EU macht Druck bei CO2-Entnahmeplänen - doch Deutschland bremst

Die EU hat in der vergangenen Woche einen großen Schritt zum Aufbau von geologischen CO2-Speichern gemacht. 44 europäische Öl- und Gasunternehmen werden im Rahmen des Net Zero Industry Act (NZIA) verpflichtet, bis 2030 CO2-Speicherkapazitäten in Höhe von 50 Millionen Tonnen bereitzustellen. 

Die EU-Kommission verpflichtete die Unternehmen in einer Delegierten Verordnung (Delegated Regulation), entsprechend ihres Anteils an der europäischen Öl- und Gasförderung unterschiedlich große, geologische Speicher zu erschließen. Die EU will damit „Emissionsminderungen und die permanente CO2-Entnahme für energie-intensive Industrien“ vorantreiben, wie Kurt Vandenberghe, EU-Generaldirektor für Klimapolitik, sagt. Die NGO Clean Air Task Force spricht von einem „Meilenstein“ für den Aufbau einer CO2-Speicher-Infrastruktur.

Expertenrat: Klimaneutralität ohne CO2-Entnahme gefährdet

Brüssel fordert viele Instrumente, Berlin fokussiert sich auf eines: Während die EU CO₂-Minderung und CO2-Entnahme bei dieser Maßnahme, aber auch in ihren Carbon-Management-Plänen, zusammen denkt, konzentriert sich die Bundesregierung dagegen vor allem auf CO2-Minderung mittels CCS, was nicht als CO2-Entnahme gilt. 

Die CO2-Entnahme aus der Luft mit Technologien wie Bioenergie und CCS (BECCS) und Direct Air Capture (DACCS) – auch als „technische Senke“ bezeichnet – steht dagegen in Deutschland weniger im Fokus, klagen Experten und Verbände. Ihr Argument: Europäische Nachbarstaaten sind hier weiter und könnten somit auch neue Absatzmärkte erschließen.

Wie dringend CO2-Entnahme für die Klimaziele ist, hat erst kürzlich der Expertenrat für Klimafragen deutlich gemacht. Er mahnt die Bundesregierung, die CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre durch technische Maßnahmen voranzutreiben. Ohne diese sogenannten technischen Senken sei das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 kaum zu erreichen, weil der Wald von einer CO2-Senke zur Quelle geworden ist. Während die Klimawissenschaft mahnt, beklagen Verbände ein zu zögerliches Vorgehen der Regierung.

CO2-Entnahme würde Klimaschutz verteuern

„Bisher sind negative Emissionen auf politischer Ebene noch ein Randthema“, kritisiert der Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Negative Emissionen (DVNE), Stefan Schlosser, im Gespräch mit Table.Briefings. Die neue Bundesregierung will zwar möglichst rasch eine CCS-Strategie und ein CCS-Gesetz verabschieden. Doch diese Maßnahmen gehören zur Emissionsverminderung und zählen nicht zur CO2-Entnahme. 

Für letztere muss CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden – sei es durch das direkte Filtern von CO2 (Direct Air Capture, DAC), durch das Verbrennen von Biomasse zur Wärmeerzeugung und das Auffangen des CO2 (Bioenergie mit Carbon Capture and Storage, BECCS) oder den Eintrag von CO2 in die Meere oder Ozeane. Der Grund für das zögerliche Vorgehen: „CO2-Entnahme ist ein sehr kostspieliger Prozess und konkurriert deshalb mit günstigeren Klimaschutzmaßnahmen“, sagt Felix Schenuit, CDR-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Die Bundesregierung treibt CCS bei Industrie und Gaskraftwerken voran, weil es die Emissionen der Industrie direkt senkt. Technische Prozesse zur CO2-Entnahme hingegen sind noch sehr teuer und würden den Klimaschutz für Unternehmen und den Staat stark verteuern. Die Bundesregierung dagegen will Unternehmen entlasten und Wachstum schaffen.

