Atomstrom-Comeback in Deutschland? Merz-Regierung geht heiklen Schritt

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Kommt das Atomkraft-Comeback in Deutschland doch? Die SPD winkt ab, doch die Merz-Regierung geht nun einen brisanten Schritt auf EU-Ebene.

Berlin – Trotz Ukraine-Krieg und fehlendem Gas und Öl aus Russland blieb die Ampel-Regierung beim von Angela Merkel beschlossenen Aus des Atomstroms. Immer wieder hagelt es seitdem Kritik an der Entscheidung. Zudem wird eine mögliche Wieder-Inbetriebnahme der deutschen AKWs diskutiert. Erst im Februar hatte dies etwa CSU-Chef Markus Söder gefordert. Jetzt geht die Merz-Regierung einen heiklen Schritt.

Deutschland vollzieht nun unter Kanzler Friedrich Merz einen radikalen Kurswechsel in der Energiepolitik auf EU-Ebene und gibt den Widerstand gegen die Einstufung von Atomenergie als nachhaltig auf. Die Bundesregierung stellt sich damit an die Seite Frankreichs, das schon länger für eine solche Politik wirbt. In einem Anfang des Monats veröffentlichten gemeinsamen Papier der Regierungen in Paris und Berlin heißt es, man werde einen deutsch-französischen Neustart in der Energiepolitik durchführen, „der auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität beruht“. Das bedeute etwa, die Gleichbehandlung auf EU-Ebene aller emissionsarmer Energien sicherzustellen. Auch Kernenergie gilt als emissionsarm.

Atomkraft, Ja bitte? Merz-Regierung geht heiklen Schritt – auf EU-Ebene

In der sogenannten Taxonomie sollten Technologien, die kein CO2 ausstoßen, beziehungsweise CO2-arm sind, bevorzugt werden, sagte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche bei einem Treffen mit EU-Amtskollegen in Brüssel. Die Taxonomie ist eine Art Gütesiegel für nachhaltige Finanzprodukte. Jede eingesparte Tonne CO2 sei gut. „Hier müssen wir technologieoffen sein“, sagte die CDU-Politikerin. Doch heißt das jetzt, dass auch AKWs wieder eine Option sind? Zumindest in den Koalitionsverhandlungen hatte die Union auf einen Wiedereinstieg in die Atomkraft gepocht.

EU-Taxonomie und Atomstrom

In der Taxonomie listet die Europäische Union Bereiche auf, in die investiert werden kann, um den Klimawandel zu bekämpfen. Auch bestimmte Investitionen in Gas- oder Atomkraftwerke werden dort als klimafreundlich eingestuft. Das sorgt seither für Diskussionen und Kritik, da bei der Nutzung von Atomenergie radioaktiver Müll entsteht. Die vorige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte die klimafreundliche Einstufung von Investitionen in Atomkraftwerke kritisiert. Frankreich ist ein klarer Befürworter von Atomstrom und arbeitet am Ausbau.

Atom-Comeback? SPD winkt ab – Energie-Experte gibt brisante AKW-Prognose ab

Für die SPD ist die Sache klar. Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) hält am Ausstieg aus der Atomkraft fest. „Ich bin da ganz klar. Es gibt da eine Kontinuität zur letzten Bundesregierung“, sagte er nach einem Treffen mit den Umweltministern der Länder im saarländischen Mettlach-Orscholz. Schneider reagierte damit auf den Beschluss des belgischen Parlaments, den dortigen Atomausstieg wieder zu stoppen. „Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens in Deutschland, sie (die Atomkraft, der Red.) nicht mehr zu nutzen“, sagte Schneider. „Und die Beschlussfassung dazu in der Regierung ist meines Erachtens auch klar.“ Allerdings hatte erst im April eine Umfrage gezeigt: Die Mehrheit der Deutschen will die Rückkehr zum Atomstrom.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. (Archivbild)
Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. (Archivbild) © Armin Weigel/dpa

Der Präsident der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, prognostizierte nun gegenüber der Bild allerdings ein „großes Comeback der Kernkraft“. Offen sei, ob man die alten AKWs wieder in Betrieb nehme, oder ob man auf neue Mini-AKWs (SMR) setze. „Ein Comeback ist in jedem Fall möglich. Mein wirtschaftliches Verständnis sagt mir, dass ein Industrieland wie Deutschland speicherfähige Erneuerbare und Kernkraft brauchen wird“, so Birol weiter. Zur Einordnung: Birol gilt als einer der renommiertesten Energie-Experten weltweit. Er ist jedoch für seine Pro-Atom-Aussagen bekannt und setzt auch als IEA-Chef, die in Paris ihren Hauptsitz hat, generell stark auf Atomenergie. Im Januar sagte er etwa der AFP: „Wir treten in eine neue Ära der Kernenergie ein“.

