär, bei denen von Kriegsmotivation nicht mehr viel zu sehen ist. Zwischen Erschöpfung und Desillusion zeigt sich bei den Soldaten im Zug auf dem Weg zur Frontlinie in der Ukraine jedoch immer wieder ein hartnäckiges Leitmotiv: die russischen Propagandafloskeln, mit denen der Krieg legitimiert wird.

„Krieg gegen die Ukrainer zu führen ist hart“, sagte der 40-jährige Berufssoldat Dima, dessen Namen für die Reportage geändert wurde. Er war bereits in Syrien stationiert und kämpfte nun nahe Cherson im Süden der Ukraine. „Es ist, als ob wir gegen einige unserer eigenen Leute kämpfen.“ Viele seiner ukrainischen Verwandten kämpfen aufseiten der Ukraine und Dima hofft, sie nicht im Kampf zu sehen. Seine Frau und seine vier Kinder hat er in den letzten zwei Jahren kaum gesehen.

Ein Soldat während eines Kampfeinsatzes der Truppen der russischen Heeresgruppe Süd
Einige russische Soldaten geben in einem Interview einen Einblick in ihre Erfahrungen. © IMAGO/ITAR-TASS/Alexander Reka

„Fordern unser historisches Land zurück“: Putins Propaganda fruchtet trotz Verbindung zur Ukraine

Eines Tages nahm seine Einheit einen ukrainischen Soldaten gefangen. „Ehrlich gesagt, fühlte ich mich wirklich schlecht“, sagt Dima. „Er sagte, er wolle nicht kämpfen, und ich wollte auch nicht gegen ihn kämpfen.“ Der Berufssoldat schilderte, dass er für den Fall seiner eigenen Gefangennahme immer eine Granate an seinem Gürtel hätte – er würde sich lieber in die Luft sprengen, statt gefoltert zu werden.

Gleichzeitig zeigte sich auch bei Dima die Meinung, dass die Ukraine nie ein souveräner Staat gewesen sei: „Wir fordern unser historisches Land zurück.“ Er fügte auch hinzu: „Russland wird nicht weiter vorstoßen, es sei denn, die Nato-Länder greifen uns an.“ Auch wenn von den Berichten der Soldaten deutlich wird, dass die Energie nachlässt, ist sich Dima sicher: „Am Ende werden sie es sein, denen die Energie zuerst ausgeht.“

Es sind Floskeln, die so auch immer wieder in Kreisen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorkommen. Auch wenn der Krieg in der Ukraine scheint bei vielen Soldaten die Legitimation der sogenannten „militärischen Sonderoperation“ weiterhin zu funktionieren. Die Soldaten machen weiter, auch wenn es körperlich und mental einiges abverlangt.

Gewagte Offensiven und bleibende Wunden fordern ihren Tribut bei Soldaten Russlands

Ein anderer Soldat, hier Pavel genannt, meldete sich freiwillig, nachdem ukrainische Soldaten Verwandte im Krieg getötet hatten. Auch er war im Interview der Meinung, Russland würde den Krieg gewinnen. Trotzdem blieb er bei seiner Aufgabe im Militär, der Planung von Offensiven, laut eigenen Aussagen nicht ungeschädigt.

Manchmal müsse er Soldaten dort auch in einen Angriff mit geringen Überlebenschancen schicken, um von einer Hauptoffensive abzulenken, so berichtete Pavel. „Ich kann es den Männern nicht sagen, sonst würden sie nicht mit der Hoffnung auf einen Sieg kämpfen“, schilderte er. „Und nach all dem schläfst du nicht mehr gut.“

Ein weiterer Soldat zeigte im Speisewagen seine Schusswunde im Brustkorb, die noch nicht ganz verheilt war. „Ich werde es wahrscheinlich diesmal nicht schaffen“, sagte er, nachdem er erzählt hatte, dass er bald wieder an die Front müsse. Einige der Soldaten im Wagen waren sichtbar betrunken.

Ukraine-Krieg „sinnlos“: Russlands Militär verliert massenweise Soldaten

„Viele junge Leute, die ich kannte, sind tot, sie waren noch nicht einmal 30 Jahre alt“, schilderte der hier Yegor genannte Soldat, der in der sogenannten Teilmobilisation Russlands von 2022 einberufen wurde. Einige Soldaten berichteten von hunderten Toten jeden Tag und von gnadenlosen Drohnenangriffen, wie sie bereits zuvor geschildert wurden. „Nur wenige von uns, die mobilisiert wurden, sind übrig geblieben“.

Yegor, der bei einer früheren Mission eine Beinverletzung erlitt, kaufte sich von den drei Millionen Rubel Kompensation ein neues Haus. Allerdings musste er kurz danach wieder an die Front, trotz bleibender Schäden und einer posttraumatischen Belastungsstörung. „Wenn ich nicht fünf Jahre Gefängnis wegen Desertion riskieren würde, würde ich jetzt aus dem Zug steigen und nach Hause gehen, sogar zu Fuß“, erklärte er. „Dieser Krieg ist sinnlos“. (lismah)

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