Freundin erfror alleine am Großglockner, nun packt beschuldigter Bergsteiger aus
Fast ein halbes Jahr seit dem Todesdrama am Großglockner hat ein 36 Jahre alter Bergsteiger aus Salzburg zum genauen Ablauf der Nacht geschwiegen. Außer, dass seine Freundin erschöpft gewesen sei und ihm "die Sache unendlich leidtut", hatte er zu den merkwürdigen Umständen der tragischen Winterbergtour auf Österreichs höchsten Berg bisher geschwiegen. Eine Tour, an deren Ende seine 33 Jahre alte Begleiterin, von ihm alleingelassen, nur kurz unterhalb des Gipfels im Eissturm erfror.
Nun hat er sich gemeldet. Und überrascht mit der Behauptung, die Alpinpolizei habe in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar nicht ihren Job gemacht: alpine Notfälle entgegenzunehmen.
Kripo wirft Bergsteiger vor, sie bei Ermittlungen zu Großglockner-Drama in Misskredit zu bringen
Zwei Tage, nachdem seine Stellungnahme über seinen Anwalt Kurt Jelinek bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck Ende voriger Woche ins Haus flatterte, hat die Tiroler Polizei zurückgeschlagen. Der Alpinist, erklärte ein Sprecher, habe zu dem von ihm behaupteten Zeitpunkt keine Notsituation gemeldet, sondern deutlich später. Man verwahre sich dagegen, dass Alpinpolizisten, die sich "regelmäßig unter Einsatz ihres eigenen Lebens" der Rettung von in Not Geratener verschrieben hätten, "aus verfahrenstaktischen Grünen im Vorfeld eines klärenden Verfahrens öffentlich in Misskredit" gebracht würden.
Dieses Wortgefecht ist lediglich ein bizarres Detail in einem Drama mit bislang nur schwer nachvollziehbaren Entscheidungen des Bergsteigers. Deswegen ermitteln Tiroler Staatsanwaltschaft und Kripo gegen ihn wegen des Verdachts der "grob fahrlässigen Tötung". Und seine Angaben zu den Geschehnissen auf der Tour, die am dritten Januarsamstag um 6.45 Uhr in Kals südlich vom 3798 Meter hohen Großglockner begann, lassen ihn in einem noch merkwürdigeren Licht erscheinen.
Erster Notruf spielt wichtige Rolle bei Rekonstruktion des Glockner-Dramas
Der Moment des ersten Notrufs spielt bei der Rekonstruktion des Verlaufs der fatalen Bergtour eine wichtige Rolle. Anwalt Jelinek bestätigte jetzt gegenüber FOCUS online, dass sein Mandant in der Stellungnahme erklärte, er habe am 19. Januar um 0.35 Uhr mit seinem Handy den ersten Notruf bei der Alpinpolizei abgesetzt und um schnellstmögliche Rettung gebeten. Als Grund habe er einen unerwarteten und ernsten Erschöpfungszustand seiner Freundin angegeben. Die beiden hätten sich zu jenem Zeitpunkt "nur etwa 30, 40 Meter" unterhalb des 3798 Meter hohen Glocknergipfels befunden.
Der Alpinpolizist, der den Anruf entgegengenommen hatte, behauptet hingegen das exakte Gegenteil. "Das Vorliegen einer Notsituation wurde auch in diesem Telefonat nicht zum Ausdruck gebracht", heißt es dazu in einer Pressemitteilung. Dies sei erst "mehr als zwei Stunden später" bei einem zweiten Anruf erfolgt. Ein Hubschraubereinsatz sei wegen der schon zuvor "widrigen Flugbedingungen" inzwischen nicht mehr möglich gewesen. Ein sechsköpfiger Rettungstrupp, der sich dann zu Fuß auf den Weg zum Gipfel machte, hatte die 33-Jährige gegen 10 Uhr nur noch tot kurz unterhalb des Glocknergipfels bergen können.

