Sozialhilfe-Empfänger darf in zu teurer Wohnung bleiben – weil Sozialamt nicht eingreift

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Der Zugang zum Wohnungsmarkt ist für Menschen mit Behinderungen generell erschwert. Ein Urteil zeigt, welchen Anspruch die Hilfeempfänger haben.

München – Wer Sozialhilfe erhält, hat in der Regel auch einen Anspruch auf die Übernahme von Wohnkosten. Laut dem Portal Betanet.de übernimmt das Sozialamt im ersten Bezugsjahr (Karenzzeit) „die tatsächlichen und danach die angemessenen Kosten der Unterkunft im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“.

Schwerbehinderte Sozialhilfe-Bezieher können besondere Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben. Erkennbare Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten könnten dabei die Chancen auf angemessenen Wohnraum mindern. Ein Kasseler Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zeigt, dass das Sozialamt behinderte Menschen dann nicht allein lassen darf.

Ein Mann sitzt auf einer Couch, vor ihm steht ein Rollstuhl.
Menschen mit erkennbaren Beeinträchtigungen haben meist einen erschwerten Zugang zum Wohnungsmarkt © Westend61/ Imago

Schwerbehinderte Sozialhilfe-Empfänger klagt – Sozialamt muss bei Wohnungssuche unterstützen

Wie das Sozial-Magazin gegen-hartz.de berichtet, können schwerbehinderte Sozialhilfe-Bezieher Anspruch auf Unterstützung bei der Wohnungssuche durch den Leistungsträger haben. Bleibt die Hilfestellung aus, dürfen die Betroffenen in ihrer bisherigen Wohnung bleiben – auch wenn das Sozialamt diese für zu teuer hält, so das Urteil (Az.: B 8 SO 7/21 R) des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel.

Geklagt hatte eine unter Epilepsie leidende Frau (GdB von 50), die mit ihrem geistig behinderten Ehemann (GdB 90) seit dem Jahr 2010 in einer Mietwohnung lebt. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente und zudem Sozialhilfe. Er arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen und bekommt eine auskömmliche Rente, weshalb er nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist.

Dem Sozialamt ist die Miete des Ehepaares von 565 Euro monatlich warm zu hoch. Dagegen wehrte sich die Frau. Bemühungen um eine günstigere Wohnung seien nach Eigenaussage erfolglos gewesen.

Auch bei Bürgergeld-Beziehenden werden die Wohnkosten in angemessener Höhe übernommen – was eine schriftliche Aufforderung zur Verringerung der Wohnkosten für die Betroffenen bedeutet.

Wegen relevante Besonderheit – Behindertes Ehepaar kann in teurer Wohnung bleiben

„Der Zugang zum Wohnungsmarkt ist für Menschen mit geistigen, psychischen oder seelischen Behinderungen generell erschwert, etwa durch Vorbehalte von Vermietern gegenüber diesem Personenkreis“, so das BSG. Die Beeinträchtigungen könne demnach zu einer „erheblichen Einschränkung oder sogar Verschlossenheit des Wohnungsmarkts“ führen.

Nach dem Kasseler Urteil dürfe „die Träger der Sozialhilfe den Hilfeempfängern, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern habe sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen“. Biete das Amt keine Hilfe an oder könne ebenfalls keine günstigere Wohnung finden, sei „grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der (gegenwärtigen) Wohnung auszugehen“. 

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen soll nun nach diesen Maßgaben den Umfang der Beeinträchtigungen des Paares prüfen und dann erneut über den Rechtsstreit entscheiden. 

Immer mehr Rentner sind auf Sozialhilfe angewiesen

Die Sozialhilfe ist dafür da, Menschen in Notsituationen zu helfen, die ihren Bedarf nicht mehr aus eigenen Mitteln und Kräften decken können. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) beschreibt die Sozialhilfe als „Auffangnetz“, das vor Armut und sozialer Ausgrenzung schützen soll.

Ein ganzes Leben gearbeitet und trotzdem reicht die Rente vielen nicht zum Leben. Immer mehr Senioren in Deutschland sind zusätzlich zu ihrer Rente auf Sozialhilfe angewiesen. (vw)

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