Verluste im Ukraine-Krieg: Experte berichtet von dramatischen Zuständen in Putins Russland

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Warum tut die russische Gesellschaft nichts gegen den Ukraine-Krieg Wladimir Putins? Trotz gewaltiger Verluste Russlands? Ein Osteuropa-Experte ordnet ein.

Moskau - Sie sind immens: die Verluste für Russland im Ukraine-Krieg. Auch rund um Weihnachten. Auch zum Jahreswechsel. Das brutale Moskau-Regime von Kreml-Autokrat Wladimir Putin gewährt seiner wortwörtlich ausgebluteten Armee, seinem Land und der heimtückisch überfallenen Ukraine keine Verschnaufpause.

Verluste im Ukraine-Krieg: Keine Verschnaufpause zu Weihnachten und Silvester

Während woanders in Europa unter den Christbäumen innegehalten und zu Silvester angestoßen wird, gehen die heftigen Gefechte zwischen Charkiw, Donbass und Saporischschja weiter. Und wohl auch in der russischen Grenzregion Kursk, in der sich noch immer einzelne ukrainische Verbände - zum Beispiel mit Marder-Panzern aus Deutschland - einer militärischen russischen Übermacht entgegenstellen.

Und so steigen die russischen Verluste ungebremst. Aber: Warum tut die russische Gesellschaft nichts dagegen? Gerade jetzt zur eigentlich besinnlichen Weihnachtszeit? Warum stehen die Menschen zwischen St. Petersburg, Moskau, Wolgograd, Jekaterinburg und Nowosibirsk nicht gegen den Autokraten Putin auf und ziehen ihn für den heftigen Blutzoll zur Verantwortung? IPPEN.MEDIA hat mit einem Osteuropa-Historiker darüber gesprochen.

Heftige Verluste im Ukraine-Krieg: Eine Massen-Beerdigung russischer Soldaten in der besetzten ukrainischen Region Luhansk.
Heftige Verluste im Ukraine-Krieg: Eine Massen-Beerdigung russischer Soldaten in der besetzten ukrainischen Region Luhansk. © IMAGO / SNA

Verluste für Wladimir Putin: Friedhöfe in Russland sollen „aus den Nähten platzen“

„Russische Soldaten werden bei den Angriffen auf die ukrainischen Linien gnadenlos in den Fleischwolf der Front geworfen. Im November erreichten die täglichen Verlustzahlen mit mehr als 2000 Opfern (getötet oder verwundet, Anm. d. Red.) in der russischen Armee neue Rekordwerte. In Russland platzen die Friedhöfe darum aus den Nähten. Überall sind neue Grabstellen von Gefallenen zu sehen“, erklärt der Moskau-Kenner und Geschichtswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Gestwa von der Uni Tübingen.

In sozialen Medien rege sich deshalb mitunter Unmut, „der aber nicht zu laut und offen thematisiert werden darf, weil sonst harte Strafen drohen“, so Gestwa. „Der staatliche Repressionsapparat hat die Gesellschaft längst in einen rigiden Würgegriff genommen, um mögliche soziale Proteste schon im Keim zu ersticken“, erzählt der 61-jährige Professor. Gestwa kennt Russland gut: Er ist an der Eberhard Karls Universität Tübingen Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde. Der Experte hat einst in Moskau sowie in Sankt Petersburg studiert und gelebt. Er hält auch in den Kriegswirren informelle Kontakte in die Russische Föderation.

Auch die Familien machen oftmals Druck, weil der Kriegseinsatz eines Angehörigen ungeahnte Einkommensperspektiven eröffnet. Fällt der Soldat, erhalten die Hinterbliebenen üppige Kompensationszahlungen.

Russlands Verluste in der Ukraine: Mehr als 700.000 getötete und verwundete Soldaten?

Das Kreml-Regime um den willfährigen Außenminister Sergei Lawrow schweigt öffentlich zu den eigenen Verlusten in dem Blutvergießen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte hatte am 28. Oktober 2024 bei einer Pressekonferenz in Brüssel Moskaus Verluste dagegen auf bis dahin 600.000 getötete und verwundete russische Soldaten geschätzt. Der künftige US-Präsident Donald Trump (Republikaner) nannte jüngst sogar die Schätzung von 700.000, während der Generalstab der Ukraine in der Regel noch höhere Zahlen veröffentlicht. Die Informationen lassen sich jeweils nicht unabhängig überprüfen.

Der Tod auf dem Schlachtfeld sei in Russland für „die davon betroffenen Familien ein lukratives Geschäft geworden – so zynisch das auch klingen mag. Im heutigen Russland ist der Kriegsdienst deutlich lukrativer als die normale Berufstätigkeit geworden. Soldaten erhalten oftmals das Dreifache des russischen Durchschnittslohns als Sold. Das lässt es besonders für Männer in ökonomisch abgehängten Regionen profitabel erscheinen, sich freiwillig für die Front zu melden“, erklärt Gestwa IPPEN.MEDIA. Damit nicht genug: Auch die Familien würden oftmals Druck machen, „weil der Kriegseinsatz eines Angehörigen ungeahnte Einkommensperspektiven eröffnet. Fällt der Soldat, erhalten die Hinterbliebenen üppige Kompensationszahlungen, die es ihnen ermöglichen, in einer größeren Stadt eine Wohnung zu erwerben und sich hier eine neue Existenzgrundlage zu schaffen“, schildert der Historiker: „Der Tod eines Familienmitglieds ermöglicht den sozialen Aufstieg.“

Verluste im Ukraine-Krieg: In Russland sind etwa Burjatien und Dagestan schwer betroffen

Moskau verliert neben sehr vielen Soldaten auch sehr viele Panzer. Laut der Open-Source-Intelligence-Website Oryx waren es bis zum 23. Dezember 2024 dokumentiert 3655 Kampfpanzer, die Russland eingebüßt hat. Weswegen teilweise Nachschubzüge mit uralten Panzern aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Richtung Front rollen. Die russische Armee zeige indes oftmals kein großes Interesse, Gefallene ihren Familien zu übergeben, um Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen zu müssen, erzählt Gestwa.

Und: „Die Kompensationszahlungen für die Verletzten sind jüngst so geändert worden, dass der Staat insgesamt weniger zu zahlen hat. Das hat für Unruhe gesorgt, aber nicht für organisierten und politisch relevanten Unmut.“ Der „gewaltige Blutzoll des Kriegs“ treffe indes „weniger die russischen Großstädte als vielmehr entlegene Regionen wie Burjatien in Sibirien sowie Dagestan im Kaukasus, in denen es einen hohen Anteil nicht-russischer Familien gibt“, erklärt der Osteuropa-Experte: „Der Kreml versucht, die strategisch wichtigen urbanen Mittelschichten weitgehend vom Kriegsdienst zu verschonen.“

Moskau-Machthaber: Russland-Autokrat Wladimir Putin.
Moskau-Machthaber: Russland-Autokrat Wladimir Putin. © IMAGO / ITAR-TASS

Russland im Ukraine-Krieg: Männer aus Moskau werden durch Putins Regime oft verschont

So solle verhindert werden, „dass sich in den Großstädten Unmut zusammenbraut. Von dort könnte der Funken des Protests auf andere Städte und Regionen überspringen. Der Kreml achtet darauf, die urbanen Metropolen unter Kontrolle zu halten“, ordnet Gestwa ein und vergleicht: „Auf einen in Moskau eingezogenen Soldaten kommen so in Dagestan und Burjatien 60 bis 90 für den Krieg mobilisierte Männer.“ (pm)

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