Nachts auf Glocknergrat: Bergsteiger geben Rettungshubschrauber keine Notsignale
Dass irgendetwas nicht stimmte bei dieser Winterbergtour, die allein wegen Schnee und Eis ungleich schwerer ist als im Sommer, war bereits anderen Bergsteigern aufgefallen. In den frühen Abendstunden hatten sie auf mehreren Webcams Lichtspuren der Stirnlampen der beiden Bergsteiger entdeckt und vermutet, dass die beiden am Stüdlgrat offenbar langsamer vorankamen, als sie sollten.
Aus diesem Grund war dann auch ein Rettungshubschrauber der Alpinpolizei aufgestiegen. Als der Heli die beiden Bergsteiger gegen 22.30 Uhr mit Suchscheinwerfern lokalisieren und Sichtkontakt herstellen konnte, hätten diese jedoch "kein Hilfssignal gegeben, sich vielmehr abgewendet", bestätigte die Polizei. Der Rettungsflug wurde dann auch abgebrochen.
Schon am frühen Abend sorgen sich Augenzeugen um Salzburger Alpinisten
Die Tour des Salzburger Duos hatte schon kurz nach dem Unglück bei mehreren Profi-Bergsteigern schnell für Verwunderung gesorgt. Zum einen, weil die Wetterbedingungen an jenem Tag wegen starken Windes und Temperaturen von fast Minus 10 Grad problematisch waren. Zum anderen, weil die beiden als gut trainiert geltenden Bergsteiger offenbar schon am Vormittag Zeit verloren hatten und relativ spät am sogenannten "Frühstücksplatzerl" auf dem Stüdlgrat angekommen sein sollen.
Ab dem "Frühstücksplatzerl" ist eine Umkehr auf dieser Route nicht mehr möglich, das wisse jeder Bergsteiger, der sich gewissenhaft auf eine Glocknertour vorbereite, hatte der erfahrene Bergführer Peter Suntinger FOCUS online bestätigt. Eine Umkehr an dieser Stelle wäre daher wohl "die einzig verantwortungsvolle Entscheidung gewesen".
Glockner-Bergführer Suntinger: "Alleinlassen der Freundin war ihr Todesurteil"
Nachdem der Rettungshubschrauber um 22.30 Uhr unverrichteter Dinge wieder talwärts abdrehte, gab es mehrere Entscheidungen, die der Berg-Experte nicht nachvollziehen kann. Zum Beispiel, warum der 36-Jährige nicht sofort einen Notruf abgesetzt habe. Dazu muss man wissen, dass der Öffentlichkeit bis vor wenigen Tagen noch nicht bekannt war, dass es einen Anruf um 0.35 Uhr gegeben hatte, den der 36-Jährige offenbar erst in seiner am 19. Juni abgegebenen Stellungnahme als Notruf bezeichnet.
Suntinger versteht ebenfalls nicht, warum der beschuldigte Bergsteiger seine Freundin schließlich alleinließ, um Hilfe zu holen. "Im Grunde war das ihr Todesurteil, der reine Horror. Es wäre sicher besser gewesen, sie zumindest in den Biwaksack zu stecken und vor dem eisigen Wind geschützt vielleicht in eine Mulde zu legen", so Suntinger.
Auch Christian Eder, Ausbildungsleiter der Tiroler Bergwacht, haderte mit dem Verhalten des Salzburger Bergsteigers. "Jemanden auf dem Berg allein lassen sollte man eigentlich nicht", sagte Eder kurz nach dem Unglück österreichischen Medien. Wenn man jedoch nur zu zweit sei, einer Hilfe benötige und man keinen Handyempfang habe, dann muss man ihn allein lassen "und den anderen entsprechend in einem Biwaksack hüllen".
Polizei findet nach Bergung der erfrorenen Alpinistin einen unbenutzten Biwaksack
Pikant: Die 33-Jährige hatte einen Biwaksack dabei. Die Polizei fand ihn nach der Bergung ihrer Leiche später verpackt in ihrem Rucksack. Und Handyempfang war an jenem Abend auch kein Problem, wie der Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft FOCUS online schon Anfang Mai bestätigt hatte.
