„Die Ampel ist ein Desaster“ - Carsten Linnemann über Zukunftsstrategien und mögliche Neuwahlen

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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht im Interview unter anderem über Koalitionschancen mit dem BSW und den Grünen. © Daniela Petersen

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (47) spricht im Interview mit der Fuldaer Zeitung über eine klare Abgrenzung seiner Partei zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), über Zukunftsstrategien und mögliche Neuwahlen.

Fulda - Linnemann erklärt gegenüber der Fuldaer Zeitung zudem, warum die Grünen derzeit als Koalitionspartner nicht infrage kommen, äußert sich zur Migrationspolitik und macht sich für eine „Aktivrente“ ebenso stark wie für Technologieoffenheit – statt des umstrittenen Verbrennerverbotes. Neben dem Redaktionsgespräch sprach Linnemann in Fulda vor 200 Mitgliedern der CDU sowie der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT).

Carsten Linnemann über Zukunftsstrategien und mögliche Neuwahlen

Frage: In Ihrer Partei gibt es starke Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht, wie es sich in Thüringen und Sachsen abzeichnet. Angeblich fordern inzwischen Tausende CDU-Mitglieder einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW. Warum zeigt die CDU hier nicht klare Kante?

Carsten Linnemann: Aber genau das tun wir doch. Wir werden unsere Seele nicht verkaufen, um an die Macht zu kommen und stehen fest auf unserem Wertefundament und unseren politischen Überzeugungen. Dazu zählt die Westbindung und damit auch die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Und das Thema Ukraine-Unterstützung. In der Ukraine verteidigen die Menschen unsere Freiheit. Wir werden keinen Millimeter von diesen Positionen abweichen, da sind wir uns alle einig. Und ich habe nichts dagegen, wenn das BSW auch Thema auf unserem nächsten Parteitag wird.

Aber noch einmal: Was macht das BSW für die CDU zum Partner auf Landesebene, die AfD aber nicht?

Zum BSW sind unsere Positionen wie gerade beschrieben sehr klar. Aber natürlich ist die Situation im Osten alles andere als einfach. Die Ampel treibt immer mehr Wähler zu den Rändern. Das macht die Regierungsbildung so schwierig. Und was die AfD anbelangt, gibt es eindeutige Parteitagsbeschlüsse. Keine Zusammenarbeit. Punkt. Die AfD ist eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei, die seit Jahren durch menschenverachtendes Gedankengut auffällt.

Für die Erkenntnis, dass ein Staat dadurch existiert, dass es eine Staatsgewalt gibt, ein Staatsvolk und ein Staatsgebiet, und dass ein Staat dafür seine Grenzen schützen muss, dafür muss ich kein Jura studiert haben, sondern das sagt mir der gesunde Menschenverstand.

Schauen wir auf die Bundesebene: Auch dort wird die Union nach der Bundestagswahl das Dilemma haben, einen Partner zu finden. Markus Söder schließt eine Koalition mit den Grünen kategorisch aus. Friedrich Merz sieht mit den „derzeitigen Grünen“ ebenfalls keine gemeinsame Basis. Glauben Sie ernsthaft, dass die Grünen sich ändern werden?

Ich kann es mir heute nicht vorstellen. Mit diesen Grünen geht es sicher nicht, da hat Friedrich Merz völlig Recht.

Linnemann: Müssen für diejenigen da sein, die 45 Jahre hart gearbeitet haben

Über die Forderung von Herrn Merz nach Zurückweisungen an der Grenze wurde schon viel diskutiert. Das ist verfassungsrechtlich nicht ganz einfach. Und Österreich hat bereits angekündigt, keine Personen entgegenzunehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Sie halten daran fest?

Diese ganze Bedenkenträgerei wegen angeblicher rechtlicher Probleme kann ich nicht mehr hören. Es gibt immer unterschiedliche Meinungen, gerade unter Juristen. Aber für die Erkenntnis, dass ein Staat dadurch existiert, dass es eine Staatsgewalt gibt, ein Staatsvolk und ein Staatsgebiet, und dass ein Staat dafür seine Grenzen schützen muss, dafür muss ich kein Jura studiert haben, sondern das sagt mir der gesunde Menschenverstand. Deswegen sind wir bei dieser Frage sehr hart.

Zur Person

Carsten Linnemann (47) ist seit Juli 2023 Generalsekretär der CDU. Der gebürtige Paderborner ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und gewann jeweils das Direktmandat im Wahlkreis Paderborn. Von 2018 bis 2022 war er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2013 gehört er dem Bundesvorstand der CDU an, 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender.

