Stealth-Bikes: Putin schickt Soldaten auf Rollern in den Ukraine-Krieg

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Fahrzeugvielfalt: Zwei Russen einer Aufklärungseinheit auf einem Quad – das hochmobile Fahrzeug gehört neben militarisierten Golf-Wagen und jetzt auch Rollern zu einer breiter werden Flotte an Improvisationen, wo gepanzerte Transportmittel fehlen und die Soldaten der Lebensgefahr aussetzen. © IMAGO/Stanislav Krasilnikov

Innovation oder Improvisation – der Ukraine-Krieg beginnt zu rollern: Entweder wollen die Truppen besonders leise sein, oder ihnen fehlen die Panzer.

Moskau – „Wäre es nicht ratsam, den Jungs etwas von dieser Ausrüstung zu schicken?“, soll Maxim Ivanov gefragt haben. Im Juni bereits habe der Abgeordnete der russischen Duma auf seinem Telegram-Kanal seine Erkenntnis veröffentlicht, „dass an einigen Orten an der Front Bedarf an Elektrorollern besteht“, wie er schrieb. „Ein Kommandant hat mehrere solcher Geräte angefordert, damit sich der Granatwerferzug leise zwischen den Positionen bewegen kann“ – ein neues Video der Streitkräfte der Ukraine soll belegen, dass Wladimir Putins Invasionsarmee ihre Angriffe auf ukrainische Stellungen in Donezk und im Süden wohl häufig auf Rollern durchführe.

Darüber berichtet aktuell das Magazin Defense Express. Der Trend zur Nutzung ungewöhnlicher, weil vermeintlich „unmilitärischer“ Fahrzeuge besteht im Ukraine-Krieg schon länger. Wahrscheinlich aus Überzeugung beziehungsweise auch aufgrund der Notwendigkeit. Wie der Sender RBC Ukraine aktuell berichtet, habe Russland seit Kriegsbeginn vor fast drei Jahren mindestens 20.000 gepanzerte oder leicht gepanzerte Fahrzeuge verloren. Bereits zu Beginn des Krieges habe Russland nie genügend Lastwagen gehabt, um Personal schnell zu beziehungsweise ausreichend zügig nachzuschieben, hatte das Magazin Forbes berichtet.

Putin drückt aufs Tempo: Russland greift offenbar verstärkt auf Elektroroller und Strandbuggys zurück

Aufgrund der knappen Zeit für die Notwendigkeit Land zu gewinnen beziehungsweise, um sich schnell zu bewegen, greift Russland jetzt offenbar verstärkt auf Elektroroller und Strandbuggys zurück. Wie in den meisten militärischen Bewegungen ist Schnelligkeit in fast jeder militärischen Gefechtslage ein entscheidender Aspekt – dafür werden die motorisierten Schützen herangeführt; ihre Bezeichnung im Westen ist Panzergrenadier. In den Armeen des Ostens lautet die Bezeichnung motorisierter Schütze; die Aufgabe ist aber die gleiche. Die Golfwagen beziehungsweise Buggys oder Elektroroller scheinen tatsächlich fast das letzte Aufgebot Putins zu sein – genauso für Spezialisten wie Scharfschützen oder Sanitäter.

„Ich frage mich wirklich, wie sie das ‚taktische‘ Aufladen bewerkstelligen werden. Werden die Truppen Ersatzbatterien mit sich führen oder werden die Einheiten auf Dieselgeneratoren angewiesen sein, die außer Hörweite sind?“

Allerdings setzt auch die Ukraine darauf, wie das Wall Street Journal (WSJ) berichtet hat: Kleinere, leisere Fahrzeuge seien schwerer zu erkennen und zu hören, was den Truppen an der Front eine bessere Überlebenschance gebe, schreiben Alistair MacDonald und Ievgeniia Sivorka. Das Gefechtsfeld hat sich verändert – dadurch, dass beide Seiten massenhaft Drohnen zur Aufklärung nutzten, ist der Boden nahezu glasklar geworden

Tarnen und Täuschen seien wieder zu den Generaltugenden einer modernen Armee zu zählen, erklärte beispielsweise Oberstleutnant Martin Winkler, Leiter des Sachgebietes „Auswertung“ im Kommando Heer, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Bei den Einsätzen beispielsweise in Afghanistan oder Mali waren Armeen im Gegenteil darum bemüht, wie Winkler sagte, „offen Präsenz zu zeigen und zu stabilisieren“. Das könnte in kommenden militärischen Konflikten überholt sein, das Gefechtsfeld wird gläsern werden. Umso wichtiger sei das Legen falscher Fährten beziehungsweise das Vermeiden eigener Spuren. Der Elektroroller trägt dazu bei.

Fahrzeuge beiderseits knapp: Auf Provisorien angewiesen zu sein, vereint die beiden Kriegsgegner

Die leisen und wendigen Fahrzeuge auf zwei oder vier Rädern emittieren weniger Geräusche und eine geringere Wärme-Signatur. „Ein Sanitäter ist sogar auf ein elektrisches Einrad umgestiegen“, schreiben die WSJ-Autoren. Trotz der Möglichkeiten, Trupps zügig zu verlegen oder Verwundete zu bergen, bleiben die Elektroroller oder Quads aber wohl reine Verlegenheitslösungen. Aufgrund der Drohnen sei der schwierigste Teil einer Mission selten die Mission selbst, sondern das Ein- und Aussteigen, sagte gegenüber dem WJS der US-Veteran mit dem Kampfnamen „Herring“ – einer von Hunderten Ausländern auf Seiten der Ukraine.

