Alternative zum Taurus: USA könnten im Ukraine-Krieg Marschflugkörper für F-16 liefern
Neue Taktik im Krieg: Die Ukraine soll vielleicht US-Marschflugkörper für die F16-Kampfjets erhalten. Das würde Putin zum Rückzug seiner Logistik zwingen.
Kiew – „Man kann viele schnelle Jets haben, aber wenn diese nicht über wirksame Waffen verfügen und die Besatzungen nicht in der Lage sind, sie mit wirksamen Taktiken einzusetzen, werden sie einfach in großer Zahl abgeschossen“, sagt Justin Bronk. Wie viele andere bezweifelt auch der Analyst des Royal United Services Institute (RUSI) ein schnelles, kleines Wunder durch die westlichen F-16-Kampfjets im Ukraine-Krieg, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Politikwechsel im Ukraine-Krieg: Biden offen für Lieferung von Langstrecken-Waffen für Kampfjets
Das Weiße Haus erwägt jetzt offenbar, der Ukraine Langstrecken-Marschflugkörper zu liefern, um die F-16 schlagkräftiger zu machen. Das schreibt die Kiew Post. Laut dem Magazin Army Recognition würde das einen Poltikwechsel der USA bedeuten und der Ukraine „bahnbrechende“ Möglichkeiten verleihen.
Beiden Medien zufolge ist die Ukraine dringt angewiesen auf JASSM-Marschflugkörper – einem Pedant zum deutschen Taurus, dessen Lieferung die Bundesregierung allerdings verweigert. Die JASSM (Joint Air-to-Surface Standoff Missile) ist eine konventionelle, luftgestützte Marschflugkörper-Rakete für Bodenangriffe, die von 1998 an entwickelt und 2014 an die US-Luftwaffe ausgeliefert wurde; die F-16 ist als Plattform tauglich und kann unter jeder Tragfläche eine transportieren. Normalerweise wird sie aber von Langstrecken-Bombern wie der B-1 im Waffenschacht getragen – dort passen bis zu 24 Stück hinein.
JASSM statt Taurus für die F16: Die Reichweite der US-Langstreckenrakete beträgt 1000 Kilometer
Der Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) gibt die Reichweite der „Standard-JASSM“ mit 370 Kilometern an, während die JASSM-ER über eine Reichweite von etwa 1.000 Kilometern verfügen sollen; die beiden 4,26 Meter langen Versionen unterscheiden sich demnach lediglich durch einen größeren internen Treibstofftank sowie ein effizienteres Triebwerk, tragen aber beide einen 432 Kilogramm schweren Sprengkopf. „Der Flugzeugrumpf selbst kann als eckig beschrieben werden, ähnlich dem Taurus KEPD 350, allerdings runder und fließender“, schreibt das CSIS.
„Die Art der Auflagen ist, drücken wir das mal höflich aus, unübersichtlich. ... Ich meine, im Idealfall – aus operativer Sicht – sollten alle Auflagen fallen.“
Das Magazin Politico hatte Mitte August veröffentlicht, US-Präsident Joe Biden sei „offen“ für den Einsatz von Langstrecken-Marschflugkörpern in der Ukraine. Bisher hatte sich Washington ja diesem Wunsch der Verteidiger vehement verweigert. „Wir prüfen eine Reihe von Optionen, um den Sicherheitshilfeanforderungen der Ukraine nachzukommen, haben jedoch keine Informationen, die wir weitergeben könnten“, hatte Pentagon-Sprecher Jeff Jurgensen gegenüber Politico geäußert. Möglicherweise versucht die Kiew Post hier auch nur Fakten zu schaffen, oder die US-Regierung öffentlich unter Druck zu setzen.
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Kiew hatte immer wieder an die Welt appelliert, seine Armee auszurüsten mit Waffen, die stark geschützte Ziele aus sicherer Entfernung außerhalb der Reichweite feindlicher Luftabwehr-Systeme zerstören könnten. Selbst mit den jetzt gelieferten F-16 wolle die Ukraine schwere Schläge möglicherweise auch gegen kritische Infrastruktur oder streng militärische Ziele führen, ohne ihre geringen Ressourcen der Luftwaffe zu gefährden. Bisher hatte sich die Ukraine mit Langstrecken-Drohnen beholfen, dabei allerdings frappierende Erfolge erzielt, wenn auch stark vereinzelt.
Putins neuer Albtraum am F16-Kampfjet: Die AGM-158 JASSM fliegt weit und bleibt weitestgehend unsichtbar
Laut dem Wall Street Journal (WSJ) gehören zu der Erstausrüstung der F-16 durch die USA beispielsweise AGM-88 HARM-Luft-Boden-Raketen – das sind in der Reichweite verbesserte Versionen von Joint Direct Attack Munition-Kits (JDAM) die ungelenkte und dadurch lediglich fallende Bomben umwandeln in intelligente, also auf ein Ziel zugleitende Waffen. Daneben werden Standard-Freifallbomben mit einem beschränkten Explosionsradius geliefert werden – beziehungsweise sind bereits geliefert worden.
Darüber hinaus rechnet das WSJ mit der Lieferung moderner Luft-Luft-Raketen mittlerer Reichweite, bekannt als AMRAAM (Advanced Medium-Range Air-to-Air Missile), und Kurzstrecken-Luft-Luft-Raketen AIM-9X. Diese auch als Sidewinder bekannten Raketen für die F-16-Kampfjets können Putins Luftüberlegenheit besonders gefährlich werden. Die Ukraine wolle diese Raketen einsetzen, um an die Grenze zu fliegen und auf Russland zu schießen, schreibt das Journal.
