Zahl der Messer-Attacken steigt: Jugendbanden werden immer gewalttätiger
Bei Amtsrichter Johann Steigmayer landen mehr und mehr Fälle von Messerangriffen. Im Interview spricht er über die Entwicklung und über Hintergründe.
Fürstenfeldbruck – Junge Männer, die nach einem Discobesuch auf andere einstechen oder Jugendliche, die vor einem Einkaufscenter mit dem Messer willkürlich auf ein Opfer losgehen: Diese und ähnliche Vorfälle gab es in der Vergangenheit im Landkreis Fürstenfeldbruck. Je nach Strafmaß landen die Taten bei Richter Johann Steigmayer am Amtsgericht Fürstenfeldbruck. Und die Vorfälle nehmen zu, beobachtet Steigmayer. Im Tagblatt-Interview berichtet er als stellvertretender Pressesprecher des Amtsgerichts, wer die Personen sind, die mit einem Messer bewaffnet herumlaufen.
Immer wieder liest man in Polizeiberichten, dass junge Leute mit Messern bewaffnet von der Polizei erwischt werden oder gar aufeinander losgehen. Viele Fälle landen vor Gericht. Hat sich Ihrer Meinung nach die Situation verschlimmert?
Ja, auf jeden Fall! Ich übe die Tätigkeit im strafrechtlichen Bereich, zunächst als Staatsanwalt und dann als Richter, seit über 30 Jahren aus. Die Situation hat sich gefühlt im Laufe der letzten zehn Jahren massiv verändert. In die Richtung, dass Gruppierungen von jungen Männern sich zusammenschließen und dann durch Gewaltdelikte auffällig werden. Aus diesen Gruppierungen heraus werden dann insbesondere Diebstahls- beziehungsweise Raubdelikte, auch mit Waffen, und/oder auch Körperverletzungsdelikte begangen. In den letzten Jahren ist es zu einem massiven Anstieg derartiger gruppenspezifischer Gewaltdelikte gekommen.
Was bedeutet das in Zahlen?
Die Neueingänge in Jugendstrafsachen sind in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Zuletzt hat ein Richter jährlich circa 550 Jugendstrafsachen und zwischen 70 bis 80 Jugendschöffenverfahren zu bewältigen.
Wie kommt es zu diesen Gruppen- und Messerattacken? Heißt das, junge Männer gehen raus und greifen wahllos jemanden an?
So trifft das sicherlich nicht zu. Zunächst kann festgestellt werden, dass die sozialen Probleme in den letzten Jahren größer geworden sind und diese sich in dem Verhalten der jugendlichen Personen manifestieren. Auffällig bei diesen Personen ist darüber hinaus, dass diese auch durch sogenanntes „Schule-Schwänzen“ und hieraus resultierende Ordnungswidrigkeitsverfahren in Erscheinung treten. Selbstbestätigung erlangen diese Personen nur bei Freunden, die den gleichen sozialen Hintergrund aufweisen. Man trifft sich dann nicht wie andere Jugendliche beispielsweise in Sportvereinen, sondern beim „Herumhängen“ zum Beispiel an der „Tanke“ – O-Ton der Jugendlichen. Gewaltsame Übergriffe sind in der Regel nicht geplant. Wenn dann noch Waffen wie etwa Messer mitgeführt werden, was immer häufiger vorkommt, entstehen Gewaltexzesse, die in früheren Jahren in meiner beruflichen Tätigkeit so nicht stattgefunden haben. Ich denke hier an einen Fall, der in Fürstenfeldbruck zu einem versuchten Tötungsdelikt geführt hat. Der Haupttäter ist zu einer langjährigen Jugendstrafe verurteilt worden.
Warum haben die Personen überhaupt ein Messer dabei?
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Die Frage an die jeweiligen Angeklagten wird häufig damit beantwortet, dass eine Bewaffnung diesen nötig erscheint, um sich vor anderen Personen, die ebenfalls bewaffnet sind, zu verteidigen.
Inwieweit können Sie als Richter etwas bewirken?
Um die Gewaltspirale zu durchbrechen, werden in solchen Fällen von uns gerne Waffenverbote ausgesprochen. Diese werden dann der jeweiligen zuständigen Polizeidienststelle mitgeteilt mit der Bitte, diese zu überwachen. Bei Verstößen gegen derartige Waffenverbote können als Ungehorsamsfolge bis zu vier Wochen Arrest verhängt werden. Der Jugendliche muss wissen, dass Verstöße gegen richterliche Weisungen sofortige und spürbare Reaktionen nach sich ziehen.
Wer sind die Personen, die mit Messer bewaffnet herumlaufen oder gar angreifen?
Meist sind dies junge Menschen und in den allermeisten Fällen junge Männer. Häufig haben diese Personen einen Migrationshintergrund mit einem völlig anderen Sozialisationshintergrund und einer Wertevermittlung, die mit der unseren nicht ohne weiteres korrespondiert. Häufig werden auch in diesem Kulturkreis Rollenverständnis und Männerbilder vermittelt, die bei uns eher befremdlich wirken und so Gewalteskalationen begünstigen. Es muss natürlich klargestellt werden, dass diese Problemstrukturen auch bei Personen aus dem hiesigen Kulturkreis ohne Migrationshintergrund ebenso auftreten, jedoch nicht in diesem Ausmaß. Diese Problemstellung verschärft sich noch mehr, wenn Personen aus anderen Kulturkreisen ins Land kommen, bei denen aufgrund des Alters ein Großteil der Erziehung in dem anderen Kulturkreis stattgefunden hat. Wenn es dann an den schulischen Voraussetzungen fehlt, ist es nach der gerichtlichen Erfahrung kaum mehr möglich, in Ausbildung und Wertevermittlung ein Grundgerüst zu schaffen.
Heißt, wenn die jungen Menschen zur Schule gehen würden, gäbe es das Problem nicht mehr?
Ich denke, dass eine Ganztagsbeschulung und auch eine frühzeitige intensive Vorschulbetreuung dieser Entwicklung entgegenwirken könnte. Man sollte sich auch nicht der Illusion hingeben, dass Schule alles leisten kann. Wenn dann in diesen Problemfällen festgestellt werden muss, dass sich diese Personen der Einflussnahme von elterlichen Erziehungspersonen, falls vorhanden, aber auch der Einflussnahme von Jugendämtern entziehen, stoßen dann auch Gerichte an ihre Grenzen.
Wie reagieren Sie als Richter?
Das Jugendstrafrecht ist richtigerweise als Erziehungsstrafrecht angelegt. Aufgabe des Jugendstrafrichters ist es, erzieherisch auf Jugendliche beziehungsweise auf Heranwachsende einzuwirken. Das Jugendstrafrecht gibt dem Richter ein Bündel von Möglichkeiten zur Hand, auf angemessene und gebotene Weise auf die Entwicklung dieser Personen Einfluss zu nehmen. In der Regel sind dies Hilfsangebote an die jeweiligen Personen, mit denen versucht wird, auf die Entwicklung dieser Personen positiv Einfluss zu nehmen. Erst wenn derartige Hilfsangebote nicht angenommen werden oder nicht zielführend sind, können auch sogenannte Zuchtmittel, wie beispielsweise Arrest, bis zu vier Wochen verhängt werden.
Wie reagieren die Jugendlichen auf solche Strafen?
Die Rückmeldung zu verbüßtem Jugendarrest gibt Anlass zur Hoffnung. Der ein oder andere hat schon mitgeteilt: „Nie mehr wieder“. Erst an letzter Stelle, wenn Arrest nicht ausreicht, wird auch die Verhängung von Jugendstrafe zu prüfen sein.
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