Bundesregierung muss Anreize für CO2-Entnahme schaffen

Allerdings geht die CO2-Entnahme „mit großen wirtschaftlichen Potenzialen für den Maschinenbau und die Exportwirtschaft“ einher, sagt Schlosser. „Die Bundesregierung sollte keine Zeit verlieren, negative Emissionen finanziell zu fördern und die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern“, so der DVNE-Geschäftsführer. 

Andere Staaten wie Dänemark, Schweden oder die Schweiz würden die CO2-Entnahme nicht nur zur Erreichung ihrer Klimaziele, sondern auch aus industriepolitischen Erwägungen unterstützen.

Kurzfristige Anreize sind auch wichtig, weil der europäische Emissionshandel wahrscheinlich erst ab 2031 neue Anreize schafft. Die Zementindustrie plant derzeit zwar CCS-Anlagen für ihre fossilen Emissionen, nicht jedoch für Emissionen aus der Verbrennung von Biomasse. 

Für fossile CO2-Emissionen müssen die Unternehmen CO2-Zertifikate aus dem Emissionshandel vorhalten – ein Anreiz für den Bau von CCS-Anlagen zur Vermeidung dieser Emissionen. „Bei CO2 aus der Verbrennung von Biomasse gibt es diesen Anreiz nicht, da hier keine ETS-Zertifikate nötig sind“, sagt Schenuit. Dementsprechend werden kaum BECCS-Anlagen geplant. Der ETS wird erst frühestens 2031 Anreize schaffen, wenn die aktuelle Handelsrunde ausläuft und Reformen anstehen.

Die Bundesregierung müsse schon vor 2031 auf nationaler Ebene Anreize für technische CO₂-Senken schaffen, „damit die Skalierung von Technologien für industrielle CO₂-Entnahme gelingt“, fordert Schenuit. Viele schon heute technisch mögliche Projekte zur CO₂-Entnahme kämen wegen fehlender Anreize nicht über das Konzeptstadium hinaus, kritisiert der SWP-Forscher. Andere Staaten könnten als Vorbild dienen:

  •  Kanada und die USA fördern CO2-Entnahme mit öffentlicher Nachfrage. Deutschland könnte die CO₂-Entnahme fördern, um das Ziel einer klimaneutralen Bundesverwaltung bis 2030 zu erreichen.
  • Großbritannien hat zwei Modelle für Differenzverträge entwickelt, um CO₂-Entnahme zu fördern. Auch die deutschen Klimaschutzverträge könnten angepasst werden, um Anreize zu schaffen.
  • Dänemark, Schweden und die Schweiz setzen hingegen auf wettbewerbliche Ausschreibungen und Auktionen. Dabei entscheidet der günstigste Preis pro Tonne entferntes CO₂, welche Projekte finanziert werden.

Wälder stellen deutsche Klimapolitik auf den Kopf

Auch der Expertenrat für Klimafragen mahnt die Bundesregierung zum Handeln. Klare Zielvorgaben und rechtliche Rahmenbedingungen seien nötig, da traditionelle, natürliche Senken – vor allem die Wälder – bis „zum Jahr 2045 durchgehend eine Treibhausgasquelle statt wie vorgesehen eine Senke“ würden, wie der Projektionsbericht des Klimarats zeigt. Damit wird die deutsche Klimapolitik auf den Kopf gestellt: Bisher war geplant, dass natürliche Senken die Restemissionen aus der Industrie und Landwirtschaft ausgleichen. Technische Senken müssten diese Rolle nun übernehmen.

Ein konkretes Ziel für „technische Senken“ wird voraussichtlich Teil der „Langfriststrategie Negativemissionen“, die sich derzeit in Bearbeitung befindet. Das Klimaschutzgesetz sieht die Festlegung solcher Ziele für die Jahre 2035, 2040 und 2045 vor. Allerdings ist derzeit noch unklar, ob die Langfriststrategie eine Aufgabe des Wirtschaftsministeriums bleibt oder im Umwelt- und Klimaministerium landet.