Autozulieferer hofft aufs Geschäft mit grüner Energie – und geht riskante Wette ein
Die Firma Schuler ist eine jener klassischen Erfolgsgeschichten des Industriestandorts Deutschland: 1839 als Zwei-Mann-Schlosserwerkstatt in Göppingen gegründet, beschäftigt das Unternehmen heute 5000 Mitarbeiter und ist einer der weltweit führenden Hersteller von großen Pressen und Walzwerken für die Autoindustrie.
Doch die deutschen Autobauer haben mit sinkenden Verkaufszahlen und Gewinnen zu kämpfen – auf Zulieferer wie Schuler schlägt die Krise voll durch. Im vergangenen Jahr gab das Unternehmen den Abbau von knapp 500 Arbeitsplätzen in Deutschland bekannt, zwei Standorte nahe Heilbronn und Ravensburg sollen geschlossen werden. Seit diesem Jahr heißt das Unternehmen offiziell auch Andritz Schuler: Der österreichische Maschinenbaukonzern Andritz hatte das Unternehmen im Jahr 2020 übernommen.
Wasserstoff statt Walzwerke
In diesen turbulenten Zeiten geht Schuler nun eine Wette auf die grüne Zukunft ein. Am Standort Erfurt eröffnete das Unternehmen letzte Woche eine neue Fertigungsanlage für Komponenten sogenannter Elektrolyseure. Mit Elektrolyseuren und Strom aus erneuerbaren Energiequellen lässt sich grüner Wasserstoff produzieren, eine Schlüssel-Energiequelle für viele klimaneutrale Anwendungen in der Industrie.
Anstelle von Pressewerken für die Autoindustrie fertigen 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Erfurt nun also Technik für die grüne Zukunft. „Wir haben das Team, die Erfahrung, die finanzielle Kraft und das Vertrauen unserer Kunden, um neue Technologien für die grüne Transformation zu entwickeln“, sagte Andritz-Chef Joachim Schönbeck bei der Eröffnung am Mittwoch. Am Standort Erfurt gebe es bereits die nötige Infrastruktur und Erfahrung im Bau von Schwermaschinen.
Aus der Krise in die Krise
Bis zu 200 Exemplare der im Durchschnitt 80 Tonnen schweren Anlagen sollen pro Jahr in Thüringen entstehen, das entspricht einer Kapazität von einem Gigawatt. Der Impuls entstand durch einen firmeneigenen Ideenwettbewerb. Doch die Wette auf grünen Wasserstoff ist nicht ohne Risiken: Ähnlich wie die Autoindustrie steuert auch die Wasserstoff-Branche derzeit durch eine Krise.

Probleme gibt es viele. Die Herstellungskosten sind hoch, das Angebot an grünem Strom ist noch gering, die Nachfrage der Industrie ist zahmer als gedacht, chinesische Konkurrenz drängt auf den Markt. Auch in Deutschland wurden zahlreiche geplante Projekte wieder abgesagt, verschoben oder in ihrer Größe reduziert. Im November des vergangenen Jahres waren nach Recherchen von FOCUS online Earth erst fünf Elektrolyseure in Deutschland in Betrieb.
„Die alten Produkte gehen raus, die neuen Produkte gehen rein“
„Das Wachstum ist zwar deutlich geringer als prognostiziert“, sagte Andritz-Chef Schönbeck der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). „Aber grüner Wasserstoff wird Teil der Energiewirtschaft der Zukunft sein und dort genutzt werden, wo es wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Tatsächlich hat Andritz Schuler bereits einen Großauftrag des Stahlherstellers Salzgitter in der Tasche: Der Konzern plant den Bau einer Elektrolyse-Anlage mit einer Kapazität von 100 Megawatt.
Ein weiterer Auftrag soll schon bald aus dem Rostocker Hafen eintrudeln, wo die Energiekonzerne RWE, EnBW und Rheinenergie ebenfalls eine Anlage mit 100 Megawatt Kapazität hochziehen wollen. Schönbeck blickt daher optimistisch in die Zukunft. Es sei schön, wenn man mit neuen Technologien nun Arbeitsplätze schaffen könne, sagte der Andritz-Chef: „Die alten Produkte gehen raus, die neuen Produkte gehen rein.“
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