Anfang Juni hatte das Magazin The War Zone spekuliert, mit welchen Waffen die F-16 aus- beziehungsweise nachgerüstet werden könnten. Die AGM-158 JASSM galt dem Magazin als der “größte Joker von allen“. War Zone orientierte sich dabei hauptsächlich an deren über 20 Jahre hinweg erprobten Technik und der Tarnkappen-Fähigkeit der Waffe, die aus radarunempfindlichen Verbundstoffen gebaut ist. Allerdings stellte das Magazin dagegen, dass das technologische Risiko womöglich zu groß sein könnte, als dass die USA diese Waffe aus der Hand geben würden.
Restrisiko in Russland: Eine unbeschädigte AGM-158 JASSM wäre ein Triumph für Putin
„Die Vorstellung, dass diese Waffen durch eine teilweise intakte Landung hinter den feindlichen Linien oder sogar durch Spionage kompromittiert werden könnten, ist wahrscheinlich zu beunruhigend, um sie zu riskieren“, schrieb TWZ-Autor Tyler Rogoway. In Syrien hätten die USA diese Waffen eingesetzt, weil sie dort selbst offen operiert hatten – das sei in der Ukraine eben ausgeschlossen. „Außerdem übersteigt die Reichweite der Waffe den Bedarf der Ukraine bei weitem, obwohl dies möglicherweise geändert werden könnte“, mutmaßt er weiter; und irrt darin inzwischen wahrscheinlich gewaltig.
Die Ukraine wird möglicherweise vor allem versuchen, aus der Distanz anzugreifen und selbst in Deckung zu bleiben. Jüngstes Beispiel für diese Taktik ist wahrscheinlich ein Gleitbomben-Angriff der Ukraine auf eine Station zur elektronischen Kriegführung im Raum Kursk. Die für den Angriff verwendete GBU-39B Small Diameter Bomb (SDB) ist ein US-amerikanisches Produkt und kann auch von der F-16 getragen werden, obwohl sie keine Standard-Plattform für diese Waffe darstellt.
„Langsamer Prozess“: Nato-General kritisiert fehlende Dynamik in den Entscheidungen
Allerdings scheint sie die Nato in größeren Mengen vorrätig zu haben, was die SDB, laut TWZ, zur entscheiden Waffen für die ukrainischen F-16 machen könnte. Nato-Militärs sehen das mitunter differenziert: „Das Flugzeug selbst ist ohne die Waffen wertlos“, zitiert das WSJ die Einschätzung von Rolf Folland, Chef der Königlich Norwegischen Luftwaffe. Viele EU-Länder würden ihre begrenzten Vorräte an F-16-Munition lieber für sich behalten wollen, vermutet er. Große Mengen an Munition könne die Ukraine aus der Europäischen Union also kaum erwarten.
Dann also vielleicht doch die Hochwert-Raketen aus den USA. Ohnehin hatte Joe Biden der Ukraine zum Unabhängigkeitstag ein neues Waffenpaket versprochen. „Es ist schon ein langsamer Prozess“, sagt Erhard Bühler im Podcast „Was nun, Herr General?“ vom Mitteldeutschen Rundfunk.
AGM-158 JASSM gegen Russlands Angriffskrieg: Psychologisch ungemein wertvoll
Auch der ehemalige Generalleutnant und Ex-Nato-Kommandierende kritisiert die in ihrer Effektivität bisher scheinbar „amputierten F-16“ im Kampf gegen Russlands Angriffskrieg, wie MDR-Journalist Tim Deisinger im Podcast einwirft – selbst mit Abstandswaffen scheint die Ukraine keine potenziell feuernden russischen Maschinen über russischem Kernland angreifen zu dürfen: „Die Art der Auflagen ist, drücken wir das mal höflich aus, unübersichtlich“, wie Bühler sagt. Das beträfe die Systeme, die eingesetzt werden sollen, das beträfe genauso die Munition, die mittels dieser Systeme verschossen werde, das beträfe die Räume, in denen sie eingesetzt werden dürften und den Zweck, wie er sagt.
„Ich meine, im Idealfall – aus operativer Sicht – sollten alle Auflagen fallen“, sagt er. Sollte das politisch ausgeschlossen sein, müssten die jeweiligen Geberländer ihre Systeme harmonisieren und sie für die Ukraine handhabbar machen, fordert er gegenüber dem MDR. Bisher allerdings bleiben die USA diplomatisch vage. Laut der Nachrichtenagentur Associated Press hat der Sprecher des Weißen Hauses für nationale Sicherheit vor der Presse klargestellt, dass die ukrainische Offensive bei Kursk keine Änderung der generellen US-amerikanischen Zurückhaltung nach sich ziehe.
„Sie dürfen von den USA geliefertes Material verwenden, um sich gegen die russische Aggression zu verteidigen“, sagte John Kirby, laut AP. Und, wie Sie wissen, hat der Präsident ihnen erlaubt, über diese Grenze hinweg US-Munition einzusetzen, um unmittelbare Bedrohungen abzuwehren“. Army Recognition sieht allerdings schon Grund zur Vorfreude: Die psychologischen und strategischen Auswirkungen der Ergänzung der JASSM in das Arsenal der Ukraine können nicht unterschätzt werden. Dies könnte den ukrainischen Streitkräften den nötigen Spielraum verschaffen, um Gegenoffensiven zu starten oder Verteidigungspositionen zu festigen.“