Wolfgang Sacher ist der Mann, der niemals aufgibt
Wolfgang Sacher (57) ist der Mann, der niemals aufgibt. Der Kämmerer der Gemeinde Baierbrunn hat als „Lausbub“, wie er sagt, mit 16, bei einem Unfall den linken Arm verloren. Er hat sich zurückgekämpft - und wie!
Baierbrunn – Er hätte sich vermutlich, sagt Wolfgang Sacher, bald ein Motorrad gekauft. Vermutlich wäre er auf dem Motorrad nicht besonders langsam gefahren. „Ich war ein Lausbub“, sagt er. Aber dann passierte der Unfall, und nach dem Unfall hatte er nur noch einen Arm und verkrüppelte Füße, und das mit dem Motorrad erübrigte sich.
Kämmerer Wolfgang Sacher macht den Baierbrunnern Mut
Seit letztem Herbst ist Wolfgang Sacher (57) Kämmerer in Baierbrunn. Diesen März hat er seinen ersten Haushalt vorgestellt, er erklärte dem Gemeinderat das Zahlenpapier ziemlich genau und machte den Beteiligten Mut. Man könne sich die Schule, die Baierbrunn ja bauen will, schon leisten. Er war vorher in Garmisch tätig gewesen, dort betreute er die vielen Stiftungen, die die Kommune unterhält. Ein spannender, verantwortungsvoller, abwechslungsreicher Job, warum er den aufgegeben hat? „Baierbrunn hat mir viel geboten“, sagt er und lächelt. Er wohnt in Penzberg, ist dort auch im Stadtrat.

1000 Kilometer mit dem Rad in zehn Tagen auf Mallorca
Wolfgang Sacher war gerade im Urlaub, auf Mallorca, zum Radeln. Er heizte dort die Berge rauf und runter, 1000 Kilometer ist er gefahren an zehn Tagen. Er sagt: „Das ist für mich Erholung.“ Eine Stunde später wird er einem mitteilen: „Wenn der Herrgott mir die Gelegenheit geben würde, alles rückgängig zu machen: Ich würde es nicht wollen.“ Letztlich sei schon in Ordnung, wie gekommen ist, was kam.
Wolfgang Sacher hatte damals, mit 16, gerade eine Lehre zum Maschinenschlosser begonnen. Bei MAN in Penzberg, er ist in Penzberg ja aufgewachsen. Er hat vier Brüder. Er mochte seine Lehre. Ein Messwerkzeughalter, den er damals gefertigt hat, steht bei ihm im Büro: „Da müssen Sie aufs Tausendstel genau arbeiten.“
Stromschlag auf dem Dach eines Güterwaggons
Der Unfall passierte am 13. April 1983, er hatte an dem Abend eigentlich mit einem seiner Brüder ausgehen wollen. Dann fragten ihn Freunde, ob er sich nicht mit ihnen auf dem Bahnhofsgelände treffen wolle, der Bruder meinte: „Geh doch mit.“ Also machte er das, sie erkundeten erst einen der dort abgestellten, ausrangierten Güterzüge, dann stiegen sie aufs Dach. Liefen auf dem Dach zurück. Wolfgang geriet mit der linken Hand zu nahe an eine Starkstromleitung. „16 000 Volt schossen durch meinen Körper“, steht dazu auf der Webseite, die er unterhält. In seinem Baierbrunner Büro sagt er: „Mein Anorak verbrannte, die Schuhe explodierten“, es war, „als hätte mir ein Riese eine Watschn gegeben.“ Er verlor nicht das Bewusstsein, er realisierte, dass sein linker Arm verkohlt war, er krachte auf den Boden, er hörte die Freunde weinen. Dann legten sie ihn für zwei Wochen ins künstliche Koma.
