Mut zum Absurden im Landsberger Rathauskonzert „Silence is golden“

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Mut zum Außergewöhnlichen: (v.l.) Klarinettist Kilian Herold, Sopranistin Sarah Maria Sun und Pianist Jan Philip Schulze bei der Interpretation von Bernsteins „What a Movie“ beim Rathauskonzert „Silence is golden“. © Greiner

Um etwas mal ganz anders zu machen als sonst, braucht es Mut. Den beweisen beim Rathauskonzert „Silence ist golden“ nicht nur die Musizierenden Sun, Herold und Schulze. Sondern auch die Macher der Landsberger Konzertreihe.

Landsberg – Woher die Weisheit kommt, dass Reden Silber, Schweigen aber Gold sei, ist nicht bekannt. Wo der Programmtitel des Rathauskonzerts „Silence is golden“ seinen Ursprung hat, weiß das Publikum am Ende: Es ist ein Zitat aus dem letzten Stück. Zugegebenermaßen, kein leicht Verdauliches. Eher ein ungemein Abstruses. Und vielleicht hätte mancher lieber der Stille gelauscht. Doch gerade diese Stückauswahl zeichnet das Trio Herold, Sun und Schulze aus. Und beweist ihren Mut, sich für neue Klassik ins Chaos ins Kalte zu stürzen.

Landsberger Rathauskonzert „Silence is golden“: ur-romantisch und völlig grotesk

Die Drei können natürlich auch anders. Zum Beispiel ur-romantisch mit Schuberts „Hirt auf dem Felsen“, bei dem sich Klarinettist Kilian Herold auf Zehenspitzen in das Klavierspiel von Jan Philip Schulze schleicht, gefolgt von einem sanften Gesangsstart von Sarah Maria Sun. Deren Sopran ist leicht, klar, singt vom Schmerz der Einsamkeit und dem heiß ersehnten, aber weit entfernten Liebchen. Man schwelgt, das Publikum ist begeistert. Und dann kommt die Wende: Gerade noch Sopran, gibt Sun ihrer Stimme bei Gershwins „The Man I love“ eine andere Farbe. Weiter klar, aber im Jazz zuhause. Und ungemein ausdrucksstark. Das Stück zeigt den Fokus, den das Trio legt: eher Musical als Sonate. Aber das auf ungewohnten Pfaden.

Schon in der Konzerteinführung warnt Sun vor „vollkommen verrückten Sachen“. Und Herold empfiehlt dem Publikum „Folgen Sie dem Humor.“ Also dem Humor, bei dem man lacht, aber zugleich Magenschmerzen hat. Zum Beispiel bei den „Cabaret Songs“, die Benjamin Britten zusammen mit W.H. Auden verfasst hat – eher unübliches für Britten. „Tell me the truth about Love“ widmet sich dem Thema Liebe in satirischer Weise: Ist die Liebe patriotisch genug? Und wenn sie dann kommt, klopft sie höflich an oder tritt sie einem auf die Zehen? Den schmerzenden Magen liefert Brittens „Funeral Blues“ nach dem Tod des Liebsten, gefolgt von „Johnny“, das Sun mit herrlich gequetschter Kleinmädchenstimme näselt – sodass Johnnys Stirnrunzeln gegenüber den romantischen Ergüssen fast verständlich ist.

Rathauskonzert „Silence is golden“ Landsberg
Sie könnten auch schweigen: Klarinettist Kilian Herold, Sopranistin Sarah Maria Sun und Pianist Jan Philip Schulze beim Rathauskonzert „Silence is golden“. © Greiner

Sun schauspielert gern und begleitet die Lieder mit Gestik und Mimik. In Herold und Schulze hat sie dabei spielfreudige Partner, denen der Schalk mindestens ebenso leicht vom Nacken in den Mund springt. Eine Kostprobe liefern sie in Bernsteins „What a Movie“. Sun rennt, keift, imitiert andere. Und klettert schließlich auf Schulzes Hocker, um mit Herold und dem Pianisten die Absurdität nochmal noch weiter zu treiben. Das ist schräg, ja. Aber auch lässig, humorvoll und spannend. Denn im Text entpuppt sich der Song als Kritik am ‚American Dream‘ – und am respektlosen Umgang mit Native Americans.

Lachen übers Lachen bei den Landsberger Rathauskonzerten

Nach der Pause darf das Publikum bei Mahlers „Lieder aus des Knaben Wunderhorn“ auf Basis von Arnims und Brentanos Texten in der Romantik durchatmen, bevor es richtig schräg wird. Wobei Herolds und Schulzes Duett mit Bernsteins Sonate noch schräg im klassischen Sinne ist: ein Frühwerk Bernsteins, das ungefälliger als dessen West Side Story ist, auch wenn Anklänge davon schon aufblitzen.

Die letzten Stücke treiben das Absurde schließlich auf die Spitze: Georges Aperghis ‚Abhandlung‘ über das Lachen („Le Rire Physiologique“), eine Theaterszene zwischen Sun und Schulze mit gesprochenem Text, schräger Musik – und Lachen. Und der Geheimpolizist in György Ligetis „Mysteries of the Grand Macabre“ flüstert, zischt und kräht tatsächlich so hysterisch und schrill – eine gesangliche Meisterleistung –, wie von Sun in der Einführung angekündigt. Ist auch kein Wunder, geht es doch um einen vom Teufel gesendeten, weltzerstörenden Meteoren, ein Stück, das Ligeti selbst als „Anti-Oper“ bezeichnet hat.

Mit einem typisch klassischen Konzert hat dieses Rathauskonzert nur noch wenig zu tun. Zum Glück – und dafür auch ein Dank an die wagemutigen Kuratoren der Rathauskonzerte Christoph Hartmann und Franz Lichtenstern. Natürlich sind Barber, Bach, Beethoven und Bruckner Meister. Aber auch sie gewinnen durch Kontrast: In Abgrenzung zu dem, was sonst noch in der Klassik wartet. Und das sind, wie Herold, Sun und Schulze mit Können, Mut und grenzenlosem Humor zeigen, ungeahnte Tiefen.

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