Über 15 Jahre krank, volles Lehrergehalt: Der Fall Anna M. wirft neue Fragen auf

Purer Zufall führte zu einer Lehrerin, die seit über 15 Jahren aus angeblichen Gesundheitsgründen die Schule schwänzte. Nirgends fiel auf, dass Anna M. (Name geändert) seit 2009 auf Grund einer vermeintlichen psychischen Erkrankung keinen Unterricht am Berufskolleg in Wesel mehr erteilte. 

Dennoch kassierte die Studienrätin aus Duisburg weiterhin jeden Monat ihre Bezüge. Bei Beamten ihrer Stufe liegt das Gehalt zwischen 5000 und 6100 Euro brutto. 

Im Frühjahr 2025, so FOCUS-online-Recherchen, fällt die Akte der Langzeitkranken auf den Tisch einer neuen Sachbearbeiterin bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass die Lehrerin Anna M. in all den Jahren ihre Fehlzeiten auf Atteste von Ärzten der Psychiatrie stützte. 

Atteste von Ärzten der Psychiatrie

Demnach litt sie unter einer seelischen Erkrankung, die sich dienstunfähig machte. Ein Amtsarzt hat nie ihren wahren Gesundheitszustand untersucht. Obwohl dies laut Beamtenrecht längst hätte geschehen müssen. 

Umgehend ordnete die neue Sachbearbeiterin bei der Schulaufsicht der Bezirksregierung Düsseldorf im April an, das Versäumnis nachzuholen und die Lehrerin endlich durch einen Amtsarzt begutachten zu lassen.

Anna M. klagte gegen die Anordnung. Tenor: Nach so langer Zeit krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit sei der Grund für eine amtsärztliche Untersuchung entfallen. In zwei Instanzen unterlag die Pädagogin. 

Scharfe Kritik an "jahrelangem Untätigbleiben"

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster vertrat in seinem Beschluss eine klare Meinung: Auch „das lange Untätigbleiben des Dienstherrn ändert nichts“ daran, dass ein amtsärztlicher Experte die Klägerin auf ihren seelischen Zustand hin begutachten müsse. 

Demnach durfte die Bezirksregierung Düsseldorf auch noch nach mehr als 15 Jahren „eine Untersuchung durch den Amtsarzt auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet anordnen“, heißt es im OVG-Beschluss.

Dabei kritisierten die Richter die Schulaufsicht mit deutlichen Worten: Bereits nach sechs Monaten gesundheitlich bedingter Auszeit sei der Dienstherr verpflichtet, die betroffenen „Beamtinnen und Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen“ ihre Dienstpflichten nicht mehr erfüllen können. „Das jahrelange Untätigbleiben“ der Bezirksregierung Düsseldorf in diesem Fall sei „in der Tat nicht nachvollziehbar.“

Ist die Lehrerin kein Einzelfall?

Die Schulaufsicht gibt sich wortkarg. Zwar bedauerte eine Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf das Versäumnis, aber im Zuge des laufenden Verfahrens wolle man sich nicht näher äußern. Schulministerin Dorothee Feller ist hingegen auf der Zinne. 

„So etwas habe ich noch nicht erlebt“, zürnte die CDU-Politikerin nach dem Bekanntwerden der Affäre. Umgehend hat Feller bei der Bezirksregierung einen umfassenden Bericht angefordert. Womöglich handelt es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um einen systematischen Schlendrian.

Bei Anna M. stellt sich die Frage, warum seit über 15 Jahren niemandem in der zuständigen Abteilung für die Lehrkräfte aufgefallen ist, dass die Lehrerin stetig Krankheitsatteste einreichte und ihr Gehalt kassierte, ohne amtsärztlich untersucht zu werden. 

Lehrerin hatte offenbar einen Nebenjob

Auch könnte dieser Fehler womöglich zu Disziplinarverfahren führen. Zumal bei den zuständigen Behörden und im Ministerium inzwischen bekannt wurde, dass die vermeintlich psychisch kranke Studienrätin offenbar einem Nebenjob nachging. 

Im Netz finden sich Einträge mit ihrem Namen, in denen sie als Heilpraktikerin ihre Dienste anbietet. Für diesen Job braucht es eine spezielle Ausbildung. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, hätte die Lehrerin ihre Krankheit vorgetäuscht, um mit Hilfe staatlicher Bezüge ein neues Geschäft aufzumachen.

Die SPD-Opposition hat einen Bericht in der Causa eingefordert. Dilek Engin, schulpolitische Sprecherin zeigte „wenig Verständnis dafür, dass eine Bezirksregierung eine Krankschreibung 15 Jahre duldet“. Provokant stellte die Abgeordnete die Frage: „Wie viele Fälle gibt es davon  möglicherweise noch? Das würden wir gerne wissen.“