„Bürger sind die Verlierer“: Enttäuschung in der Wirtschaft über „faulen“ Haushalts-Kompromiss

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Haushaltskompromiss: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner geben ein Pressestatement ab. © Michael Kappeler / dpa

Die Bundesregierung konnte sich nach zähen Verhandlungen nun doch zu einem Haushaltskompromiss durchringen. Wirtschaftsexperten reagieren gespalten: Neben einiger Kritik erntet der Plan aber auch Lob.

Berlin - Ökonomen sehen Licht und Schatten im neuen Haushaltsplan der Bundesregierung. „Die Haushaltseinigung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber Fragen bleiben offen“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Begrüßenswert findet der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts, dass die Ampel-Koalition nicht den bequemen Weg der Ausrufung einer Haushaltsnotlage gewählt habe, sondern Ausgaben kürze - vor allem Subventionen - und Umweltabgaben wie etwa den CO₂-Preis etwas stärker erhöhen will. „Dadurch bleiben Anreize für Klimaschutz erhalten“, sagte Fuest. Offen bleibe die Frage, ob auch in den kommenden Jahren im nötigen Umfang Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Dekarbonisierung getätigt werden können.

„Bürger sind die Verlierer“: DIW-Präsident reagiert enttäuscht

DIW-Präsident Marcel Fratzscher sprach von einem „faulen Kompromiss, mit dem die Bundesregierung die Probleme lediglich in die Zukunft verschiebt“. Er reiche nicht aus, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. „Die Einigung bedeutet, dass dem Staat dauerhaft 60 Milliarden Euro für Klimaschutz und Transformation fehlen werden“, sagte Fratzscher und fügte hinzu: „Bürgerinnen und Bürger gehören zu den Verlierern dieser Einigung.“ So wolle die Regierung 1,5 Milliarden Euro beim Bürgergeld und anderen Sozialleistungen einsparen, was vor allem die schwächsten und verletzlichen Menschen treffen werde.

Harsche Kritik kommt auch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln). „Die Ampel simuliert Einigkeit, ein strikter Sparkurs soll den Haushaltsstreit endgültig beenden“, sagte IW-Direktor Michael Hüther. „Dabei bleiben unverzichtbare Investitionen genauso auf der Strecke wie eine langfristige Lösung für zukünftige Haushalte.“ Problematisch sei zudem, dass der geplante Zuschuss zu Netzentgelten wegfallen solle, was den Strompreis nach oben treiben dürfte. Das bedeute eine spürbare Belastung auch für Unternehmen.

Volkswirte rechnen mit erneuter Inflation

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass die ohnehin maue Konjunktur weiter gebremst wird. „Die Konsolidierung entspricht knapp einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes“, sagte Krämer. „Das könnte das Wirtschaftswachstum möglicherweise um bis zu einem halben Prozentpunkt dämpfen im kommenden Jahr.“ Deutlich stärker werde die Konjunktur allerdings dadurch belastet, dass die Zentralbanken in allen westlichen Ländern ihre Leitzinsen im Kampf gegen die hohe Inflation kräftig anheben mussten. Er rechne für 2024 weiter mit einem Rückgang des deutschen Bruttoinlandsproduktes um 0,3 Prozent.

„Es wird wohl noch ein Jahr mit ganz leichter Rezession“, sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Er mache sich aber fast noch mehr Sorgen über die längerfristigen Aussichten, „da ich Zweifel habe, dass das heutige Paket die Planungsunsicherheit für Unternehmen und Verbraucher wieder wegnimmt“. Der Chefökonom der Berenberg Bank, Holger Schmieding, geht davon aus, dass durch weniger Subventionen und den höheren CO₂-Preis die Haushalte belastet werden. „Aber dank des Rückgangs der Marktpreise für Öl und Gas können die Haushalte das verkraften“, sagte Schmieding. (reuters, lf)

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