Trump verhandelt mit Minsk über die Freilassung von mehr als 100 politischen Gefangenen. Oppositionelle und Analysten sehen darin Chance und Risiko.
Washington, D.C./Minsk– Die Regierung von Donald Trump setzt bei ihrer Belarus-Politik offenbar zunehmend auf persönliche Kanäle zu Alexander Lukaschenko. Bereits vor dem Alaska-Gipfel zum Ukraine-Krieg mit Wladimir Putin telefonierte Trump mit dem belarussischen Machthaber und stellte anschließend eine „wunderbare“ Gesprächsatmosphäre in Aussicht. Ziel der Annäherung ist ein großer Gefangenendeal – doch ob dieser Minsk aus der russischen Umklammerung löst oder das System Lukaschenko stabilisiert, ist zwischen Verbündeten umstritten.
Nach Angaben mehrerer mit den Gesprächen vertrauter Quellen verhandeln Washington und Minsk über die Freilassung von „mindestens“ 100 politischen Gefangenen in einem Paket. Zuvor hatte Belarus in mehreren Wellen bereits Dutzende Häftlinge entlassen, die größte Freilassung umfasste 52 Personen im September. Die Initiative ist Teil einer breiteren Strategie, die Beziehungen zu dem autoritär regierten Land zu „enteisen“ und im Gegenzug über mögliche Sanktionserleichterungen zu sprechen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Trump-Lukaschenko-Deal sorgt für Skepsis bei Oppositionellen und Aktivisten
Dass Lukaschenko politische Gefangene als Verhandlungsmasse nutzt, ist für belarussische Oppositionelle kein neues Muster. Belarussische Menschenrechtsorganisationen wie Wjasna sprechen seit 2020 von Tausenden politischer Fälle. Nach ihren Kriterien sind derzeit über 1.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert, andere zählen noch deutlich mehr. Während aus Minsk immer wieder prominente Gefangene freikommen, berichten Aktivisten und Oppositionelle, wie etwa Andrej Sannikau, zugleich von hunderten neuen Festnahmen seit 2024 – der „Drehtür“-Effekt hält an.
Der frühere Präsidentschaftskandidat und langjährige Oppositionsführer Sannikau, der selbst nach der Wahl 2010 misshandelt und inhaftiert wurde, warnt deshalb vor einer Wiederholung alter Fehler. Trump habe für Lukaschenko „den Weg des Feilschens wieder eröffnet“, sagt er im Podcast „The Naked Pravda“ des Portals Meduza. Der Machthaber nehme „mehr Menschen fest, als er freilässt“ – und werde so darin bestärkt, politische Häftlinge als „Geiseln“ zu betrachten und gegen Anerkennung oder Sanktionserleichterungen zu tauschen.
Kritik aus dem Exil: Warnung vor Trumps „Deal“ ohne Systemwandel in Belarus
Belarus-Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja, deren Mann Sjarhej Zichanouski unter amerikanischer Vermittlung nach fast fünf Jahren Einzelhaft freikam, mahnte jüngst in einem Gastbeitrag für den Kyiv Independent, Lukaschenko sei „kein Präsident mehr, sondern ein Stellvertreter des Kreml“. Seine neue Gesprächsbereitschaft gegenüber dem Westen deute nicht auf einen Kurswechsel hin, sondern auf den Versuch, Sanktionen zu lockern, Isolation zu durchbrechen und neue Legitimität zu gewinnen.
Zichanouskaja begrüßt zwar die Bemühungen der USA, Gefangene freizubekommen, warnt aber vor einer Aufweichung der europäischen Linie. Sanktionen seien nicht nur Reaktion auf Repression im Innern, sondern auch auf die Rolle von Belarus als Aufmarschgebiet für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Solange Minsk russische Truppen, Waffen und Infrastruktur zur Verfügung stelle, dürften zentrale EU-Sanktionen – insbesondere im Zusammenhang mit der Kriegswirtschaft – nicht gelockert werden, argumentiert sie.
Belarus-Gefangenen-Deal 2025
Aktuelle Gefangene: 1.218 politische Häftlinge (Stand: 5. Dez. 2025). Über 1.000 seit 2020.
US-Verhandlungen: Deal um ≥100 Freilassungen; größte Welle: 52 im Sept. 2025.
