Riesiger Eisbohrkern zeigt erschreckende Veränderung in der Antarktis – „ein unkontrollierbarer Prozess“

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In der Antarktis ist zum Ende der letzten Eiszeit eine große Menge Eis schnell geschmolzen, zeigt eine neue Studie. Die Forschung ist besorgt.

Cambridge – Eine neue Studie, die im Fachjournal Nature Geoscience veröffentlicht wurde, zeigt einen erschreckenden Blick in die Vergangenheit: Offenbar ist der westantarktische Eisschild zum Ende der letzten Eiszeit plötzlich dramatisch geschrumpft. Das legen Eisbohrungen nahe, die Forscherinnen und Forscher von der Universität Cambridge und dem British Antarctic Survey untersucht haben. An einem Ort habe der Eisschild vor rund 8000 Jahren in weniger als 200 Jahren 450 Meter an Dicke verloren. Zum Vergleich: Das Empire State Building in New York ist bis zur Antennenspitze etwa 443 Meter hoch.

Antarktischer Eisschild
Fläche: 14.000.000 km²
Eisdicke: durchschnittlich 2126 Meter, maximal 4897 Meter
Eisvolumen: 26.500.000 km³
Besonderheit: die größte Eismasse der Erde, ein Teil davon, der westantarktische Eisschild ist besonders gefährdet

Westantarktischer Eisschild schmolz zum Ende der Eiszeit dramatisch ab

Die Bohrung sei der erste Nachweis für einen derart schnellen Eisverlust in der Antarktis, heißt es in einer Mitteilung zur Studie. Die weltweite Forschungsgemeinschaft fürchtet, dass die globale Erwärmung in Zukunft Teile des westantarktischen Eisschilds destabilisieren könnten. Das könnte dafür sorgen, dass ein Kipppunkt überschritten und ein unkontrollierter Zusammenbruch in Gang gebracht wird.

Ein Grund, weshalb die Forschungsgemeinde beim antarktische Eisschild nervös wird: Er enthält genug Frischwasser, um die globalen Meeresspiegel um etwa 57 Meter anzuheben. Vor allem der westantarktische Eisschild gilt als besonders gefährdet, weil ein großer Teil von ihm auf Felsen liegt, die sich unter dem Meeresspiegel befinden. Modelle sagen vorher, dass ein großer Teil des westantarktischen Eisschilds in den kommenden Jahrhunderten verschwinden könnte – mit einem gewaltigen Anstieg der Meeresspiegel. Wann und wie schnell das geschieht, ist jedoch unklar.

Im Eiskern sind uralte Luftblasen und Verunreinigungen eingeschlossen, die dem Forschungsteam neue Erkenntnisse ermöglichen. An einer Stelle ist der westantarktische Eisschild in knapp 200 Jahren um 450 Meter dünner geworden.
Im Eiskern sind uralte Luftblasen und Verunreinigungen eingeschlossen, die dem Forschungsteam neue Erkenntnisse ermöglichen. An einer Stelle ist der westantarktische Eisschild in knapp 200 Jahren um 450 Meter dünner geworden. © University of Cambridge/British Antarctic Survey

Sorge um das Verhalten des Eises in der Antarktis

Die neuen Daten können nun jedoch für die Modelle verwendet werden, die das Verhalten des Eisschilds vorhersagen. „Wir haben jetzt direkte Beweise dafür, dass dieses Eisschild in der Vergangenheit einen raschen Eisverlust erlitten hat“, betont der Hauptautor der Studie, Eric Wolff vom Cambridge Department of Earth Sciences. „Dieses Szenario existiert nicht nur in unseren Modellvorhersagen, sondern könnte sich wiederholen, wenn Teile des Eisschildes instabil werden.“

Seine Co-Autorin Isobel Rowell ergänzt: „Wir wollten wissen, was am Ende der letzten Eiszeit mit dem westantarktischen Eisschild geschah.“ Am Ende der letzten Eiszeit, vor etwa 8000 Jahren, stiegen die Temperaturen auf der Erde an, „wenn auch langsamer als die derzeitige anthropogene Erwärmung“, wie Rowell betont. Die Forscherin vom British Antarctic Survey erklärt, wie die neuen Daten der Wissenschaft helfen sollen: „Anhand von Eisbohrkernen können wir in diese Zeit zurückgehen und die Dicke und Ausdehnung des Eisschilds schätzen.“

Eisbohrkern ermöglicht Blick in die Vergangenheit der Antarktis

Eisbohrkerne bestehen aus verschiedenen Eisschichten, die entstanden, als Schnee auf die Erde fiel. Im Laufe der Jahrtausende wurden sie zu Eiskristallen. In jeder Eisschicht sind Blasen alter Luft und Verunreinigungen aus der jeweiligen Zeit eingeschlossen, die unter anderem Hinweise auf das sich verändernde Klima liefern. Der Bohrkern, der für die aktuelle Studie untersucht wurde, wurde im Jahr 2019 am Skytrain-Eisrücken entnommen und ist 651 Meter lang.

Im Bohrzelt am Skytrain-Eisrücken trennen Ingenieure und Wissenschaftler zwischen den Bohrungen das Innenrohr des Bohrers vom Außenrohr.
Im Bohrzelt am Skytrain-Eisrücken trennen Ingenieure und Wissenschaftler zwischen den Bohrungen das Innenrohr des Bohrers vom Außenrohr. © University of Cambridge / British Antarctic Survey

Die Messungen, die die Forscherinnen und Forscher vornahmen, zeigte ihnen Erschreckendes: „Sobald das Eis dünner wurde, schrumpfte es sehr schnell“, fasst Wolff die neuen Erkenntnisse zusammen. „Dies war eindeutig ein Wendepunkt – ein unkontrollierbarer Prozess.“ Das Forschungsteam geht davon aus, dass die Ausdünnung des Eises möglicherweise durch warmes Wasser ausgelöst wurde, das unter den westantarktischen Eisschild gelangte.

Warmes Wasser von unten ließ das Eis wohl schmelzen

Dadurch löste sich wahrscheinlich ein Teil des Eises vom Grundgestein und konnte plötzlich schwimmen – das heutige Ronne-Schelfeis entstand. Dadurch konnte der benachbarte Skytrain-Eisrücken, der nicht mehr durch das am Boden liegende Eis zurückgehalten wurde, rasch abnehmen.

Sorge um den Thwaites-Gletscher

Auch der Thwaites-Gletscher in der Antarktis (Spitzname: „Weltuntergangs-Gletscher“) macht der Forschung Sorgen. Er wird intensiv erforscht, erst kürzlich ist unter dem Gletscher ein teurer Forschungsroboter verloren gegangen.

Eis in der Antarktis wurde zum Ende der Eiszeit dünner

„Wir wussten bereits aus Modellen, dass das Eis etwa zu dieser Zeit dünner wurde, aber der Zeitpunkt war ungewiss“, so Rowell. Die bisherigen Modelle zeigten den Rückgang zwischen 12.000 und 5000 Jahren an, konnten aber nicht genauer darstellen, wie schnell er vor sich ging. „Wir haben jetzt eine sehr genau datierte Beobachtung dieses Rückzugs, die in verbesserte Modelle eingebaut werden kann“, erklärt die Forscherin.

Nachdem sich das westantarktische Eisschild vor 8000 Jahren schnell zurückgezogen hat, stabilisierte es sich bei etwa seiner heutigen Ausdehnung. Laut Hauptautor Wolff ist nun eines wichtig: „Wir müssen herausfinden, ob zusätzliche Wärme das Eis destabilisieren und einen erneuten Rückzug auslösen könnte.“ (tab)

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