Deutsche arbeiten viel weniger als andere Nationen – Institut hat zwei zentrale Forderungen
Die Deutschen arbeiten im Vergleich sehr wenig. Das Institut der deutschen Wirtschaft macht zwei Faktoren aus – einer davon ist die Rente.
Köln/Berlin – Im internationalen Vergleich arbeiten die Deutschen deutlich weniger als Menschen in fast allen anderen OECD-Staaten. Mit durchschnittlich 1036 Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem landete Deutschland 2023 auf dem drittletzten Platz unter den 38 OECD-Mitgliedsstaaten, wie eine am Sonntag veröffentlichte Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegt.
„Im Vergleich zu den 1970er-Jahren arbeiten wir weniger, aber seit der Wiedervereinigung arbeiten wir tendenziell immer etwas mehr“, sagte IW-Arbeitsmarkt-Experte und Studien-Autor Holger Schäfer der Bild am Sonntag. Die Zahlen befeuern die politische Debatte, die Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit seiner Forderung nach mehr Arbeit angestoßen hat.
Deutsche arbeiten weniger: IW macht Renten-Regeln dafür verantwortlich
Nur in Frankreich mit rund 1027 Stunden und Belgien mit etwa 1021 Stunden wurden noch weniger Arbeitsstunden geleistet. In Griechenland stieg die Zahl der Pro-Kopf-Arbeitsstunden zwischen 2013 und 2023 um 21 Prozent, während der Zuwachs in Deutschland lediglich zwei Prozent betrug.
Die Rentenpolitik gilt als ein wesentlicher Faktor für diese Entwicklung. Das IW kritisiert, dass zu wenige Deutsche bis zum regulären Renteneintrittsalter arbeiten und fordert, „Fehlanreize wie die Rente mit 63 wieder abzuschaffen“. Das würde laut dem Ifo Institut zusätzliche 157.000 Vollzeitkräfte bringen. Durch die Anhebung des Rentenalters auf 69 Jahre würden 473.000 Vollzeitäquivalente hinzukommen.
Land | Arbeitsstunden pro Jahr und Einwohner im Erwerbsalter |
---|---|
Neuseeland | 1402 |
Tschechien | 1326 |
Israel | 1312 |
Polen | 1305 |
Südkorea | 1296 |
… | … |
Griechenland | 1172 |
… | … |
Österreich | 1063 |
Dänemark | 1057 |
Deutschland | 1036 |
Frankreich | 1027 |
Belgien | 1021 |
Am oberen Ende der Skala liegt Neuseeland mit rund 1402 Arbeitsstunden pro Jahr, gefolgt von Tschechien mit etwa 1326 Stunden und Israel mit ungefähr 1312 Stunden. In anderen europäischen Ländern wuchs die Arbeitszeit laut IW-Analyse in den vergangenen zehn Jahren deutlich stärker als in Deutschland: In Spanien um 15 Prozent und in Polen sogar um 23 Prozent.
Neben der Rente: Erwerbstätigkeit von Müttern könnte Arbeitsstunden deutlich erhöhen
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sieht die Arbeitgeber in der Pflicht. „Die Arbeitgeber müssen die Arbeitswelt so gestalten, dass mehr Mütter in Vollzeit arbeiten können“, fordert die SPD-Politikerin. Sie will die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden vor allem durch mehr Berufstätigkeit von Müttern steigern. „Jede zusätzliche Arbeitskraft und jede zusätzliche Arbeitsstunde bringt uns voran“, betont Bas. Viele Frauen säßen „unfreiwillig in der Teilzeitfalle“ aufgrund fehlender Kinderbetreuung oder familienunfreundlicher Arbeitsmodelle.
Die hohe Teilzeitquote in Deutschland ist ein weiterer Grund für die niedrigen Arbeitsstunden. Rund 30 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten hierzulande in Teilzeit, während es in Italien laut IW nur etwa 18 Prozent und in Polen sogar nur sechs Prozent sind. Das Institut kritisiert zudem, dass der steile Steuertarif bei mittleren Einkommen Mehrarbeit in vielen Fällen unattraktiv mache.
Bald fehlen „rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden“ – Folgen schon jetzt spürbar
Die Folgen des Arbeitskräftemangels sind bereits spürbar. IW-Präsident Michael Hüther warnt: „Wir alle erleben den Fachkräftemangel schon jetzt tagtäglich: Restaurants haben häufiger geschlossen als früher, Pflegekräfte sind überarbeitet, weil sie zu wenige Kolleginnen und Kollegen haben. Ähnlich sieht es in Kitas und kleinen Handwerksbetrieben aus.“ Bis zum Ende des Jahrzehnts würden Deutschland „rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden“ fehlen. (ms/afp)