Wichtige Releases: - Juni: 14 Häftlinge
- Sept.: 52 Personen
- Nov.: 31 Ukrainer.
US-Akteure: John Coale (Sondergesandter seit Nov. 2025), Keith Kellogg.
Sanktionen: US lockert für Belavia (Sept.); EU verschärft wegen Ukraine-Rolle/Hybrid-Angriffe.
Opposition: „Drehtür“-Effekt: Neue Festnahmen > Freilassungen (Sannikau).
(Quellen: Reuters, Vjasna, Meduza, Chatham House. Stand: Dez. 2025)
Ex-Präsidentschaftskandidat Sannikau warnt vor systematischer „Geisel-Logik“ Lukaschenkos
Im Podcast „The Naked Pravda“ schildert Andrej Sannikau ferner eindringlich, wie tief verankert Lukaschenkos Umgang mit politischen Gefangenen im Machtapparat ist. Der Machthaber begreife Häftlinge nicht als innenpolitisches Risiko, sondern als strategische Ressource, sagt Sannikov: Sie würden festgenommen, freigelassen und erneut ersetzt – je nachdem, welche diplomatischen Hebel Minsk gerade benötige. Besonders kritisch sei, dass viele der jüngst Entlassenen nicht tatsächlich befreit, sondern ohne Papiere an die Grenze gefahren worden seien. Für Sannikov zeigt dieses Muster, dass Lukaschenko weiterhin auf Abschreckung, Kontrolle und taktische Verwertbarkeit setzt.
Zugleich kritisiert er, dass Europa im aktuellen Prozess kaum sichtbar sei. Während Washington mit Sondergesandten und direkten Kontakten arbeite, bleibe die EU weitgehend Beobachterin – eine Lücke, die Lukaschenko gezielt ausnutzen könne. Früher seien die USA und Europa bei der Frage politischer Gefangener eng abgestimmt gewesen, sagt Sannikau. Heute befürchte er, dass Minsk versuche, beide Seiten gegeneinander auszuspielen, um Spielräume zurückzugewinnen und internationale Isolation schrittweise zu unterlaufen.
Washingtons Kalkül unter Trump: Distanz zu Moskau – zumindest ein wenig
In der Trump-Regierung wird die Annäherung an Lukaschenko indes offiziell vor allem als humanitäre Mission beschrieben: Ziel sei es, möglichst viele politische Gefangene freizubekommen und deren Leben zu retten. Zugleich erklären US-Beamte gegenüber Reuters, man verfolge eine langfristige Strategie, Minsk zumindest „am Rand“ aus Moskaus geopolitischem Orbit zu lösen. Schon eine leichte Bewegung in Richtung Westen gelte in Washington als strategischer Erfolg, heißt es aus Regierungskreisen.
Eine zentrale Figur in den Gesprächen ist Trumps Sondergesandter John Coale, der bereits an früheren Freilassungen beteiligt war und Anfang November offiziell zum „Special Envoy“ für Belarus ernannt wurde. Zusammen mit anderen Emissären – etwa dem früheren Sicherheitsberater Keith Kellogg – reist er regelmäßig nach Vilnius und Minsk, während das US-Finanzministerium erste, begrenzte Sanktionserleichterungen etwa für die belarussische Fluglinie Belavia prüft.
Trump und Belarus: Europa bleibt skeptisch – und auf Abstand
In vielen europäischen Hauptstädten wird der US-Kurs mit Zurückhaltung beobachtet. Mehrere EU-Staaten haben ihre Sanktionen gegen Belarus zuletzt eher verschärft, unter anderem wegen der fortgesetzten Unterstützung des russischen Krieges und neuer „hybrider“ Vorfälle wie Ballonflügen in den Luftraum Litauens. Während Washington auf Gesprächskanäle setzt, halten die meisten EU-Regierungen Minsk demonstrativ auf Distanz, so Reuters, und stufen das Land weiterhin als engsten Verbündeten Russlands an der NATO-Ostflanke ein.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschreibt Lukaschenko als Machthaber, der seit den Protesten 2020 stärker denn je von Putins Unterstützung abhängt und dessen außenpolitischer Spielraum deutlich geschrumpft ist. Zwar versucht er, wie schon früher, zwischen Moskau und dem Westen zu pendeln, doch entscheidende Schritte – etwa eine klare Distanzierung von russischen Militärprojekten – wären ohne Zustimmung des Kreml kaum denkbar. Entsprechend begrenzt sehen viele europäische Beobachter die Chancen, Belarus über einen Gefangenendeal aus der strategischen Umarmung Russlands zu lösen.