Lassen Sie uns über die Zukunft der Sozialsysteme reden. Die Bundesregierung will ein Rentenpaket verabschieden, das die Renten stabil hält, aber die Jüngeren stark belasten wird. Die CDU sagt, damit kündigt die Ampel den Generationenvertrag auf. Wie wäre Ihre Lösung?

Wir müssen für diejenigen da sein, die 45 Jahre wirklich hart gearbeitet haben und in Rente gehen, aber auch für alle, die es gar nicht schaffen, bis zum 65. oder 67. Geburtstag zu arbeiten. Wir haben zum Beispiel 1,8 Millionen Menschen in Deutschland, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen und über die kaum jemand redet. Für die müssen wir mit voller Wucht da sein.

Wir wollen Arbeit im Rentenalter attraktiver machen – für diejenigen, die freiwillig weiterarbeiten möchten. Wir nennen das Aktivrente. Warum sollten wir zum Beispiel nicht einfach ausprobieren, was geschieht, wenn Rentner jeden Monat 2000 Euro steuerfrei dazuverdienen können? Ich bin mir sicher, das wird einen Schub geben und nach einigen Jahren eine sechsstellige Zahl an Menschen in Arbeit halten.

Aber das wird doch nicht reichen, um das System zu stabilisieren.

Das System lässt sich nur dann stabilisieren, wenn es Wachstum gibt. Und Deutschland ist im Moment Letzter unter den G-20- und G-7-Staaten. Wenn dieses Land nicht mehr wächst, dann gehen die Sozialversicherungen vor die Hunde, weil wir sie uns nicht mehr leisten können.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erntete Erntete viel Applaus von seinen Parteifreunden bei der Firma Wagner Fahrzeugteile in Fulda.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erntete Erntete viel Applaus von seinen Parteifreunden bei der Firma Wagner Fahrzeugteile in Fulda. © Tobias Farnung

Schon jetzt gehen in der Krankenversicherung die Beiträge hoch – und die Pflegekasse ist im Grunde pleite. Müssen wir nicht viel mutiger denken und wieder grundlegende Reformen wagen?

Absolut. Während der Corona-Pandemie hat der Staat den Menschen das Gefühl gegeben, dass er alle Probleme mit Geld zuschütten kann. Ein schönes Beispiel dafür ist das Kurzarbeitergeld, das damals irgendwie jeder bekam, der nicht bei drei auf dem Baum war.

Natürlich war es richtig, dass der Staat einen Ausgleich schafft, wenn er in der Pandemie zum Beispiel Einzelhandelsgeschäfte zum Schließen zwingt. Aber unterm Strich wurde das mit dem Kurzarbeitergeld völlig übertrieben. Und dann hat die Ampel mit dem Bürgergeld noch einen draufgesetzt. Allein der Begriff suggeriert ein bedingungsloses Grundeinkommen, das auch dann ausgezahlt wird, wenn man arbeiten kann, aber nicht arbeiten geht.

Die Sozialleistungen ufern aus, zulasten derjenigen, die arbeiten gehen und damit den Sozialstaat finanzieren. Laut aktueller Umfragen halten drei Viertel der Deutschen den Staat für verantwortlich für alle Lebensrisiken. Doch so werden wir die Zukunft nicht gewinnen. Die soziale Marktwirtschaft lebt auch von Eigenverantwortung.

Im Wahlkampf die Wirtschaftspolitik in den Fokus rücken

Sie sagen, sie wollen im Wahlkampf die Wirtschaftspolitik in den Fokus rücken. Die Krise bei VW und in der Automobilindustrie wird Sie dabei begleiten. Darf oder muss sich der Staat dort einmischen?

Der Staat muss für die Daseinsvorsorge da sein. Aber ansonsten brauchen wir Wettbewerb. Wenn Politiker versuchen, im Markt mitzumischen, wird das nicht funktionieren. Bei VW ist es offenkundig: Dort wurde wie von der Ampel gewünscht allein in Elektroautos investiert, statt auf Technologieoffenheit zu setzen. Das rächt sich jetzt. Dasselbe Problem sehen wir auch bei der Wärmepumpe, die der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ausschließlich propagiert hat. Ich dagegen meine, die Politik muss den Rahmen setzen und operativ hat das Management in den Unternehmen zu entscheiden.

Sie haben bereits angekündigt, das Heizungsgesetz zu kippen, wenn Sie in Regierungsverantwortung kommen. Gilt das auch für das Verbrennerverbot?

