Bittbrief der Verteidigungsminister: Keine Chance gegen Putin ohne gelockerte Umweltgesetze

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„Dreckschleuder“: Ein Eurofighter der deutschen Luftwaffe hebt während einer Übung mit Nachbrenner vom Flugplatz Mollis in der Schweiz ab. Klimaschützer kalkulieren, dass eine Flugstunde in etwa dem entspräche, was ein Deutscher in einem Jahr an klimaschädlichem C02 verursache. © IMAGO/Björn Trotzki

Pistorius und Kollegen sind sicher: Einige EU-Klima-Auflagen bremsen die Aufrüstung. Die Verteidigungsminister fürchten um die Verteidigungsfähigkeit der Nato bis 2030.

Brüssel – „Wir können uns nicht zwischen grünen oder starken Streitkräften entscheiden; wir brauchen starke und grüne zugleich“, sagte Jens Stoltenberg. Der frühere Nato-Generalsekretär reagierte damit auf ein 2023 veröffentlichtes Papier, in dem die Europäische Kommission versuchte zu skizzieren, wie Wladimir Putins Invasionsarmee durch möglichst von fossilen Brennstoffen unabhängige Streitkräfte aufgehalten werden könne. Jetzt laufen die Verteidigungsminister offenbar dagegen Sturm – auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

In einem durchgesickerten Brief an Verteidigungskommissar Andrius Kubilius sollen sich die Verteidigungsminister darüber beklagen, dass die skizzierten Umwelt-Vorschriften sowohl den Ausbau von Militärstützpunkten verhinderten sowie die ausreichende Ausbildung von Kampfjetpiloten – darüber berichtet aktuell der britische Telegraph. Die elf Verteidigungsminister stören sich an der EU-Bürokratie „hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) in den Bereichen Beschaffungsrecht, Natur- und Umweltschutz sowie allgemeiner im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand für Verteidigungsorganisationen, der sich aus verschiedenen EU-Rechtsakten ergibt“, wie der Telegraph zitiert.

Zoff in der EU: Der ökologische Kampfstiefel-Abdruck des Militärs ist schon heute bemerkenswert

Adressaten der Note sind die Staaten Deutschland, Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Niederlande, Rumänien, Schweden, Tschechien. Die Unterzeichner fürchten, dass die Verteidigungsfähigkeit der Nato so kaum bis 2030 zu schaffen sei. In gefetteten Lettern fordern Sie von der Europäischen Union die Beseitigung rechtlicher Hürden, die die Staaten hindern würden, gegen einen künftigen Gegner einsatzfähig zu sein: „Die Minister forderten, dass jedes neue EU-Gesetz auf seine Auswirkungen auf die Wiederaufrüstungsbemühungen des Kontinents geprüft werden müsse, bevor es in Kraft treten könne“, formuliert Telegraph-Autor Joe Barnes.

„Derzeit stellen einige EU-Gesetze ein direktes Hindernis für den Aufbau der Streitkräfte dar.“

Konkret kritisieren die Verteidigungsminister: „Derzeit stellen einige EU-Gesetze ein direktes Hindernis für den Aufbau der Streitkräfte dar. Glaubwürdige Abschreckung bedeutet in der Praxis eine Vergrößerung der Streitkräfte, was Platz für die Ausbildung, einschließlich Fliegen, Navigieren und Fahren, sowie den Bau entsprechender Einrichtungen erfordert.“ Der ökologische Kampfstiefel-Abdruck des Militärs ist schon heute bemerkenswert – die deutsche Armee ist da keine Ausnahme.

„Die jährlichen CO₂-Emissionen der Bundeswehr durch die ‚militärspezifische Mobilität‘ betrugen im Jahr 2020 insgesamt 0,79 Millionen Tonnen CO2e und im Jahr 2021 insgesamt 0,78 Millionen Tonnen CO2e. Im Vergleich dazu lag der Wert im Jahr 2019 bei 0,63 Millionen Tonnen CO2e. Dies entspricht einem Anstieg in den Jahren 2020 und 2021 gegenüber dem Jahr 2019 von 25 Prozent. Ursächlich dafür ist der Anstieg des Kraftstoffverbrauchs der Luftwaffe“, antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken im Mai 2022, also kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges.

Die „militärspezifische Mobilität“ wird im Anschluss gestiegen sein, beispielsweise durch das Air Policing, also die Patrouillenflüge über der Ostsee. Laut dem Bundestag hat die Treibhausgas-Gesamtemissionen der Bundeswehr im Jahr 2022 rund 1,77 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente (CO2e) betragen. Dies teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der BSW-Gruppe mit.

Ukraine macht deutlich: „Krieg und Rüstung – Die vergessenen Klimasünder“

An „Krieg und Rüstung – Die vergessenen Klimasünder“, hatte Felix Eick bereits im August 2020 erinnert, als der Ukraine-Krieg noch als Gedankenspiel in Moskau stattgefunden haben mag. „Ambitionierte Klimaziele und Aufrüstung passen schwerlich zusammen“, so der Autor der Welt. Eick hat hochgerechnet, dass die Eurofighter-Flotte der Bundeswehr zwischen 2010 und 2020 „weit über eine halbe Million Flugstunden absolviert“ habe – zwischen 170 und 200 Stunden sollte jeder Pilot pro Jahr absolvieren, um Nato-Einsatzreife belegen zu können. Laut Angaben von Klimaschützern solle eine Flugstunde in etwa dem entsprechen, was ein Deutscher in einem Jahr an klimaschädlichem CO₂ verursache, schreibt Eick.