Die Polizei hatte zudem bereits vor dem Einsatz des Rettungshubschraubers mehrfach versucht, den 36-Jährigen mit Anrufen und Textnachrichten zu erreichen. Der Beschuldigte habe dies nicht bemerkt, da das Handy bei Anrufen und Nachrichten nur leicht vibriert habe, erklärte sein Anwalt Jelinek. Sein Mandant habe die Nachrichten erst entdeckt, als er seinen angeblich ersten Notruf um 0.35 Uhr machen wollte - etwa eine Stunde, nachdem sich der Zustand der Freundin verschlechtert habe.

Anwalt des Beschuldigten: "Freundin hat meinen Mandanten selbst aufgefordert, Hilfe zu holen"
Bei den pathologischen Untersuchungen soll sich laut Jelinek herausgestellt haben, dass die Freundin seines Mandanten möglicherweise an einer viralen Grippeinfektion litt, was die plötzliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes erklären könnte. Sein Mandant selbst habe sich ebenfalls schlecht gefühlt, als er um 0.35 Uhr die Alpinpolizei angerufen habe. Auch davon war bisher offenbar nicht die Rede gewesen.
Der Salzburger habe sich "stundenlang um seine Freundin gekümmert", schildert Jelinek die Erzählungen seines Mandanten. Gegen 2 Uhr früh, als die Getränke, die die beiden dabeihatten, bereits alle gefroren waren, "hat seine Freundin ihn dann selbst dazu aufgefordert, allein zur Schutzhütte Adlersruhe abzusteigen, um zu schauen, ob er dort Hilfe holen könne", so Jelinek. Was sein Mandant dann auch getan habe.
"Was hätte er denn machen sollen - bleiben und vielleicht mit ihr sterben?"
Die Frage, warum sein Mandant diese vielen Informationen so lange zurückgehalten hat, die ihn hätten entlasten können, kommentierte Jelinek mit folgenden Worten: "Er hat auf mein Anraten sein Recht auf Aussageverweigerung wahrgenommen".
Auf die Frage, wie der 36-Jährige erklärt habe, dass er seine total erschöpfte Freundin unterhalb des Gipfelkreuzes allein gelassen hatte, sagte Jelinek: "Was hätte er denn machen sollen, obwohl er ihr nicht helfen konnte? Bleiben und vielleicht mit ihr sterben oder wenigstens zu versuchen, Hilfe zu holen und eine Chance zu wahren, ihr Leben vielleicht noch retten zu können? Diese Situation war unfassbar unmenschlich."
Polizei weist "selbst Irrtum der Alpinisten" in Bezug auf Notruf "entschieden zurück"
Nach Angaben von Jelinek hat sein Mandant zum zweiten Mal um 3.30 Uhr von der Schutzhütte Adlersruhe bei der Polizei angerufen und mitgeteilt, dass er seine Freundin allein habe zurücklassen müssen und um den erneuten Einsatz eines Rettungshubschraubers gebeten.
Zudem, so zitiert die "Kleine Zeitung" aus der Stellungnahme des Bergsteigers, sei es "unrichtig", dass er dem Polizisten beim ersten Anruf um 0.35 Uhr mitgeteilt habe, dass "alles in Ordnung" sei. Dies habe sich auf den Zeitpunkt des Hubschrauberüberflugs um 22.30 Uhr bezogen. Die Tiroler Polizei kommentierte diese Erklärung mit den Worten, dass sie die Schilderungen des Beschuldigten "entschieden zurückweist - ja selbst im Fall eines Irrtums von Seiten der Alpinisten".
Tiroler Staatsanwaltschaft erwägt "alpintechnisches Gutachten"
Für Rechtsanwalt Jelinek handelt es sich bei der Tragödie um einen "tragischen Unglücksfall". Die beiden Sportler seien zu Beginn der Tour "in sehr guter körperlicher Verfassung gewesen, adäquat vorbereitet und gut ausgerüstet". Zudem hätten beide über "einschlägige alpine Erfahrung" verfügt.
Auf eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens, die der Beschuldigte angeregt haben soll, wird sich die Staatsanwaltschaft jedoch nicht einlassen. "Die Ermittlungen laufen weiter", teilte eine Sprecherin FOCUS online auf Anfrage mit und kündigte an, dass man "eventuell zusätzlich ein alpintechnisches Gutachten anfordern" werde.