In Deutschland leben schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Bei Betroffenen verschlechtern sich dabei über einen längeren Zeitraum verschiedene geistige Fähigkeiten, konkrete Symptome können etwa Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, der Orientierung oder auch der Konzentration sein.
Die Ursachen sind dabei vielseitig und können von der Alzheimer-Krankheit über Durchblutungsstörungen im Gehirn bis hin zu Alkoholmissbrauch reichen. Auch wenn eine Demenz in den meisten Fällen nicht heilbar ist, kann eine frühe Diagnose entscheidend sein, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen und zu verzögern. In den meisten Fällen bemerken Betroffene ihre Erkrankung allerdings erst, wenn sie schon starke Symptome haben.
Eine neue Studie, veröffentlicht im "Journal of Internal Medicine", kommt nun zu dem Schluss, dass ein bestimmter Eiweißwert im Urin dabei unterstützen könnte, das Demenzrisiko konkreter einzuschätzen.
Erhöhter Albuminwert mit 30 Prozent höherem Risiko verbunden
Das Forschungsteam aus Schweden und den Niederlanden hatte die Gesundheitsdaten von insgesamt 133.000 Menschen über 65 Jahren ausgewertet. Über eine durchschnittliche Beobachtungszeit von etwa vier Jahren entwickelten 9435 Personen, also sieben Prozent, eine Demenz.
Die Forscher untersuchten den Zusammenhang zwischen der Diagnose und dem Vorkommen eines bestimmten Eiweißes im Urin, das sogenannte Albumin. Sie stellen fest, dass Personen mit einer
- mäßigen Albuminkonzentration im Urin, also 30 bis 299 Milligramm pro Gramm, ein um 25 Prozent höheres Risiko hatten, an Demenz zu erkranken.
- Menschen mit hohen Konzentrationen, also über 300 Milligramm pro Gramm, hatten sogar ein um 37 Prozent höheres Risiko.
Zum Vergleich: Als normal gelten Konzentrationen unter 30 Milligramm pro Gramm. Andere Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes wurden in der Analyse berücksichtigt.
Bekannt von chronischen Nierenerkrankungen
Albumin ist vor allem aus der Nephrologie, also der Nierenheilkunde, als diagnostischer Marker bekannt. Denn eigentlich sollte es nur im Blut vorkommen. Ist es aber im Urin erhöht nachweisbar, deutet eine solche Albuminurie, eine Schädigung der Nierenfilter, auf eine gestörte Funktion der Nieren hin.
Forscher vermuten schon länger, dass chronische Nierenerkrankungen ein Risikofaktor für Demenz sein könnten. Mehr als neun Millionen Menschen haben in Deutschland ein chronisches Nierenleiden, nur etwa ein Drittel ist sich dem überhaupt bewusst.
Dabei nimmt die Leistung der Nieren über einen längeren Zeitraum kontinuierlich ab, bis sie im schlimmsten Fall gar nicht mehr funktionieren. Das kann zu verschiedenen Problemen führen, darunter
- Bluthochdruck
- Störungen des Nervensystems und Knochenstoffwechsels
- Blutarmut
- verkalkte Arterien und daraus folgend Herzinfarkt und Schlaganfall
- Herzrhythmusstörungen, die bis zum Herzstillstand führen können.
Risikofaktor unabhängig von der Nierenfunktion
Das gesteigerte Demenzrisiko bei erhöhten Albuminwerten zeigte sich jedoch auch unabhängig von der Nierenfunktion. Das lässt darauf schließen, dass die neurodegenerative Krankheit nicht allein auf die geschädigten Nieren zurückzuführen ist, sondern beide Erkrankungen gemeinsam auftreten.
Denn während bei einer geschädigten Niere Proteine in den Urin austreten, geht das Team davon aus, dass es im Gehirn genau andersherum verlaufen könnte. Eine beschädigte Blut-Hirn-Schranke ermögliche es Giftstoffen und Entzündungsmolekülen, in das Hirngewebe einzudringen. Mit der Zeit erhöht sich so das Risiko von
- Gefäßschäden,
- Entzündungen
- und der Ansammlung schädlicher Proteine, die mit Demenz in Verbindung stehen.
"Nieren und Gehirn mögen wie sehr unterschiedliche Organe erscheinen, aber sie haben eine wichtige Gemeinsamkeit: Beide sind auf ein empfindliches Netzwerk kleiner Blutgefäße angewiesen. Wenn die Blutgefäße in den Nieren geschädigt sind, tritt der gleiche Prozess oft im Gehirn auf“, sagt Hong Xu, leitende Autorin der Studie.
Eine Ursache von Demenz sticht besonders hervor
Da eine Demenz ganz verschiedene Ursachen haben kann, untersuchte das Forschungsteam diese genauer. Es zeigte sich, dass die erhöhten Albuminwerte vor allem mit einem gesteigerten Risiko für eine
- gemischte,
- vaskuläre
- und unspezifische (Ursache unklar)
Demenz verbunden war.
Am stärksten war der Zusammenhang bei der vaskulären Demenz. Nach der Alzheimer-Krankheit zählt sie zur zweithäufigsten Demenzform. Sie wird häufig durch Durchblutungsstörungen und in Folge Schlaganfall, Bluthochdruck, Diabetes oder anderen Gefäßerkrankungen verursacht. Die gemischte Demenz vereint Merkmale der vaskulären Demenz und der Alzheimer-Krankheit.
Es zeigte sich jedoch kein Zusammenhang zwischen dem Albuminwert und der Alzheimer-Demenz.
Albuminwert lässt sich einfach testen
Die Forscher fanden den Zusammenhang sowohl bei genauen Labortests als auch bei einfachen Urinteststreifen. Diese werden oft beim Hausarzt bei Verdacht auf Nierenerkrankungen und Diabetes-Kontrolluntersuchungen verwendet.
Laut der Autorin unterstreichen die Ergebnisse jedoch die Relevanz von routinemäßigen Screenings auf Albuminurie als Teil einer frühzeitigen Demenzrisikobewertung." Eine frühzeitige Erkennung von Albuminurie könnte den Ausbruch einer Demenz möglicherweise verzögern oder verhindern“, kommentiert Studienautorin Hong Xu die Ergebnisse.
Auch in Deutschland zählt Albumin derzeit nicht zu den klassischen Risikofaktoren, die beim Hausarzt im Rahmen diverser Screenings getestet werden – noch nicht einmal, wenn es um die Nierenfunktion geht. Das hatte zuletzt auch Julia Weinmann-Menke von der Universitätsmedizin Mainz im Vorfeld der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) bemängelt.