„Absolut unglaublich“: Russland baut seine Atomwaffensilos massiv aus – Baupläne gesichtet

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„Absolut unglaublich“: Russland baut seine Atomwaffensilos massiv aus – Baupläne gesichtet

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Datenleak gefunden – Millionen von Dokumenten offenbaren, dass Putin seiner Atomdoktrin Taten folgen lässt und dem Westen zeigt, was ihm drohen kann.

Jasnyj – Als eine „enorme Sicherheitsverletzung“ bezeichnet Tom Røseth den Inhalt der Dokumente: Brisant erscheinen dem Wissenschaftler vom Norwegian Defence University College die vom Nachrichtenmagazin Spiegel und der dänische Ermittlungsgruppe Danwatch aufgedeckten Pläne Wladimir Putins zum Ausbau der Infrastruktur seiner Atomwaffen-Anlagen in Russland und befreundeten Staaten. Sogar ein deutsches Unternehmen soll Baumaterial geliefert haben.

Start einer Samrat-Interkontinentalrakete im Bezirk Arkhangelsk: Wie aktuelle Satellitenbilder zeigen, verstärkt Russland seine Standorte mit Silos für Atomwaffen. Beobachter gehen davon aus, dass Putin ganz recht ist, wenn der Westen weiß, zu was er fähig ist. © IMAGO/Russian Defence Ministry

Der Spiegel bezieht sich beispielsweise auf ein Bauvorhaben am Nuklearwaffensilo in der Stadt Jasny, rund 2.000 Kilometer östlich der Hauptstadt Moskau. Wie das Nachrichtenmagazin berichtet, lägen ihm Baupläne aus einer russischen Ausschreibungsdatenbank vor – darin würden detaillierte Angaben zu allen relevanten Themen gemacht, beispielsweise auch über Mengen und Quellen von Zement und Gips, Kleber, Isolation und Dämmung, wie der Spiegel schreibt: Sogar von einem deutschen Hersteller aus Unterfranken sollen Baustoffe verwendet werden, will das Nachrichtenmagazin zusammen mit dem dänischen Investigativportal Danwatch herausgefunden haben.

Putins plant: Insgesamt mehr als zwei Millionen Dokumente wollen die Journalisten gesichtet haben

Insgesamt mehr als zwei Millionen Dokumente lägen den Journalisten nach eigenen Angaben vor. Jasny ist dabei nur ein Beispiel – als lediglich einer von elf Standorten, von denen aus Russland die Welt mit landgestützten Atomraketen beschießen könnte; wie die Danwatch-Autoren Mathias Glistrup und Thomas Gösta Svensson schreiben, bewiesen die Papiere, dass in ganz Russland neue Abschussrampen errichtet würden: „Ganze Stützpunkte wurden fast vollständig dem Erdboden gleichgemacht und neu aufgebaut, Hunderte neuer Kasernen, Wachtürme, Kontrollzentren und Lagergebäude errichtet und mehrere Kilometer unterirdischer Tunnel gegraben“, so Danwatch.

„Wenn man versteht, wie der Strom geleitet wird oder woher das Wasser kommt, und wenn man sieht, wie die verschiedenen Dinge in den Systemen miteinander verbunden sind, kann man Stärken und Schwächen erkennen und eine Schwachstelle finden, die man angreifen kann“

Die Journalisten erwecken den Eindruck, als hätten sie in Russlands Sicherheitsarchitektur eine riesige Lücke gerissen. Ihnen zufolge hätten verschiedene Experten Alarm geschlagen, dass die russischen Abschusssilos dem Westen nun auf dem Präsentierteller lägen. Und dadurch angreifbar würden.

Seit dem Ukraine-Krieg haben Atomwaffen für Wladimir Putin wieder Konjunktur. Auf den 24. Februar 2022 datiert das erste „nukleare Signal“ aus Moskau: „Egal, wer versucht, uns im Weg zu stehen oder gar eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, sie müssen wissen, dass Russland sofort reagieren wird, und die Konsequenzen werden so sein, wie Sie sie in Ihrer gesamten Geschichte noch nie erlebt haben. Egal, wie sich die Ereignisse entwickeln, wir sind bereit“, zitiert der US-Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) den russischen Potentaten.

Russland zündelt: „Der Kreml tut alles, um die Nerven des Westens auf die Probe zu stellen“

Inzwischen hat Putin die Atomdoktrin seines Landes verschärft und will sich künftig auch wehren gegen Unterstützer der Ukraine, die Atomwaffen besitzen – eine klare Drohung vor allem gegen Frankreich und Großbritannien. Die Kontroll-Organisation Arms Control Association schreibt Russland rund 4.400 Atomsprengköpfe zu. Mitsamt der stillgelegten, aber wieder reaktivierbaren Köpfe, bestehe zwischen Russland und den Nato-Staaten Gleichstand. Nach deren Zählung verfügten alle Atommächte im März 2024 insgesamt über etwas mehr als 12.000 Atomsprengköpfe. Aber Russland hat sich unter den Atommächten zum Außeneiter entwickelt, wie BBC-Autor Will Vernon schreibt. „Der Kreml tut alles, um die Nerven des Westens auf die Probe zu stellen.“

„Material wie dieses ist die ultimative Geheimdienstinformation“, zitiert Danwatch mit Philip Ingram einen ehemaligen Oberst und Kommandeur des 1. Militärgeheimdienstbataillons der britischen Armee. „Wenn man versteht, wie der Strom geleitet wird oder woher das Wasser kommt, und wenn man sieht, wie die verschiedenen Dinge in den Systemen miteinander verbunden sind, kann man Stärken und Schwächen erkennen und eine Schwachstelle finden, die man angreifen kann“, sagt er laut Glistrup und Svensson

Heather Williams vermutet, dass Putins neuerliche Betonung seiner nuklearen Stärke darin liegen könnte, dass Russland frühere Abschreckungsversuche für gescheitert hält, weil sie nicht „groß“ genug waren, wie die Analystin des Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) vermutet. Demnach wäre folgerichtig, wenn Putin durch Ausbau der Anlagen seine Drohkulisse verstärkt. Sollte die Nato erkennen, dass Russland seinen Drohungen jetzt auch Taten folgen ließe, könnte der Keil zwischen den Partnerländern tiefer gehen: bezüglich der Unterstützung der Ukraine oder der Marschrichtung eigener Aktivitäten; beispielsweise dem Ausbau eigener Langstreckenfähigkeiten.

