Moderne Erziehung: Warum Millennial-Mütter keine gehorsamen Kinder wollen

Millennial-Eltern verlangen von ihren Kindern keinen Gehorsam mehr – weil sie die körperliche Selbstbestimmung ihres Nachwuchses fördern wollen. Diese These stellt Content-Creatorin Kathleen Hema in einem viral gegangenen TikTok-Video auf. Die Creatorin zählt sich selbst zur Generation der Millennials, die zwischen den frühen 1980ern und späten 1990ern geboren wurden, ist Mutter und hat mehr als zehn Jahre Erfahrung als Sexualerzieherin.

Auslöser für diese Feststellung war für Hema eine Interaktion zwischen ihrer eigenen Mutter und befreundeten Kindern: Dabei bezeichnete ihre Mutter, die zur Boomer-Generation gehört, die Kinder als nett, höflich und gut erzogen – und lobte sie für ihren Gehorsam. Hema fiel auf, dass sie das Wort "gehorsam" bei sich selbst und anderen Millennial-Eltern noch nie gehört habe, wie sie gegenüber dem US-Portal "Newsweek" beschreibt.

Körperliche Selbstbestimmung in der Erziehung: "Nein heißt nein"

Laut der Sexualerziehungsexpertin sei die Vermeidung des Wortes "gehorsam" das Ergebnis moderner Erziehungsansätze, die die körperliche Selbstbestimmung von Kindern in den Mittelpunkt stellen. Millennial-Eltern wie sie würden besonderen Wert darauflegen, ihren Kindern im Alter zwischen vier und 13 Jahren eine wichtige Botschaft mitzugeben: "Nein heißt nein".

Kindern den Umgang mit ihren eigenen körperlichen Grenzen beizubringen, sei wichtig, um sexuellem Missbrauch vorzubeugen, so Erziehungsexpertin Hema. Eine Erziehung, die auf blindem Gehorsam der Kinder beruhe, würde sie anfälliger für Missbrauch machen. Denn: Durch die Betonung auf Gehorsamkeit hätten sie nicht gelernt, Dinge und Taten von Erwachsenen zu hinterfragen. Durch das Miterleben der #MeToo-Bewegung sei körperliche Autonomie für Eltern der Millenial-Generation besonders wichtig. 

WHO empfiehlt Aufklärung im Grundschulalter

Übereinstimmend mit den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Sexualerziehung empfiehlt Expertin, Kindern schon im Grundschulalter sexuell aufzuklären – und zwar im Alter zwischen sieben und neun Jahren. Dass Kinder schon frühzeitig selbstbewusst mit ihrem Körper umgehen können, sei entscheidend für den Erfolg der Missbrauchsprävention, so Hema.

Expertinnen beschreiben Zeitenwandel in der Kindererziehung

Auch weitere von "Newsweek" befragte Expertinnen empfinden den Wert Gehorsamkeit in der Kindererziehung als nicht mehr zeitgemäß: Sozialarbeiterin und Aktivistin Deborah Duley verweist auf veraltete Erziehungsphilosophien, in der neben der Gehorsamkeit auch die körperliche Bestrafung normal war. Diese autoritären Erziehungsstile würden spätestens seit den 1980er Jahren als überholt gelten.

Aktivistin Leah Forney betont im Gespräch mit dem US-Netzwerk, welche besondere Bedeutung dieser Wandel für den nicht-weißen Bevölkerungsanteil hat. Gehorsamkeit und der Respekt von Älteren hätten in diesen Gemeinschaften einen besonderen Stellenwert, wodurch Kinder in diesen Gemeinschaften leichter zu Missbrauchsopfern werden könnten. Die Entwicklung hin zur Erziehung selbstbestimmter Kinder sei sehr begrüßenswert, so Forney.

Kommunikationswissenschaften-Professorin Margaret Quinlan hat potenziell gefährliche Erziehungsbotschaften wie die Gehorsamkeit erst im Erwachsenenalter bewusst verlernt. Dabei habe sie einiges von den Millennial-Eltern und der #MeToo-Bewegung gelernt, so Quinlan gegenüber "Newsweek“. Respektvoll und gut erzogen sollen ihre Kinder dennoch sein – aber nicht durch blinden Gehorsam, sondern mit körperlicher Selbstbestimmung.