Ja, das wird 2026 ohnehin noch einmal auf europäischer Ebene evaluiert, wie es so schön heißt. Noch einmal: Die Politik muss den Rahmen setzen, darf sich aber kein Wissen anmaßen. Vielleicht gibt es 2035 völlig neuartige Verbrenner, von denen wir noch gar nichts ahnen. Ich möchte, dass die dann in Deutschland gebaut werden.

Jeder weiß inzwischen, dass die Ampel ein Desaster ist.

Gibt es bei Ihnen bereits eine Prioritätenliste für die Zeit nach der Ampel?

Das Wichtigste im Wahlkampf ist, dass wir ein Sofortprogramm haben, ein Zehn-Punkte-Programm, dass unmittelbar nach einer möglichen Regierungsübernahme umgesetzt wird. Also nicht die großen Brötchen, sondern die kleinen. Und die dann aber tatsächlich backen. Das ist deshalb so wichtig, weil die Menschen den Politikern immer weniger glauben. Ich selbst bekomme es zu hören: „Das ist ja schön und gut, Herr Linnemann, mit dem Grundsatzprogramm der CDU, aber warum sollten wir glauben, dass das auch wirklich umgesetzt wird?“ Selbst mir geht es doch so, wenn ich Regierungsmitglieder im Fernsehen sehe. Sie reden, und ich denke mir: Macht es doch! Es wird aber nur geredet, auch kürzlich wieder beim Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt.

Video: Rente, Asyl, Atomkraft und Leitkultur - Das steht im CDU-Grundsatzprogramm

Was wären denn „kleine Brötchen“, die Sie sofort backen würden?

Ich habe vorhin bei der Anreise nach Fulda auf die Schnelle einmal zehn Punkte aufgeschrieben, die wir sofort umsetzen könnten. Vom Thema Sicherheit, Stichwort Gesichtserkennung über das Thema steuerfreie Überstunden bis hin zum Thema Abbau der Ministerialbürokratie. Man braucht etwa keine 45 Regierungsbeauftragten, da reichen eine Handvoll.

Am Dienstag wird in Amerika gewählt – glauben Sie, dass sich unter einem Präsidenten Donald Trump die transatlantischen Beziehungen wirklich verschlechtern würden?

Egal wer gewählt wird, die Amerikaner werden noch stärker ihre eigenen Interessen vertreten. Falls Trump gewählt wird, wird er uns nur ernst nehmen, wenn wir wirtschaftlich stark sind. Was mich derzeit umtreibt, ist das Thema Handelspolitik: Ich hätte nie gedacht, dass es noch einmal so weit kommt, dass multilaterale Abkommen nicht mehr abgeschlossen werden. Die Welthandelsorganisation WTO wird gerade faktisch beerdigt. Und Trump hat in seiner Regierungszeit auch alles dafür getan, dass die Entwicklung diese Richtung nimmt. Das finde ich einfach bitter, weil alle multilateralen Handelsrunden mit dem Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen dafür gesorgt haben, dass Wohlstand auch in ärmeren Ländern möglich ist.

Linnemann könnte sich Neuwahlen bereits im März vorstellen

Die Spaltung der US-Gesellschaft ist offenkundig. Fürchten Sie, dass es auch in Deutschland so weit kommen könnte?

Ich hoffe es nicht, auch wenn die SPD gerade sehr viel für eine solche Spaltung tut, indem sie Friedrich Merz persönlich angreift. Statt über politische Gegner herzuziehen, wäre es für die Demokratie besser, wenn Parteien sagen, was ihre Ideen für Deutschlands Zukunft sind. Jeder weiß inzwischen, dass die Ampel ein Desaster ist. Es ist also nicht Aufgabe der CDU, zu erklären, warum die anderen so schlecht sind, sondern zu sagen, was wir besser machen wollen.

Wie beurteilen Sie denn die Ukraine-Politik der Ampel?

Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 im Deutschen Bundestag eine herausragende Rede gehalten, seine Zeitenwende-Rede. Die CDU hat das unterstützt, auch das Sondervermögen – eigentlich müsste es Sonderschulden heißen –, für das eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig war. Es sollte für die Bundeswehr da sein, doch jetzt wird ein großer Teil des Geldes von der Bundesregierung zweckentfremdet. Darüber sind wir sehr enttäuscht, weil darunter Deutschlands Verteidigungsfähigkeit leidet.

Ihre Prognose: Wann wird es Wahlen geben – im September oder schon früher?

50:50 – entweder im März oder am 28. September nächsten Jahres. Das ist meine Prognose. Wir sind auf alles vorbereitet.

Die Fragen stellte Bernd Loskant, Leiter der Nachrichtenredaktion der Fuldaer Zeitung.

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