Mini-AKWs

SMR (Smal Modular Reactor), also kleine modulare Kernreaktoren sind kleiner, dafür aber flexibler einsetzbar als herkömmliche Atomreaktoren. Bislang sind sie in der EU noch nicht im Einsatz, insbesondere Frankreich und Schweden forschen aber an der Entwicklung.

Mini-AKWs als Energieversorger der Zukunft?

Und genau gegenüber solchen Mini-AKWs zeigte sich Wirtschaftsministerin Katherina Reiche jetzt offen. Zumindest gegenüber der Förderung von Forschung auf diesem Gebiet aus dem EU-Haushalt. Dies hatte Deutschland unter der Ampel-Regierung abgelehnt. Trotzdem stellte sie klar: „Wir gehen hier einen anderen Weg als Frankreich“, das stark auf Atomkraft setzt. „Wir werden jetzt darauf achten, dass auch wir unsere neuen Technologien, die auf erneuerbaren Energien beruhen, dass wir die in Zukunft auch förderfähig halten“.

Atomenergie auf EU-Ebene

Deutschland hatte sich in den vergangenen Jahren mehrfach dagegen ausgesprochen, Atomkraft in EU-Gesetzen als grüne Technologie einzustufen und damit bei der Vergabe von Fördermitteln wie erneuerbare Energien zu behandeln. Diese Position konnte sich zuletzt aber nicht mehr durchsetzen. So wurde Deutschland in den Verhandlungen über eine Reform des europäischen Strommarktes überstimmt.

Atomkraft-Comeback? Bericht über brisantes Treffen

Unterdessen berichtet die Bild von einem brisanten Treffen von Vertretern der Politik und der Kernkraft-Lobby in Berlin. Dabei soll es um eine mögliche Wieder-Inbetriebnahme der bestehenden AKWs in Deutschland gegangen sein. Besonders der junge US-amerikanische Nuklear-Ingenieur Mark Nelson soll im Mittelpunkt gestanden haben. Er betreibt eine Strategieberatung und ist seit Jahren als Aktivist für Atomkraft im Einsatz. „Es gibt auf der ganzen Welt keine günstigere Art, Strom zu erzeugen, als mit euren abgezahlten AKW“, so Nelson zur Bild. Dem Bericht nach plant er mit einem Konsortium aus Unternehmen und Investoren mehrere Atomkraftwerke in Deutschland wieder in Betrieb zu nehmen.

Diese Forderung hatten die bisherigen Reaktor-Betreiber bislang abgelehnt – zu teuer wäre der Rück-Rückbau zur Inbetriebnahme. Doch Nelson will schlauer sein und meint, die Versorger würden einfach falsch rechnen. Er lässt einen heftigen Vorwurf folgen: Denn teils könnte dies bewusst geschehen, weil eben die gleichen Versorger hohe Subventionen für den Betrieb von fossilen Kraftwerken erhalten würden.

Allerdings hatten nicht nur die Versorger die hohen Kosten einer erneuten Inbetriebnahme alter AKWs hervorgehoben. Auch das Fraunhofer-Zentrum zeigte die hohen Kosten für alte AKWs auf. Eine US-Firma hatte im März unterdessen nach eigenen Angaben errechnet, dass man sechs der deutschen AKWs bis spätestens 2030 wieder ans Netz bringen könnte, wenn die Politik denn wolle.

Ob der Aktivist mit seinem Plan weiterkommt, bleibt offen. Spannend ist jedoch zumindest die Wende der deutschen Regierung mit Blick auf Frankreich. (rjs/dpa/afp)

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