200 Milliarden: Druck auf EU wächst, eingefrorenes russisches Geld für Ukraine freizugeben
Die Regierungschefs Polens, Estlands und Finnlands fordern, die hunderten Milliarden Moskaus, die von den G7-Staaten beschlagnahmt wurden, endlich Kiew zu geben.
Brüssel/Kiew – Nicht nur die Ukraine steht angesichts des politischen Kurswechsels der USA enorm unter Druck. Auch die Staats- und Regierungschefs Polens, Estlands und Finnlands wollen mehr Unterstützung von der EU im Kampf gegen das russische Staatsoberhaupt Wladimir Putin. Konkret fordern sie, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte im Wert von 200 bis 300 Milliarden Dollar freizugeben, um die Kriegsanstrengungen der Ukraine zu finanzieren.
Polen und Tschechien üben Druck auf EU aus: Eingefrorenes russisches Vermögen würde Kiew helfen
Wie Fortune berichtet, postet Polens Ministerpräsident Donald Tusk letzte Woche auf X: „Genug geredet, es ist Zeit zu handeln! Lasst uns unsere Hilfe für die Ukraine aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten finanzieren.“ Auch der tschechische Premierminister Petr Fiala äußerte in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache an die Nation am Montag (24. Februar) ähnliches: „Für die weitere militärische Unterstützung der Ukraine müssen wir Geld aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten in ganz Europa verwenden“, sagte er und fügte hinzu, Trump habe „beschlossen, die US-Außenpolitik völlig umzugestalten“.
Hintergrund: Nach dem Beginn des Angriffskriegs Russland gegen die Ukraine im Februar 2022, wurden im Rahmen umfassender Sanktionen gegen das Land in Europa befindliche Reserven der russischen Zentralbank – darunter Währungen, Gold und Staatsanleihen – beschlagnahmt. Erst im Juli 2024 einigte sich die Gruppe der sieben großen westlichen Industriestaaten (G7) dazu, der Ukraine einen Kredit von 50 Milliarden US-Dollar (rund 48 Milliarden Euro) zu gewähren – für den indirekt Russland zahlen soll. Der Kredit wird durch Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenen russischen Staatsvermögen abgesichert.
Estlands Außenminister Margus Tsahkna sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Die Entscheidung, die unerwarteten Gewinne zu verwenden, war ein Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube, dass jetzt die Zeit reif ist, den nächsten Schritt zu tun.“ Und auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte Anfang Februar vom Westen die Freigabe weiterer Milliarden aus eingefrorenem russischem Staatsvermögen im Ausland für den Wiederaufbau des von Moskaus Angriffskrieg zerstörten Landes.
Bislang haben sich Deutschland, Frankreich, Italien und die Europäische Kommission gegen die Forderungen gewehrt, die Gelder für die Ukraine freizugeben. Der Grund: Es besteht die Angst, dass die Beschlagnahmung von Vermögenswerten des freien Marktes internationale Investoren verunsichern und Europas Legitimität auf lange Sicht schädigen könnte.
Selenskyj appelliert an Westen: „Wir reden von Dutzenden Milliarden“
Neben der Hilfe von Banken und Verbündeten müsse auch der Anteil aus dem blockierten russischen Vermögen erhöht werden. „Wir reden von Dutzenden Milliarden“, sagte Selenskyj laut einer Mitteilung des Präsidentenamtes in Kiew. „Die Mittel könnten verwendet werden, Menschen zu helfen, Wohnraum zu erwerben und einen Ort zum Leben zu finden“, sagte Selenskyj bei einem Treffen mit der Präsidentin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Odile Renaud-Basso, in Kiew.
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Bei den Gesprächen sei es um die Unterstützung für Menschen gegangen, die im Land zu Flüchtlingen geworden seien, weil sie ihre Wohnungen wegen des Krieges verloren hätten. Das sei eine drängende Frage für Millionen ukrainischer Binnenflüchtlinge, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft Anfang Februar. Tatsächlich zeigt ein am Dienstag (25. Februar) veröffentlichter Bericht der ukrainischen Regierung, der Weltbank, der Europäischen Kommission und den Vereinten Nationen, wie hoch die Schäden wirklich sind.
