Russlands Wirtschaft erinnert an Sowjetunion: Aktueller Boom ist „letzter Wachstumsschub“
Die russische Wirtschaft zeigt sich resilient – trotz Ukraine-Krieg und Sanktionen aus dem Westen. Die Verbraucherstimmung ist überraschend hoch.
Moskau – Die Sanktionen des Westens sollen eigentlich Russlands Kriegskassen austrocknen. Doch Moskau findet Mittel und Wege, um die Beschränkungen zu umgehen. Die russische Wirtschaft wächst, vor allem weil der Staat Milliarden in die Kriegswirtschaft pumpt. Nachhaltig ist das nicht. Doch die Verbraucherstimmung ist ungetrübt und erreicht im Juni sogar einen Höchststand.
Russlands Wirtschaft wächst: Was hinter dem Boom steckt
Der Konsum in Russland floriert. Laut dem Moskauer Meinungsforschungsinstitut Levada, das zumindest bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs als neutral galt, kletterte die Verbraucherstimmung in Russland im Juni auf ein neues Rekordhoch, das es so seit rund zwei Jahrzehnten nicht mehr gab. Seit April 2022 und damit kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine stieg der Stimmungsindex durchgehend an. 2023 lag der Pro-Kopf-Konsum über 20 Prozent höher als noch 2021, wie die Financial Times berichtete.
Auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Russlands kletterte im zweiten Quartal 2024 um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, wie die russische Statistikbehörde Rosstat mitteilte. Zum Vergleich: In den USA lag das Wachstum im gleichen Zeitraum bei 2,8 Prozent. In Deutschland legte das BIP indes preisbereinigt im Vergleich zum zweiten Quartal 2023 um nur 0,3 Prozent zu. Russland hat seit langem auf Kriegswirtschaft umgestellt, die Industrie arbeitet in drei Schichten pro Tag rund um die Uhr.
Kremlchef Wladimir Putin ordnete zuletzt eine Steigerung der russischen Militärausgaben um fast 70 Prozent an und ernannte einen Wirtschaftsfachmann zum neuen Verteidigungsminister. Alles ordnet sich in Russland also offenbar der Finanzierung des Kriegs in der Ukraine unter: 40 Prozent des BIP fließt nach Angaben der US-Kriegsexperten des Institute for the Study of War bereits in den Krieg. Putin selbst sprach von Ausgaben von rund neun Prozent des BIP für Verteidigung und Sicherheit. So oder so: Das Wirtschaftswachstum in Russland halten Experten nicht für nachhaltig.
Russlands Wirtschaftswachstum nicht nachhaltig? Hohe Inflation und Arbeitskräftemangel
In Russland herrscht Personalmangel. Auf dem Arbeitsmarkt könnten bis 2030 laut der Moskauer Unternehmensberatung Yakov und Partners zwei bis vier Millionen Menschen fehlen. Das würde nicht nur das Wirtschaftswachstum verringern, sondern birgt auch Gefahren mit Blick auf die Inflation. Die Teuerung ist jetzt schon deutlich zu hoch: Die russische Zentralbank hatte den zentralen Zinssatz Ende Juli von 16 auf 18 Prozent erhöht. Im Juni hatte die Teuerungsrate in Russland im Vergleich zum Vorjahr bei 8,6 Prozent gelegen, nach 8,3 Prozent im Mai.
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Experten erwarten der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge, dass das Wachstum sich in der zweiten Jahreshälfte halbieren wird. Der derzeitige Boom ist „ein letzter Wachstumsschub, bevor sich die russische Wirtschaft merklich abkühlt“, erklärte etwa der Wirtschaftsexperte Alex Isakov. Das Problem: Das Wachstum in Russland ist extrem von Militärinvestitionen abhängig. Ein Wachstum, das auf Krieg aufbaue, sei aber nicht nachhaltig, meint der Professor für die Volkswirtschaft Russlands an der Universität Oxford, Michael Rochlitz, im Gespräch mit ntv. „Die Sowjetunion ist zum Schluss genau daran gescheitert“, so Rochlitz weiter.
Viele Menschen wären schlicht aus Angst, arbeitslos zu werden, gegen ein schnelles Kriegsende. Experten gehen zudem davon aus, dass die derzeit hohen Zinssätze den Privatkonsum über kurz oder lang abschnüren. Denn immer mehr Verbraucher wären laut Isakov nun „mit der Realität einer Kreditaufnahme zu Zinssätzen von 20 Prozent oder mehr konfrontiert“. Der überraschende Vorstoß der Ukraine auf die russische Region Kursk setzte zuletzt auch den Rubel unter Druck. Der Kurs fiel am Montag (12. August) um 2,2 Prozent im Vergleich zum US-Dollar, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete (bme mit Material der AFP).