Deutschlands Exportmacht bröckelt: Nur noch bei 180 Produkten Weltmarktführer

Exporte schaffen Abhängigkeiten. Abhängigkeiten schaffen Verhandlungsmacht. Und Deutschlands Verhandlungsmacht ist in den vergangenen 15 Jahren ständig gesunken. Zu diesem Ergebnis gelangt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Sie soll als eine der ersten ihrer Art klären, welche Stärken die Bundesrepublik weltpolitisch einsetzen kann, um sich nicht von den USA, China und Russland herumkommandieren lassen zu müssen. 

Warum Deutschland eine starke Exportwirtschaft braucht, zeigen Donald Trump und die Weltpolitik: "Wenn Deutschland bei bestimmten Waren den Export dominiert, sind andere Länder von der Bundesrepublik abhängig", schreiben Samina Sultan und Jürgen Matthes vom IW. "Gerade in Zeiten von Handelskonflikten kann das ein Trumpf sein, um politisch Druck auszuüben."

Ihr Resümee ist allerdings ernüchternd: Von rund 5300 untersuchten Waren besitzt Deutschland nur noch in rund 180 Gruppen eine dominante Position. Als "dominante Position" verstehen die Experten einen Weltexportanteil von mindestens 30 Prozent. Vor 15 Jahren dominierte Deutschland noch rund 240 Waren. Zum Vergleich: China hat bei rund 1500 Waren den höchsten Marktanteil. Das ist die schlechte Nachricht der Studie.

Die guten Nachrichten lauten: 

1. EU gemeinsam stark

  • Dass der Anteil der Bundesrepublik am Weltexport sinkt, überrascht wenig. Bevölkerungsreiche Länder wie China und Indien erlangen Wohlstand, die Menschen dort stellen mehr für den Export interessante Produkte her. Dadurch sinkt der Anteil Deutschlands am Welthandel.
  • Die Europäische Union besitzt aber weiter immensen Einfluss. Gemeinsam dominieren ihre 27 Länder den Welthandel in rund 3500 Waren. Das sind mehr als doppelt so viele wie China, obwohl dort deutlich mehr Menschen leben. Wer gut wirtschaften will, braucht also gute Kontakte zur EU.
  • Politisch kann die EU dadurch von ihren Handelspartnern einiges verlangen – zumindest, solange sie an einem Strang zieht. Tritt Deutschland beispielsweise aus der EU aus, verschenkt es seine weltpolitische Bedeutung.

2. Deutschland besitzt einen Markenkern

Deutschland hat seine Dominanz in einigen Warengruppen seit 2010 neu gewonnen. Knapp die Hälfte aller derzeit dominierten Gruppen kam seit 2010 neu hinzu. "Deutschland gelingt es, neue Stärken im Export aufzubauen", folgern die IW-Experten. Wichtig ist zugleich, dass die Bundesrepublik den Exportmarkt in einigen Kategorien stabil bestimmt:

  • Deutschland dominiert 92 Warengruppen durchgängig seit dem Jahr 2010 und rund 142 Warengruppen seit drei Jahren.
  • Die Bundesrepublik besitzt also einen Markenkern, wie es die IW-Experten nennen. Dieser Markenkern sichert dem vergleichsweise kleinen Deutschland weltpolitischen Einfluss.

Der deutsche Markenkern erstreckt sich auf drei große Branchen:

  • Chemische Erzeugnisse (zum Beispiel Düngemittel, Medikamente wie Schmerzmittel),
  • Maschinen und Elektrotechnik (zum Beispiel Spezialmikroskope, Erntemaschinen),
  • Metalle und Metallwaren (zum Beispiel Stahlprodukte).

Deutschland stärkt seine Exportposition, indem es diesen Markenkern erhält und auf weiteren Feldern Dominanz aufbaut. Das misslingt aber seit Jahren.

Deutschlands Markenkern schwächelt

Die rund zehn Milliarden Euro, die BASF in China investiert, verdeutlichen die Schwäche des deutschen Markenkerns: Der weltgrößte Chemiekonzern erwirtschaftet nach eigenen Angaben in allen Märkten einen Gewinn. Nur nicht in Deutschland. Schuld sind vor allem gestiegene Energiekosten. Also fließen seit einigen Jahren Milliarden in andere Standorte, während BASF am Hauptstandort in Ludwigshafen Produktionen stilllegt.

Ähnliche Probleme betreffen viele energieintensive Unternehmen. Mit 16 Millionen Tonnen Rohstahl jährlich trägt Duisburg 43 Prozent zur gesamten Stahlproduktion Deutschlands bei. Die Branche erwirtschaftet rund 2,2 Milliarden Euro und beschäftigt 17.800 Menschen. Durch Exporte sichert sie Deutschland zudem politische Mitspracherechte.

Doch auch die Stahlproduktion kämpft gegen schlechtere Rahmenbedingungen: teure Energie, Bürokratie, Fachkräftemangel. Seit 2019 ist die Beschäftigung in der Stahlindustrie um 7,9 Prozent gesunken.

Gerade Deutschlands Markenkern leidet also unter den sich wandelnden Rahmenbedingungen.

"Wettbewerbsfähigkeit stark verschlechtert" – Regierung muss handeln

Die IW-Experten fordern von der neuen Bundesregierung eine unternehmens- und investitionsfreundlichere Wirtschaftspolitik als von der Ampelkoalition. In den vergangenen Jahren habe sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands "stark verschlechtert". Die neue Regierung müsse "durch wirtschaftspolitische Reformen die Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität wieder deutlich verbessern".

Einige Maßnahmen, die laut den Experten dabei helfen:

Bürokratie abbauen: Neue Industrien müssen sich schnell ansiedeln und erweitern können. Lange Genehmigungsverfahren stören dabei. Die Regierung um den wahrscheinlichen Kanzler Friedrich Merz (CDU) könnte diese Prozesse beschleunigen.

Infrastruktur ausbauen: Deutschland braucht gut an Infrastruktur und erneuerbare Energien angeschlossene Flächen, auf denen sich neue Unternehmen ansiedeln und bestehende erweitern können. 

Innovationsnetzwerke aufbauen: Start-ups fördern, Geldgeber fördern, Wissensaustausch zwischen Wissenschaft, Industrie und Gründern verstärken: Gute Exporte brauchen gute Technologie. Diese muss schnell an den Markt kommen.

Versorgung mit grünem Wasserstoff aufbauen: Stahl mittels grünem Wasserstoff herzustellen schaffe einen strategischen Wettbewerbsvorteil und sichere die Exportposition, schreiben die IW-Experten: Produkte, die aus diesem Stahl hergestellt werden, etwa deutsche Autos, verbessern dann ebenfalls ihre CO2-Bilanz. Dadurch besitzen diese Produkte ein internationales Alleinstellungsmerkmal. Unternehmen, die Treibhausgase aus ihrer Produktion verbannen wollen, müssen hier einkaufen.

Gleiches gilt für chemische Produkte und Elektrotechnik: Versorgt Deutschland seine wichtigsten Industrien mit günstiger grüner Energie, stärkt es seinen Markenkern, seine Exporte und seine Position in der Weltpolitik.