Bericht offenbart: Mehr als 500 Milliarden Euro für Ukraine-Wiederaufbau nötig
Der Krieg in der Ukraine soll innerhalb von fast drei Jahren einen direkten Schaden von mindestens 176 Milliarden US-Dollar (rund 170 Milliarden Euro) verursacht haben. Die Kosten für den Wiederaufbau der von Russland angegriffenen Ukraine werden auf mindestens 524 Milliarden US-Dollar (rund 506 Milliarden Euro) über die kommenden zehn Jahre geschätzt. Als Grundlage für die Berechnungen diente der Zeitraum vom Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 bis zum 31. Dezember 2024. Am stärksten betroffen sind demnach die Bereiche Wohnungsbau, Verkehr, Energie, Handel und Industrie sowie Bildung.
Der größte Bedarf für Wiederaufbau besteht dem Bericht zufolge im Wohnungssektor. Demnach sind 13 Prozent des gesamten Wohnungsbestands in der angegriffenen Ukraine beschädigt oder zerstört, was mehr als 2,5 Millionen Haushalte betrifft. Besonders schwer getroffen sei neben dem Verkehrs- auch der Energiesektor: Seit dem letzten Bericht dieser Art sei die Zahl der beschädigten oder zerstörten Anlagen – etwa Kraftwerke oder Fernwärmeinfrastrukturen – um 70 Prozent gestiegen.

Für das Jahr 2025 habe die ukrainische Regierung mit Unterstützung internationaler Geber bislang 7,37 Milliarden US-Dollar (7,12 Milliarden Euro) für vorrangige Bereiche bereitstellen können, heißt es in dem Bericht weiter. Diese umfassten unter anderem Wohnungsbau, Wasserversorgung, Minenräumung und Zivilschutz. Trotz dieser Mittel bestehe allerdings eine Finanzierungslücke von 9,96 Milliarden US-Dollar (9,62 Milliarden Euro). Der Bericht hebt hervor, dass in diesem Zusammenhang auch die Mobilisierung privatwirtschaftlicher Geber von zentraler Bedeutung sei.
Lage im Ukraine-Krieg spitzt sich zu: EU zieht Milliardenhilfe für Kiew vor
Angesichts der schwierigen Situation der Ukraine reagierte die EU Anfang der Woche und zog eine geplante Hilfszahlung vor. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Montag (24. Februar) in Kiew an, dass bereits im März weitere 3,5 Milliarden Euro an das von Russland angegriffene Land überwiesen werden. Das Geld ist ein Darlehen, das mit Zinserträgen aus der Verwahrung von eingefrorenem Staatsvermögen Russlands zurückgezahlt wird.
„Europa ist hier, um die Ukraine in diesem entscheidenden Moment zu stärken“, heißt es in einer vorab veröffentlichten Rede von der Leyens zum dritten Jahrestag der großangelegten Invasion Russlands in die Ukraine. Der Krieg bleibe die zentrale und folgenschwerste Krise für die Zukunft Europas.
„Putin versucht mehr denn je, diesen Krieg am Boden zu gewinnen. Sein Ziel bleibt die Kapitulation der Ukraine“, heißt es in dem Redetext. Wenn Putin dies gelingen sollte, könnte er nach Einschätzung von Deutschlands früherer Verteidigungsministerin auch andere Länder angreifen. „Es steht nicht nur das Schicksal der Ukraine auf dem Spiel. Es ist das Schicksal Europas“, warnt sie.
Mit Blick auf die Gespräche von US-Präsident Donald Trump mit Putin heißt es in dem Text, Autokraten auf der ganzen Welt beobachteten genau, ob man ungeschoren davonkomme, wenn man seinen Nachbarn überfalle und internationale Grenzen verletze. Oder ob es eine echte Abschreckung gebe. Deswegen sei eine Investition in die Souveränität der Ukraine eine Investition in die Verhinderung künftiger Kriege. (bg/dpa)