Den Vorteil der geringen Maße sowie des sehr viel leiseren Antriebs beziehungsweise der erhöhten Mobilität bezahlen diese Militärfahrzeuge allerdings mit dem fehlenden Platz, fehlender Feuerkraft und fehlender Panzerung. Sie bleiben deshalb lebensgefährlich – bauartbedingt. Auf diese Provisorien angewiesen zu sein, vereint die beiden Kriegsgegner – Russland ist aber vielleicht bedürftiger, als die vom Westen unterstützten Ukrainer: „Der grundsätzliche Mangel an Soldaten führte weiter dazu, dass Russlands technisch mittlerweile moderneres und leistungsfähigeres Gerät nicht sein volles Potenzial entfalten konnte“, schreibt Robert Näbig.

Außerdem verfüge die russische Armee nicht über genügend motorisierte beziehungsweise mechanisierte Infanterie sowie Nachrichtendienst- und Aufklärungskräfte, um ihre Verbindungslinien und Nachschubkonvois in der Ukraine effektiver zu schützen, so der Autor des Magazins Internationale Politik. Das aktuell aufgetauchte Video scheint dem Analysten recht zu geben – veröffentlicht habe das die 12. Spezialeinsatzbrigade „Asow“ der Nationalgarde der Ukraine, so Defense Express. Die „Asow“-Kämpfer behaupten darin, dass die Russen für ihre nimmermüden Angriffe inzwischen sogar auf Fahrräder zurückgreifen müssten.

Ukraine besser aufgestellt: Sie wird strukturiert mit Rollern versorgt

Im Juni hatte das lettische Unternehmen Mosphera Dankschreiben ukrainischer Soldaten erhalten, schreibt das Magazin Breaking Defense. Die Rollerschmiede hatte den Ukrainern auf Kosten des lettischen Verteidigungsministeriums anfangs „eine Handvoll“ getarnter robuster Motorroller gespendet und dafür „sehr positives Feedback“ der kämpfenden Einheiten erhalten. Daraufhin sei eine zweite Charge vom Ministerium gekauft und weitere durch eine Wohltätigkeitsorganisation finanziert worden – insgesamt 70 Stück seien damit zusätzlich an die Ukraine gegangen.

Laut Angaben von Breaking Defense soll der Mosphera der „weltweit erste Elektroroller für militärische Zwecke“ sein – leistungsstark genug, um als „Motorrad zum Stehen“ eingesetzt zu werden, so Mosphera-Geschäftsführer Klavs Asmanis. Der Roller erreiche eine Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde und das auch „völlig geräuschlos“, wie Mosphera selbst behauptet. Er sei demzufolge auch klein genug, um im Unterholz zu verschwinden, aber so robust, dass er unwegsames Gelände meistere – „was ihn ideal für unauffällige Aufklärungs-, Späh- und Versorgungsmissionen mache“, so Breaking Defense.

Möglicherweise beantworten diese Fahrzeuge die Frage: „Wie können sich Soldaten bewegen, ohne entdeckt zu werden?“, die Kelsey Atherton bereits vor dem Ukraine-Krieg in seinem Bericht über Versuche der australischen Armee mit E-Bikes gestellt hatte. „Der Fußabdruck wird durch die geringere Leistung und den geringeren Lärm minimiert und es wird nicht so viel Staub aufgewirbelt, der von feindlichen Truppen gesehen werden könnte“, sagte dazu Thomas Ovey. Der Korporal der Queensland Mounted Infantry lobte, das E-Bike „ist viel effektiver als ein normales Motorrad“.

„Stealth Bikes“: Scharfschützen der Ukraine schnurren wohl schon auf E-Bikes an ihre Opfer heran

Wie Peter Henshaw Ende 2022 für die British Motorcyclists Federation (BMF) berichtete, setzt aber auch die US-Armee auf Elektrofahrräder – offenbar war vor dem Ukraine-Krieg ein Trend zu „Stealth Bikes“ ausgebrochen, also ein Hang zu elektrifizieren Zwei- und Vierrädern, um Aufklärern oder Evakuierenden mehr Verdunkelung ihrer Geräusche zu ermöglichen. Mit der Automatisierung von Krankentransporten durch Roboter und die Aufklärung durch Drohnen könnte diese Entwicklung auch wieder zurückgeschraubt werden.

Henshaw hat berichtet, Scharfschützen der Ukraine fuhren wohl ebenfalls bereits auf E-Bikes an ihre Opfer heran; darüber hinaus soll die ukrainische Armee auf ihre Scooter leichte Panzerabwehrwaffen montiert haben. Auch das zeugt von Innovationsgeist. Oder von Verzweiflung. Jedenfalls findet der Vorsitzende der BMF die Idee von Stealth-Bikes faszinierend, wie Jim Freeman auf der BMF-Homepage geäußert hat. Allerdings scheint ihm der militärische Einsatz von Stromern noch unrealistisch:

„Ich frage mich wirklich, wie sie das ‚taktische‘ Aufladen bewerkstelligen werden. Werden die Truppen Ersatzbatterien mit sich führen oder werden die Einheiten auf Dieselgeneratoren angewiesen sein, die außer Hörweite sind?“

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