Das sind rund elf Tonnen Abgase aus dreieinhalb Tonnen verbrauchtem Kraftstoff. „Aber auch hier ist die Bundesrepublik mit 141 Eurofightern ein kleines Licht“, resümierte Eick im Jahr 2020 – in Friedenszeiten. 2018 war ein Vorgeschmack des Krieges nach Meppen vorgerückt: Insgesamt sechs Wochen hatte das Naturschutzgebiet Tinner Dose-Sprakeler Heide gebrannt; eine Moorfläche, in die ein Eurocopter Tiger eine Rakete gefeuert hatte. Aus Versehen während einer in der Nähe abgehaltenen Schießübung.

Allerdings sieht das Magazin Forbes im Umweltschutz lediglich die halbe Herausforderung. Die Produktion von Treibhausgasen erfordert den Verbrauch von fossiler Energie – und die kam bisher in rauen Mengen vom künftigen Gegner. Laut einer Studie britischer Klimaforscher aus dem Jahr 2020 könnte tatsächlich der Drohnenkrieg ein möglicher Weg aus dem Dilemma sein. „Tatsächlich kann der aktuelle Trend hin zu kleineren, treibstoffeffizienteren Roboterflugzeugen – Drohnen – als Ersatz für bemannte Militärflugzeuge zu einer Reduzierung der militärischen Emissionen führen“, schreiben die Scientists for Global Responsibility in einem 2022 aktualisierten Papier.

Notwendigkeit aufgrund Putins Krieg: Militärische Mobilität energieeffizienter zu gestalten

Nach Meinung der Wissenschaftler kämen die Armeen aber kaum umhin, ihre Mobilität energieeffizienter zu gestalten: durch verstärkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen und/oder die allgemeine Reduzierung der CO₂-Emissionen, wie sie empfehlen. Tatsächlich ist das auch das jetzt offensiv vorgetragene Credo der Streitkräfte, der sich beispielsweise in den Nachhaltigkeitsberichten des Verteidigungsministeriums spiegelt. Laut eigenen Angaben sei 1970 das „Geburtsjahr“ des Umweltschutzes in der Bundeswehr: „Erneuerbare Energien, lärmschützende Schießhallen, Flora-Fauna-Habitate, Vogelschutzgebiete oder Insektenhotels – davon träumte die Bundeswehr 1970“, so die eigene Darstellung.

Weniger romantisch klingen die neuen Darstellungen: Nachhaltigkeit sei nachgerade die Voraussetzung für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, urteilen Stefan Bayer und Cudi Zerey aktuell im Wirtschaftsdienst, einer Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. Nachhaltigkeit wird in Deutschland eher unter ökonomischen Gesichtspunkten verstanden: „Die Förderung des Nachhaltigkeitsbewusstseins in den Streitkräften scheint von einem starken regulatorischen Umfeld, einem hohen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und mittleren bis niedrigen Militärausgaben abhängig zu sein“, schreiben sie. Vielleicht stark vereinfacht ausgedrückt: Nachhaltigkeit muss sich rechnen, und das wird schwieriger werden.

Ohnehin sieht sich die Bundeswehr in ihrer Auftragserfüllung in einem Mehrfronten-Krieg gegen diverse Gesetze zum Umweltschutz: Wasserhaushaltsgesetz (WHG), Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG). Zusätzlich bestehen das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) und das Klimaschutzgesetz (KSG) oder das Gesetz zu Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP). Anfang Januar haben Bund und Länder beispielsweise eine gemeinsame Plattform geschaffen, um militärische Bauten zügiger umzusetzen und freie Kapazitäten zu nutzen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung für militärische Bauten bleibt aber grundsätzlich in Kraft.

Pistorius‘ Balanceakt: Was, wenn Naturschutzbelange und künftige Verteidigungsaufgaben kollidieren?

Was aber, wenn Naturschutzbelange und künftige Verteidigungsaufgaben kollidieren? Würde erhöhter militärischer Flugbetrieb dem Lärmschutz von Anwohnern übergeordnet? Oder andersherum? Wo bleiben die Klimaziele inmitten der forcierten Verteidigungsbemühungen? Wenn mehr Panzer rollen und mehr Kampfjets fliegen? Wenn mehr Granaten produziert werden müssen? Womöglich hat sich die EU noch keine stringenten Gedanken gemacht, wie Nachhaltigkeit kompatibel zu bekommen ist, mit einem Mehr an Produktion von potentiell tödlichen Stoffen.

„Ein entscheidender Teil des Bereitschaftspuzzles besteht darin, den EU-Rechtsrahmen horizontal und insbesondere in nicht verteidigungsspezifischen Bereichen an diese Zeit anzupassen“, schlussfolgern die unterzeichnenden Verteidigungsminister, wie sie der Telegraph zitiert. Beides gegeneinander auszutarieren, wird einer Quadratur des Kreises nahe- oder sogar gleichkommen. Die Scientists for Global Responsibility jedenfalls äußern sich skeptisch. Vieles von dem, was offiziell versprochen wird, klingt für sie nach „Greenwashing“ – in ihrer Studie halten sie die Thesen für verführerisch falsch:

„Mehr Kampf, weniger Treibstoff“, beispielsweise als Titel eines Berichts des US Defense Science Board, den sie zitieren. Ihre Formulierung klingt logischer: „Der Schlüssel zu einer echten Reduzierung der militärischen CO₂-Emissionen liegt daher in der Kürzung der riesigen Militärbudgets weltweit. … Und der Schlüssel zur Kürzung dieser Budgets liegt in der Reduzierung militärischer Spannungen.“

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