Suche nach neuer Regierung in Österreich: So stehen die Chancen für „Koalition der Lösungen“
-
VonKilian Beckschließen
Österreich könnte bald eine neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos bekommen. Doch einige Hürden muss die Koalition noch nehmen.
Wien – Österreichs Konservative, Sozialdemokraten und Liberale wagen einen zweiten Anlauf zur Regierungsbildung. Am Samstagmittag empfing Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Spitzen der konservativen ÖVP, der Sozialdemokraten und der liberalen Neos. Man habe eine „gemeinsame Basis“ gefunden, sagte ÖVP-Chef Christian Stocker über die am Freitag wiederaufgenommenen Dreier-Koalitions-Verhandlungen. Trotz bestehender Hürden für eine solche Koalition zeigten sich auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler optimistisch. Gewählt wurde im September 2024.
„Blockaden“ gelöst: Österreich ist auf dem Weg zur „Finalisierung“ einer Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos
Anfang Januar scheiterten Verhandlungen zwischen den drei Parteien an Streitigkeiten über ein Sparpaket und Reformen des österreichischen Staatsapparates. Insbesondere in der ÖVP forcierten danach wirtschaftsnahe Kräfte Koalitionsverhandlungen mit der rechtsradikalen FPÖ. Diese scheiterten Mitte Februar hauptsächlich, weil man sich nicht auf eine Verteilung der Ministerien einigen konnte.
Das scheint förderlich für die Verhandlungsbereitschaft von ÖVP, SPÖ und Neos gewesen zu sein. Meinl-Reisinger sagte am Samstag, es sei „vieles anders, als im Januar“. ÖVP und SPÖ hätten „Blockaden“ aus den Verhandlungen im Januar gelöst. Das dürfte vertrauensbildend gewirkt haben, da die Neos rein mathematisch in der Koalition nicht für eine Mehrheit gebraucht werden – ÖVP und SPÖ haben eine hauchdünne Parlamentsmehrheit von einem Mandat. SPÖ-Chef Babler sah die Verhandlungen nach diversen Nachtsitzungen in der vergangenen Woche gar bereits in der „Finalisierung“. Auch aus den bereits gescheiterten Dreier-Verhandlungen waren häufig optimistische Tönen zu hören gewesen – allerdings zumeist nur hinter vorgehaltener Hand.
Bundespräsident Van der Bellen bescheinigte den Verhandlern ebenfalls, dass „wirklich etwas weiter gegangen“ sei. Nun müsste eine „Regierung der Lösungen“ gebildet werden, sagte Van der Bellen. Der erste Versuch der Verhandlungen scheiterte hauptsächlich daran, dass man sich nicht über das wegen der EU-Schuldenregeln nötige Sparpaket einigen konnte. Alle vier begründeten den neuen Anlauf auch mit der verschärften geopolitischen Lage seit dem Amtsantritt Donald Trumps in den USA.
Österreich sucht Regierung: Deshalb scheiterten die ersten Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos
Zwischen ÖVP und SPÖ ließ der Streit über eine von den Sozialdemokraten geforderte Bankenabgabe die Gespräche platzen. Beide Parteien stritten vor der Wahl grundsätzlich über Haushaltspolitik: Die SPÖ will Vermögen besteuern, um den Haushalt zu sanieren, räumte diese Position aber bereits in den Verhandlungen nach der Wahl. Die ÖVP wollte ausdrücklich keine neuen Steuern und stattdessen in Sozialprogrammen kürzen. Die Neos beklagten nach ihrem Ausstieg aus den Gesprächen vor allem den mangelnden Reformwillen von ÖVP und SPÖ. Etwa beim Umbau des Rentensystems hin zu mehr privater Altersvorsorge oder beim Abbau des in Österreich noch relativ starken Zugriff des Staates in der Wirtschaft.
Regierungsbildung in Österreich: ÖVP und SPÖ einigen sich offenbar bereits auf Haushalt und Ministerien
Haushaltspolitisch, so berichtete es die Tageszeitung Presse, kam es bereits zu einer Einigung zwischen ÖVP und SPÖ. Die beiden Volksparteien einigten sich auf eine Bankenabgabe und einen Haushalt. Verwalten soll ihn wohl eine Finanzministerin oder ein Finanzminister von der SPÖ. Ein personelles Zugeständnis der machtbewussten ÖVP an die Sozialdemokratie. Die ÖVP würde den Kanzler, aller Voraussicht nach Parteichef Stocker, und wohl auch Innen- und Verteidigungsminister stellen.
Inwieweit Streitigkeiten der letzten Wochen beigelegt wurden, blieb unklar. Mancher in der ÖVP hatte den linken Sozialdemokraten Babler mit FPÖ-Chef Herbert Kickl gleichgesetzt, als sie den Abbruch der Verhandlungen im Januar begründeten. Babler und die SPÖ hatten der ÖVP die Gefährdung der Demokratie vorgeworfen, als sie Kickl zum Kanzler machen wollte. Auch Meinl-Reisinger hatte nicht mit scharfen Angriffen gegen ÖVP und insbesondere Babler und die SPÖ gespart.
Neos zwischen verlockenden Ministerien und der Sorge vor „alten Seilschaften“ von ÖVP und SPÖ
Meinl-Reisinger betonte, es sei bei weitem noch nicht alles ausverhandelt, sie sehe allerdings auch Bewegung in den Feldern Bildung, Entlastung und Pensionen. Dem Vernehmen nach seien den Neos das Außen- und Bildungsministerium, sowie ein Staatssekretariat angeboten worden. Das berichtete der Österreichischen Rundfunk (ORF) am Samstagnachmittag. Man wolle nun wirklich zügig verhandeln. Mehrere Medien spekulierten über eine neue Regierung Anfang März. Viel mehr war am Samstagnachmittag noch nicht inhaltlich über die Verhandlungen zu erfahren.
Sollten sich die drei Parteien einig werden, so müssten die Neos noch ihre Mitglieder befragen. Die Wiener Landespartei tagte parallel am Samstag in Wien. Dort erklärten einige Mitglieder dem ORF, dass es aus ihrer sich unbedingt Reformen brauche und ihre Partei nicht um des alleinigen Regierens Willens eintreten solle. Die Partei wolle eine „handlungsfähige Regierung“, sagte der Wiener Parteichef Christoph Wiederkehr, der mit 90 Prozent zum Spitzenkandidaten für die anstehende Wahl in der Hauptstadt gewählt wurde. Ein älteres Neos-Mitglied aus Wien fürchtete trotzdem von den „alten Seilschaften“ der Großkoalitionäre, die Österreich seit Kriegsende unter sich aufgeteilt hatten, ausgebootet zu werden. (kb)
Rubriklistenbild: © MAX SLOVENCIK / APA / AFP