Wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland steigt stetig – eine Gruppe entscheidend
Politiker wie Friedrich Merz fordern mehr Einsatz bei der wöchentlichen Arbeitszeit. Zurecht? Neue Zahlen bringen Licht ins Dunkel der deutschen Arbeitswelt.
Berlin/München – Während die Debatte um die Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance seit geraumer Zeit in Deutschland die Gemüter erhitzt, zeigt ein genauer Blick auf die Zahlen:
Die wöchentliche Arbeitszeit in der Bundesrepublik ist heutzutage im Schnitt höher als direkt nach der Wiedervereinigung – und eine Personengruppe hat hierbei maßgeblich aufgeholt.
Wöchentliche Arbeitszeit pro Kopf ist seit der Wende gestiegen
Wenn es nach Bundeskanzler Friedrich Merz und Wirtschaftsministerin Katharina Reiche geht, sollen die Deutschen wieder mehr arbeiten. Doch eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) wirft ein neues Licht auf die Forderungen der CDU-Politiker: Die durchschnittlich geleistete Wochenarbeitszeit pro Kopf ist seit 1991 tatsächlich um 2,6 Stunden gestiegen – und das, obwohl Teilzeitmodelle und flexible Arbeitszeiten heutzutage weit verbreitet sind.
Für die Berechnung wurden alle Menschen zwischen 20 und 64 Jahren einbezogen, unabhängig davon, ob sie gerade einen Job haben oder nicht. „Arbeitslose wurden mit null Wochenstunden eingerechnet“, erläuterte Studienautor Harun Sulak auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Stiller Wandel am Arbeitsmarkt: Frauen haben bei der Arbeitszeit aufgeholt
Der Löwenanteil der Mehrarbeit geht auf das Konto der Frauen. 1991 arbeiteten Frauen im Schnitt rund 19 Stunden pro Woche, 2022 waren es mehr als 24 Stunden. Was steckt dahinter? Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist in den vergangenen drei Jahrzehnten um fast ein Drittel gestiegen.
Immer mehr Frauen sind berufstätig, oft in Teilzeit – doch die starke Zunahme der Erwerbstätigkeit habe diese Effekte überkompensiert. „Dieser Anstieg wird durch eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen getragen. Die zunehmende Teilzeittätigkeit konnte durch eine starke Erhöhung des Anteils erwerbstätiger Frauen deutlich überkompensiert werden“, analysiert Sulak vom BiB.
Gesellschaftlicher Wandel: Wöchentliche Arbeitszeiten nähern sich an
Die BiB-Direktorin Katharina Spieß sieht noch Entwicklungspotenzial: „So liegt die von Frauen und insbesondere Müttern als ideal angesehene Arbeitszeit nochmals höher als die aktuell realisierte Arbeitszeit. Familienpolitische Reformen wie der weitere bedarfsgerechte Ausbau der Kindertagesbetreuung sind wichtige Rahmenbedingungen, damit Frauen und auch Männer Erwerbsarbeit und Familie besser vereinbaren können“.

Der Abstand zwischen den Geschlechtern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verringert: Während 1991 Frauen im Schnitt rund 14 Stunden weniger arbeiteten als Männer, beträgt der Unterschied aktuell nur noch gut 9 Stunden. „Diese Entwicklung ist nicht nur ein arbeitsmarktpolitisches Signal, sondern auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels“, so BiB-Forschungsdirektor Sebastian Klüsener.
Arbeitszeit in Deutschland: Männer stagnieren auf hohem Niveau
Bei den Männern sieht die Entwicklung anders aus: Nach der Wende sank die durchschnittliche Wochenarbeitszeit zunächst, unter anderem wegen wirtschaftlicher Turbulenzen und Betriebsschließungen vor allem im Osten.
Ab Mitte der 2000er Jahre stieg sie wieder, wurde jedoch durch Corona kurzzeitig unterbrochen. Heute arbeiten Männer im Schnitt genauso viel wie vor 30 Jahren – trotz höherer Erwerbstätigkeit, vor allem im höheren Alter. Die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf bleibt nahezu unverändert, da erwerbstätige Männer im Schnitt 2,6 Stunden weniger pro Woche arbeiten als 1991. „In der Summe gleichen sich die beiden Faktoren aus, sodass die Arbeitszeit pro Kopf bei Männern heute ziemlich genau auf dem Niveau von vor 30 Jahren liegt“, führt Klüsener aus.
Debatte um wöchentliche Arbeitszeit: Gesellschaft am Scheideweg
Die Diskussion um die Arbeitszeit in Deutschland hat in den vergangenen Wochen Fahrt aufgenommen. Während die Koalition aus CDU/CSU und SPD im Vertrag die Abschaffung des klassischen Achtstundentags zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit ankündigt, ist die Mehrheit der Beschäftigten skeptisch.
Laut aktuellen Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stemmen sich drei Viertel der Arbeitnehmer gegen längere Arbeitstage. Die Debatte zeigt: Die Arbeitswelt ist im Wandel, doch die Wünsche der Beschäftigten und die politischen Forderungen gehen oft auseinander. (PF)