Belarus als „Pufferstaat“? Debatte über neues Sicherheitsmodell
Aus US-nahen Thinktanks kommen dagegen Stimmen, die Trumps Linie als unterschätzten außenpolitischen Erfolg bewerten. In einem Beitrag für das Portal Responsible Statecraft argumentiert der Politikwissenschaftler Mark Episkopos, eine schrittweise Normalisierung mit Minsk könne langfristig zu einer stabileren Sicherheitsarchitektur an der NATO-Ostflanke beitragen. Belarus müsse nicht aus allen Bündnissen mit Russland gelöst werden, könne aber durch Dialog und Vereinbarungen verpflichtet werden, keine Aggression gegen Nachbarn zu unterstützen.
Episkopos sieht in der US-Belarus-Schiene ein mögliches Modell „niedriger Kosten und Risiken“, mit dem die USA ihre Präsenz in Europa reduzieren und zugleich Eskalationsrisiken eindämmen könnten. Im Idealfall könnte daraus ein verbindliches Versprechen entstehen, dass Belarus sein Territorium nicht mehr für Angriffe auf Nachbarstaaten zur Verfügung stellt – ohne formalen Bruch mit Moskau. Kritiker wenden hingegen ein, dass Lukaschenkos Rolle bei der russischen Invasion 2022 zeige, wie schnell solche Zusagen Makulatur werden können.
Lukaschenkos „Geiseln“: Freigelassen – aber oft ohne Heimat und Status
Ein weiterer Streitpunkt ist die konkrete Ausgestaltung der Freilassungen. Menschenrechtler berichten, dass viele entlassene politische Gefangene nicht in Belarus bleiben dürfen, sondern ohne gültige Papiere an die Grenzen – etwa nach Litauen – gebracht werden. Sannikau spricht in dem genannten Podcast von Menschen, die „ohne Pässe“ an der Grenze stünden und sich plötzlich als faktisch Staatenlose wiederfänden, ohne gesicherten rechtlichen Status im Aufnahmeland.
Auch Zichanouskaja verweist gemäß The Kyiv Independent auf Fälle, in denen Familien von Freigelassenen weiter Repressionen ausgesetzt seien oder wichtige Oppositionsfiguren wie der Sozialdemokrat Mikalaj Statkewitsch spurlos im System verschwänden, nachdem sie eine Ausreise abgelehnt hätten. Aus ihrer Sicht zeigt dies, dass es Lukaschenko nicht um echte Liberalisierung geht, sondern um taktische Entlastung nach innen und außen – bei gleichbleibend harter Kontrolle im Land.
Deals zwischen Trump und Belarus: Zwischen Humanität und Risiko – eine fragile Balance
Zwischen Washingtons humanitärem Anspruch und den Warnungen aus der belarussischen Opposition bleibt eine schwierige Balance. Für die Familien der bislang rund 100 Freigelassenen ist jeder Deal ein unmittelbarer Gewinn. Gleichzeitig fürchten viele Aktivistinnen und Aktivisten, dass Lukaschenko mit jedem Paket an Häftlingen, das er in den Westen „exportiert“, neue Verhandlungsmasse schafft und sein Herrschaftssystem international wieder salonfähiger wird.
Ob Trumps Annäherung Belarus langfristig verändert oder vor allem ein bekanntes Muster – Geiseln gegen Sanktionen – bestätigt, hängt letztlich davon ab, ob Freilassungen mit klaren Bedingungen verknüpft werden: einem Ende der Repression, überprüfbaren Garantien und einer echten Perspektive auf demokratischen Wandel. Solange aber weiter neue politische Gefangene hinzukommen, wird die Diskussion darüber, ob es sich um einen diplomatischen Durchbruch oder um eine Falle Lukaschenkos handelt. (Quellen: Meduza, Reuters, Kyiv Independent, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Responsible Statecraft) (chnnn)