Nato alarmiert: Befürchtungen, dass Russland in der Rüstungsspirale atomarer Bedrohung das Tempo forciert

Im Juli 2024 hatte das Magazin The War Zone veröffentlicht, dass beispielsweise die im Jahr 2026 in Deutschland zu stationierenden Waffen eine Palette hochmoderner Systeme sein würden, wie dessen Autor Thomas Newdick geschrieben hatte, „darunter die Mehrzweckrakete SM-6 und der Marschflugkörper Tomahawk sowie, noch vor der Einsatzreife befindliche Hyperschallwaffen‘ – eine Anspielung auf die noch nicht in den Einsatz gebrachte Dark Eagle – und möglicherweise weitere Waffen, wie das landgestützte Hyperschallraketensystem Operational Fires (OpFires) und die ballistische Kurzstreckenrakete Precision Strike Missile (PrSM), die sich beide derzeit ebenfalls in der Entwicklung befinden“.

Möglicherweise haben der Spiegel und Danwatch den Beweis geliefert, dass Russland in der Rüstungsspirale atomarer Bedrohung das Tempo forciert und der Westen über kurz oder lang gezwungen wäre, mit mehr als mit konventionellen Mitteln antworten zu müssen – die Tomahawk-Rakete mit ihren bis zu 2.500 Kilometern Reichweite wäre beispielsweise auch mit einem atomaren Sprengkopf zu bewaffnen.

Alexander Taranov bestätigt die Ausweitung der russischen Atomwaffen-Infrastruktur auch für Belarus, das mit Russland verbündet ist. Laut seinen aktuellen Ausführungen für den US-Thinktank Jamestown Foundation deuteten Satellitenbilder auf „einen bedeutenden Ausbau der Infrastruktur in Ossipowitschi in Weißrussland hin“, wie er schreibt. Damit läge eine gefährlicher werdende Raketen-Abschussrampe nur rund 650 Kilometer von der polnischen Hauptstadt Warschau entfernt und vom litauischen Vilnius sogar nur rund 300 Kilometer.

Russland provoziert: Experten sicher – „man will zeigen, was man hat“

Wie Taranov ausführt, könnte in Ossipowitschi seit Ausbruch des völkerrechtswidrigen Invasionskrieges in der Ukraine ein Lager für russische taktische Atomwaffen entstehen – im Mai 2024 hatte Minsk die Stationierung taktischer Atomwaffen angekündigt. Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) hat berichtet vom Bau und der Renovierung von Kasernen, Munitionslagern und Spezialhangars für taktische Iskander-M-Raketensysteme mit eigenem Gleisanschluss für diese Anlagen.

So riesig, sensationell und überraschend das von Danwatch, Spiegel und auch von RFE/RL veröffentlichte Material auch anmuten mag, scheint der Schein eines journalistischen oder geheimdienstlichen Coups zu trügen, wie der Autorenpool des Spiegel um Nikolai Antoniadis einräumt. Russland könnte die „Leaks“ zumindest zugelassen, wenn nicht sogar provoziert haben, um die bisher bloß rhetorischen „roten Linien“ mit Fakten zu untermauern.

Westliche Nachrichtendienste hätten die Bauarbeiten und Modernisierungen ohnehin genau im Blick, vermutet der Spiegel. Die Verwunderung darüber, wie leicht die Daten abrufbar gewesen seien, findet unter Geheimdienstlern eine plausible Erklärung: „Ein gewisses Maß an Transparenz sei von Moskau beabsichtigt: Man wolle zeigen, was man hat“, protokolliert der Spiegel. Russland baut und revitalisiert von Minsk bis Murmansk, die Finnen beobachten gerade, wie Kasernen und Panzerhallen aus ihrem Schlummer nach dem Kalten Krieg wiedererweckt werden. Bis dort überall auch Soldaten mit ihrer Ausrüstungen einziehen werden, ist lediglich eine Frage der Zeit.

Folgen des Ukraine-Krieges: „Satellitenbilder von Silos können darum nervös machen“

Russland zeigt Stärke und Entschlossenheit – sagt der Däne Hans Møller Kristensen: „völlig beispiellos, absolut unglaublich“, seien die Unterlagen, wie Spiegel und Danwatch den Drektor des Nuclear Information Projects bei der Federation of American Scientists zitieren. Daraus erschließe sich eine Systematik der russischen Aufrüstung, so Kristensen laut den Journalisten. „Man erfahre, ,welche Prioritäten Russland bei der Modernisierung setzt‘.“

Der Spiegel sinniert abschließend darüber, dass diese Prioritäten offenbar auf einer reinen Machtdemonstration basierten. Stärke durch meterdicken Beton. Unangreifbarkeit durch ein in den Boden gegossenes Manifest von Sicherheit. Die Anlagen „wirken größer, gewaltiger, moderner und besser geschützt als in der Vergangenheit“, wollen die Spiegel-Autoren ablesen können: „.Satellitenbilder von Silos können darum nervös machen.“

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