Österreichs neue Regierung reformiert ORF – um selbst zu profitieren? „Einfluss bleibt enorm hoch“
Die ORF-Gremien verändern sich. Der politische Einfluss soll geringer werden, sagt die neue Regierung – und sichert sich über eine Hintertür ab.
Kaum im Amt, hat sich die neue österreichische Bundesregierung auf eine Reform des Österreichischen Rundfunks (ORF) geeinigt. So sollen unter anderem die ORF-Gremien neu strukturiert werden. Medienminister Andreas Babler (SPÖ) spricht von einer „Entpolitisierung“ des Rundfunks. Doch in Wahrheit scheint der politische Einfluss nach wie vor vorhanden.
ORF-Gremien: Gericht sah Verstöße gegen Unabhängigkeit
Wie bei ARD und ZDF gibt es auch beim ORF mehrere Gremien. In Österreich sind das Stiftungs- und Publikumsrat. Sie sind dafür zuständig, dass die Grundsätze des Rundfunks gewahrt werden; dass also neutral und überparteilich berichtet wird. Problematisch wird es, wenn gewisse Akteure (zum Beispiel politische Parteien) zu viel Einfluss erhalten. Dann ist die Neutralität nicht mehr sichergestellt.
In Österreich war aber genau das der Fall. So stellte der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2023 Verstöße gegen die „verfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und pluralistischen Zusammensetzung“ fest. Die jetzige ORF-Reform ist also erforderlich, weil die österreichische Justiz Änderungsbedarf sah. Deshalb werden die Gremien nun neu besetzt.

Österreichs ORF-Reform: „Einfluss der Regierung bleibt enorm hoch“
Die neue österreichische Regierung aus konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und liberalen Neos hat Folgendes vor: Künftig sollen nur noch sechs der 35 Mitglieder des ORF-Stiftungsrats von der Regierung kommen. Bislang waren es neun und damit laut Gericht zu viel. Auch, weil zusätzlich noch neun Vertreter von den Bundesländern und sechs von den Parteien kommen, es also zusätzlich politisch wird. Der Stiftungsrat ist das Hauptgremium und leitet beziehungsweise kontrolliert den ORF.
Die Umstrukturierung sorgt für Kritik. „Inhaltlich ist das Gesetz eine absolute Minimallösung“, sagte die österreichische Grünen-Politikerin Sigrid Maurer unserer Redaktion. Sie ist Mediensprecherin sowie stellvertretende Klubobfrau ihrer Partei und kritisiert auch die Besetzung des Stiftungsrats. „Die Bewerbungsfristen für neue Gremienmitglieder laufen nur zwei Wochen und die Begründung für die Auswahl muss ebenfalls nur zwei Wochen online sein“, sagt Maurer. „Das erhärtet den Eindruck, dass hier wieder parteinahe Personen schnell und intransparent bestellt werden sollen.“
Von einer Entpolitisierung kann keine Rede sein.
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Neu ist auch die Regierungsbeteiligung im sogenannten Publikumsrat, der laut Gesetz die Interessen der Zuschauer vertritt. Ihm gehören künftig 28 statt 30 Personen an. Die eine Hälfte wird durch die Bundesregierung ausgewählt, die andere von Organisationen, die im Gesetz festgeschrieben sind, darunter aber auch die Bildungsakademien der Nationalratsparteien. Auch das sorgt für Kritik. „Damit bleibt der Einfluss der Bundesregierung im Publikumsrat enorm hoch“, sagt Maurer.
Der Publikumsrat ist mit dem Stiftungsrat verflochten. Er soll künftig neun statt bisher sechs Mitglieder in den Stiftungsrat entsenden. „Dadurch steigt der Einfluss des Publikumsrats enorm“, sagt Maurer. „Der politische Einfluss der Bundesregierung wird nicht zurückgedrängt, sondern bloß in Richtung Publikumsrat verlagert.“ Für sie ist klar: „Von einer Entpolitisierung, oder besser gesagt einer Entparteipolitisierung, kann deshalb keine Rede sein.“

Österreich: „Die Politik treibt seit vielen Jahren das gleiche Spiel mit dem ORF“
Die jetzigen Änderungen könnten gerade so die Forderung des Verwaltungsgerichtshofs decken, schreibt die österreichische Tageszeitung Der Standard: „Die Novelle erfüllt laut renommierten Rundfunkrechtlern die Minimalanforderungen des Verfassungsgerichtshofs, der einige Bestellregeln gerade als verfassungswidrig regierungsnah aufgehoben hat.“
Und der Kurier kommentiert: „Die Politik treibt seit vielen Jahren und in jeder Farbkonstellation das gleiche Spiel mit dem ORF: Ist die eigene Partei gerade in Opposition, fordert man lautstark das Zurückdrängen des Politeinflusses auf dem Küniglberg (ORF-Sitz, Anm. d. Red.). Ist man selbst in der Regierung, sorgt man unter diesem Schlagwort dann dafür, dass die eigene Partei möglichst viel Einfluss hat.“
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Die Grünen waren bis vor kurzem in der Regierung. Zur Wahrheit gehört daher auch, dass es auch unter der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen keine echte ORF-Reform gegeben hat. Die Koalition brachte zwar ein umfassendes Rundfunkgesetz auf den Weg, änderte aber an den maßgeblichen Gremienstrukturen nichts.
Rundfunkbeitrag in Österreich: Bis zu 20 Euro pro Monat
Damals ging es unter anderem um die Finanzierung des Rundfunks, die auch in der aktuellen Reform auftaucht. So wird der ORF-Beitrag für drei Jahre „eingefroren“, also nicht erhöht. Er beträgt 15,30 Euro im Monat – kann in einigen Bundesländern durch Zusatzabgaben aber auch auf bis zu 20 Euro steigen (siehe Grafik),
Die österreichische Bundesregierung – eine Notlösungskoalition, die das Land nach gescheiterten Koalitionsgesprächen aus ÖVP und rechter FPÖ vor Neuwahlen bewahren soll – lässt die Kritik an der Reform kalt. Bablers Medienministerium ließ eine Anfrage des Münchner Merkur unbeantwortet. Der Minister selbst sprach am Donnerstag im Nationalrat von einem „guten Tag für den Medienstandort Österreich“. Kurze Zeit später beschloss die Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments die ORF-Reform mit der Mehrheit aus ÖVP, SPÖ und Neos.