Enteignung bei Russland-Rückzug: Putin droht deutschen Unternehmen
Trotz Ukraine-Krieg sind deutsche Unternehmen weiterhin in Russland aktiv. Ein Rückzug ist jedoch mit enormen Risiken verbunden. Ihnen droht sogar Enteignung.
Moskau – Deutsche Unternehmen, die trotz des Ukraine-Krieges in Russland Geschäfte machen, stehen vor einer schweren Entscheidung: Entweder sie zahlen Geld in die russische Staatskasse oder sie tragen die Konsequenzen von Wladimir Putin. Die Abkehr ist zwar nicht unmöglich. „Bei einem Rückzug der deutschen Unternehmen aus Russland gibt es eine ganze Fülle von enormen Risiken“, erklärte Prof. Dr. Viktor Winkler, ein Experte für Sanktionen, im Gespräch mit Ippen.Media.
Ein Hauptproblem ist die Gefahr der Enteignung. „Die russische Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, dass es einen Abschlag geben muss, von rund 50 Prozent auf den Kaufpreis des verkauften Unternehmens. Ein zu hastiger Rückzug oder überhaupt ein Rückzug, läuft also immer Gefahr, dass es russische Enteignungen gibt“, sagte Winkler.
Deutsche Unternehmen müssen beim Rückzug aus Russland Risiken bedenken
Zudem besteht die Gefahr, dass Unternehmen durch den Rückzug ihre Mitarbeiter, ob festangestellt oder nicht, staatlichen Maßnahmen aussetzen. Als Arbeitgeber hätten die Unternehmen eine Fürsorgepflicht, insbesondere gegenüber ihren Mitarbeitern im Ausland.
Doch das sind nicht die einzigen Risiken. „Wer sich aus Russland zurückzieht, geht ein enormes Risiko ein, dass er das Unternehmen direkt oder indirekt an jemanden in Russland verkauft, der entweder sanktioniert ist oder der es aufgrund der Sanktionen gar nicht kriegen darf“, warnt Winkler.
Rückzug deutscher Unternehmen aus Russland kann Putin nutzen
Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas in Russland sanktioniert sei, sei inzwischen höher, als dass es nicht sanktioniert sei. „Russland hat das höchst sanktionierte Umfeld der Welt. Schätzungsweise 50 bis 60 Prozent aller unserer Sanktionsmaßnahmen von der EU betreffen direkt oder indirekt den russischen Staat.“
Ein Rückzug deutscher Firmen könnte zudem der russischen Wirtschaft zugutekommen und würde damit die Wirkung der westlichen Sanktionen untergraben. „Wenn man ein Unternehmen auffordert, sich aus Russland zurückzuziehen und dadurch die Produktion, die eingestellt wird, um zum Beispiel 70 Prozent an den russischen Staat oder an die russische Wirtschaft geht, ist genau das Gegenteil erreicht.“ Die Sanktionen sollen eigentlich dazu dienen, ein russisches Wirtschaftswachstum zu verhindern oder zumindest nicht zur Stärkung der russischen Wirtschaft beizutragen.
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Ein Rückzug aus Russland ist laut Winkler dennoch auf legalem Weg möglich. „Es ist falsch, zu sagen, es geht gar nicht. Es ist aber auch falsch zu sagen, dass es einfach geht, da die Gefahren überwiegen. Die Öffentlichkeit stellt sich den Ausstieg generell viel zu einfach vor und idealisiert leider diejenigen Unternehmen für deren schnellen Ausstieg.“
Seit dem Ukraine-Krieg haben sich viele westliche Firmen, darunter auch große wie Siemens, VW und Mercedes, vom russischen Markt zurückgezogen. Auch Unternehmen aus der Finanzbranche wie die Deutsche Bank, aus dem Handel wie Deichmann und aus der Technologie- und Telekommunikationsbranche sind diesen Schritt gegangen.
Einige deutsche Unternehmen sind noch in Russland aktiv – trotz Sanktionen
Doch es gibt immer noch viele Unternehmen, die in Russland geschäftlich aktiv sind, darunter Hochland, Metro und Ritter Sport. Firmen aus den Bereichen Handel, Konsumgüter und Gesundheit sind bisher von den internationalen Sanktionen ausgenommen.
Es gab sogar Vorwürfe, dass deutsche Unternehmen die Russland-Sanktionen umgehen. Winkler sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen deutsche Unternehmen Sanktionen durch Schlupflöcher umgehen. „Ich kann nur dringend davor abraten, solche vermeintlichen ‚Schlupflöcher‘ zu nutzen“, sagte der Experte.
Deutsche Unternehmen sollen am Aufbau von Mariupol beteiligt sein
Jüngste Recherchen des ARD-Magazins Monitor haben ergeben, dass deutsche Firmen sogar am Wiederaufbau in Mariupol beteiligt waren. Trotz Sanktionen arbeiten demnach noch immer 4.000 Menschen der Firma Knauf in Russland. Das Unternehmen hat die Vorwürfe inzwischen zurückgewiesen.
„Dass die Öffentlichkeit im Fall Knaufs Druck macht, ist zwar nachvollziehbar, aber wenig zielführend“, sagte Winkler dazu. „Bislang wurde die entscheidende rechtliche Frage daher auch nicht gestellt, nämlich: Welche Maßnahmen hat Knauf eingeführt, um die massiven Sanktionsrisiken und völkerstrafrechtlichen Risiken in den Griff zu bekommen? Dazu habe ich von Knauf bisher noch nichts gehört.“
Die zweite Firma, die im Fokus der Recherche steht, ist die in Nordrhein-Westfalen ansässige WBK Systems GmbH, die ebenfalls einen russischen Ableger hat und auf die Ausrüstung von Unternehmen zur Herstellung von Baumaterialien spezialisiert ist. Beide Firmen sollen in Mariupol für Russland aktiv sein.