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Krise durchgemacht
Wolfgang Sacher sagt: „Der Wille öffnet die Tür zum Erfolg.“ Aber natürlich war es nicht so, dass er im Krankenhaus aufwachte und sofort entschlossen war, zu kämpfen. Er drückt, was erstmal kam, so aus: „Ich hab eine Krise durchgemacht.“ Die Lehre musste er abbrechen, er fürchtete: „Eine Freundin krieg ich nicht mehr“, auch mit Fußball, seinem Lieblingssport, war es vorbei. Ein Jahr lag er in Großhadern, immer wieder musste er operiert werden. Sie hatten ihm den linken Arm ganz abgenommen, am rechten Fuß mussten sie ihm alle Zehen amputieren, links sind die Zehen versteift. Eine Zeitlang trank er zuviel, und irgendwann wog er 107 Kilo.
Nie nach der Stechuhr gearbeitet
Aber. Es wurde dann in Penzberg eine Lehrstelle frei in der Verwaltung. Die bekam er. Wurde Verwaltungsfachangestellter, mochte, was er machte, er hat sich immer fortgebildet. „Der Job ist mein Hobby“, sagt er, er habe nie nach der Stechuhr gearbeitet. Er bleibt am Schreibtisch sitzen, bis er fertig ist mit dem, was anliegt.
Sicher, meint er, trug die Arbeit bei zu seiner Rettung. Vor allem aber rettete ihn die Tatsache, dass er seine Frau kennenlernte, er gründete mit 23 schon Familie. Und dann kam eben noch der Sport dazu.
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Von den ersten Paralympics in Peking 2008 kam er mit drei Medaillen nach Hause
Wolfgang Sacher sagt: „Wissen S’, wenn ich was mach, dann mach ich’s gscheit.“ 1997 hatte er mit einem seiner Brüder die Pfaffenwinkel-Radrundfahrt mitgemacht – und die 170 Kilometer auf Anhieb geschafft. Auf seiner Webseite heißt es dazu: „Mein Ehrgeiz war geweckt.“ 2004 nahmen sie ihn auf in den Landeskader Radsport des Behinderten- und Versehrtensportverbands Bayern – und dann stand er regelmäßig auf irgendwelchen Siegertreppchen. 17 mal wurde er Deutscher Meister, 2006 in Aigle Weltmeister im Straßenrennen, und von den ersten Paralympics in Peking 2008 kam er mit drei Medaillen, darunter auch Gold, nach Hause. Er fährt noch immer Rennen, allerdings ist er vorsichtiger geworden. Immer wieder mal ist er gestürzt, einmal knallte er mit Tempo 80 in ein Geröllfeld, dreimal brach er sich den Arm. Im Mai geht er wieder an den Start beim UCI Worldcup in Maniago.
Dem Herrgott dankbar dafür, dass alles kam, wie es kam
Wolfgang Sacher sagt, er sei dem Herrgott dankbar dafür, dass alles kam, wie es kam. Dass er den Unfall überleben durfte. „Ich war schon immer ein Mensch, der nie aufgibt.“ Er hat über sein Leben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Der einarmige Bandit“, manchmal hält er Vorträge in Schulen, hinterher erzählen ihm die Lehrer dann, dass die Kinder nun üben würden, ihre Schuhe mit nur einer Hand zu binden. Er sagt: „Ich führ ein schönes Leben, ein gutes Leben.“ Natürlich gäbe es Momente, „wo ich mich schlecht fühle. Das kann man nicht wegtrainieren“.
Was er aus seinem Leben wohl gemacht hätte, wäre der Unfall nicht gewesen?
Was er aus seinem Leben wohl gemacht hätte, fragt man ihn zum Schluss, wäre der Unfall nicht gewesen? Er spielt mit dem Messwerkzeughalter, den er mit 16 gefertigt hat, schaut einen an, er sagt: „Ich glaube, ich würde nicht mehr leben.“ Er hätte sich ja das Motorrad gekauft. Und wäre vermutlich zu schnell damit gefahren.