„China tut alles, um Russlands Militärmaschinerie zu stärken“: Welche Karte Europa jetzt spielen sollte

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„Ohne die Unterstützung durch China stünde Russland viel schlechter da“, sagt die Diplomatin Natalie Sabanadze. Europa müsse deswegen auf einen wunden Punkt der Chinesen zielen.

„Die Annäherung zwischen China und Russland: eine Bedrohung für die Sicherheit Europas“ lautet der Titel einer neuen Studie der drei Denkfabriken Merics, Chatham House und GMF. Minutiös legen die Autoren dar, wie Peking den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt und welche Folgen sich daraus für Europa ergeben. Koautorin ist die georgische Diplomatin Natalie Sabanadze. Sie sagt im Interview: „China versucht auf viele Arten, die Sicherheit in Europa zu unterminieren. Aber nirgends wird das so deutlich wie bei seiner Unterstützung für Russland.“

„China ist auf Russland angewiesen“

Frau Sabanadze, der finnische Präsident Alexander Stubb hat kürzlich in einem Interview gesagt, ein Anruf von Chinas Staatspräsident Xi Jinping genüge, damit Wladimir Putin seinen Krieg gegen die Ukraine stoppe. Ist es wirklich so einfach?

Nein, so simpel ist es natürlich nicht. Man liest oft, dass Russland der Vasall China sei, aber das glaube ich nicht. Denn auch China ist auf Russland angewiesen – als Partner, mit dem es die Welt nach seinem Willen umgestalten kann. Deshalb soll Russland aus chinesischer Sicht möglichst stark bleiben. Ein schwaches Russland, das nicht mehr ist als ein Schoßhund der Chinesen, ist nicht im Interesse Pekings.

Heißt das auch, dass China nicht will, dass Russland im Ukraine-Krieg eine Niederlage erleidet?

Ja, China wünscht sich keine russische Niederlage. Ich denke aber auch, dass Xi Jinping nicht auf einen überragenden Sieg der Russen hofft, denn das würde die Machtbalance zwischen beiden Ländern zugunsten Moskaus verändern. Ein Konflikt, der sich lange hinzieht und den Westen auf lange Zeit bindet, ist eher im Interesse der Chinesen.

Zur Person

Natalie Sabanadze ist Senior Research Fellow mit Schwerpunkt Russland und Eurasien bei der Londoner Denkfabrik Chatham House. Zuvor war sie unter anderem georgische Botschafterin in Belgien und Luxemburg sowie Leiterin der georgischen Vertretung bei der EU.

Natalie Sabanadze
Natalie Sabanadze © privat

Von was für einer Welt träumt Xi Jinping?

China will, wie auch Russland, die weltweite Vormachtstellung der USA beenden. Peking macht das aber nicht auf eine so offene, konfrontative Weise wie Moskau. Sondern schrittweise, quasi hinter den Kulissen. Mit Militärübungen, hybriden Operationen, Fake-News-Kampagnen – oder indem es westliche Interessen im Globalen Süden unterminiert. Das ist in gewisser Weise eine klügere Methode, denn sie macht es für den Westen schwieriger, sich darauf zu verständigen, dem etwas entgegenzusetzen. Weil die Gefahr auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen ist.

„Der Ukraine-Krieg ist für China eine Chance“

Gleichzeitig hat China von der regelbasierten Ordnung so stark profitiert wie kaum ein anderes Land.

Das stimmt. Die Globalisierung nach westlichem Modell hat maßgeblich dazu beigetragen, dass China zur wirtschaftlichen Weltmacht geworden ist. Deswegen will China diese Ordnung auch nicht komplett zerstören, sondern nach seinen eigenen Vorstellungen umformen. Das unterscheidet China von Russland – obwohl auch Russland von der Globalisierung profitiert hat.

Welche Rolle spielt bei all dem der Ukraine-Krieg?

Russland hat diesen Krieg begonnen, aber der Krieg ist auch für China eine Chance. Nicht nur, weil der Krieg den Westen schwächt. Er hat auch die Rolle Chinas gestärkt. Das sieht man ja an Äußerungen wie jener des finnischen Präsidenten: Auf einmal gilt China als einflussreiche Großmacht, und wir glauben, ein Anruf von Xi könnte die Sicherheit in Europa wiederherstellen. Der Krieg hat, zumindest in dieser Hinsicht, Pekings internationales Ansehen deutlich verbessert.

Wie sieht Russland diese Entwicklung?

Für Russland geht es natürlich darum, den Krieg zu gewinnen. Sollte es das schaffen, schwächt das nicht nur den Westen, sondern stärkt auch die russische Position gegenüber China. Russland nutzt also China und die Unterstützung, die die Chinesen bieten, um sich gegenüber China auf lange Sicht besser zu positionieren.

Gibt es für China rote Linien, die Russland nicht überschreiten darf?

Ich denke, eine rote Linie ist der Einsatz von Atomwaffen. Eine derartige Destabilisierung des internationalen Systems wäre nicht im Interesse Chinas. Deswegen wirkt Peking mäßigend auf Russland ein. Aber der Einfluss Chinas sollte auch nicht überbewertet werden. Das sieht man derzeit ja auch im Verhältnis zu Nordkorea. Nordkorea ist abhängig von China, beide Länder verbindet eine sehr eine Beziehung. Und trotzdem bekommt China Nordkorea nicht unter Kontrolle. Warum sollte das mit Russland anders sein?

Xi Jinping und Wladimir Putin im Mai in Peking
Mehr als 40-mal haben sich Xi Jinping und Wladimir Putin bereits getroffen, unter anderem im Mai in Peking. © Sergei Bobylyov/Sputnik/AFP

„Wir müssen China klarmachen, dass es kostspielig wird, wenn es Russland weiter unterstützt“

Was bedeutet all das für unseren Umgang mit China?

Wir müssen uns einer Sache bewusst sein: China tut alles, um Russlands Militärmaschinerie zu stärken. Etwa, indem es Dual-use-Güter an Russland liefert (für zivile und militärische Zwecke nutzbare Güter, Anmerkung d. Red.). Ohne die Unterstützung durch China stünde Russland viel schlechter da. Auch die Sanktionen, die der Westen gegen Moskau erlassen hat, hätten viel stärkere Auswirkungen, wenn China nicht helfen würde, sie zu unterminieren.

Was folgt daraus?

Chinas Unterstützung für Russland ist eine existenzielle Gefahr für Europa. Und trotzdem wird bislang nur Russland als eine solche Gefahr wahrgenommen – und China noch immer als Möglichkeit, Geschäfte zu machen. Das passt nicht zusammen, diese Wahrnehmung muss sich ändern. Leider glauben viele in Europa noch immer, man könne bis zum letzten Moment Geld mit China machen. Dieser Fehleinschätzung sind wir schon im Falle Russlands erlegen. China versucht auf viele Arten, die Sicherheit in Europa zu unterminieren. Aber nirgends wird das so deutlich wie bei seiner Unterstützung für Russland. Deswegen können wir nicht weiter so tun, als ob China nur Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale ist, und die Sicherheitsrisiken für Europa ausblenden.

Was sollte Europa also tun?

Wir müssen China klarmachen, dass es kostspielig wird, wenn es Russland weiter unterstützt. Das ist ein sensibler Punkt für die Chinesen. Sie wollen nicht, dass ihre Unternehmen, dass ihre Wirtschaft leidet. Europa ist für China sehr wichtig, vor allem wirtschaftlich. Und das ist eine Karte, die wir ausspielen sollten.

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