Die evangelische Gemeinde Holzkirchen will in ihrem „Wir-Quartier“ Inklusion zu einer Selbstverständlichkeit machen.
Teilhabe statt Ausgrenzung, Barrierefreiheit statt Hürden, Miteinander statt Gegeneinander: Die evangelische Gemeinde Holzkirchen will in ihrem „Wir-Quartier“ Inklusion zu einer Selbstverständlichkeit machen. Warum und wie? Darüber sprachen wir mit Pfarrerin Ulrike Lorentz (58).
Frau Lorentz, das evangelische Gemeindehaus soll ein Wir-Quartier werden. Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass unsere kirchlichen Räume ein Begegnungszentrum werden sollen, das offen ist für alle. Zum Beispiel Menschen mit Behinderung, Fluchterfahrung oder geringem Einkommen. Dazu gehört, unser Thomashaus noch besser barrierefrei auszustatten. Es fehlt zum Beispiel noch der Schallschutz für Menschen mit Hörbeeinträchtigung. Auch eine Rampe fehlt. Außerdem möchten wir dieses Zentrum gemütlicher einrichten. Mit Sitzbänken und einem Kaffeeautomaten, damit sich hier jederzeit Menschen treffen können. In diesen Räumen wollen wir dann regelmäßig inklusive Freizeitangebote und offene Treffpunkte anbieten.
Sie haben 2024 begonnen, das Wir-Quartier zu entwickeln. Was ist bisher passiert?
Zunächst haben wir eine Bedarfsanalyse gemacht. Insgesamt haben wir für Holzkirchen 205 Fragebögen ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass es in Holzkirchen zu wenig inklusive Freizeitangebote gibt, die auch offen für Menschen mit Behinderung sind. Außerdem gibt es einen großen Bedarf an Fahrdiensten. Das ist ein Riesen-Thema, weil der Hoki für manche Menschen mit Behinderung nicht das geeignete Mittel ist. Menschen mit starken Einschränkungen sind dann oft auf die Hilfe ihrer Angehörigen angewiesen. Die Flüchtlingsunterkunft in Warngau fährt der Hoki gar nicht an, weshalb Menschen mit Fluchterfahrung momentan kaum Zugang zu unseren Angeboten haben. Sie fahren zwar alle Rad, aber jetzt im Winter ist das schwierig, vor allem für Mütter mit Kindern, die unser Lerncafé oder das Internationale Frauencafé besuchen.
Sie haben auch schon Pilotprojekte begonnen.
Genau, wir haben viele Dinge ausprobiert und geschaut, wie die Resonanz ist. Sie waren durch die Bank erfolgreich und warten jetzt auf eine Fortsetzung. Zum Beispiel unser inklusiver Spieletreff. Gerade Brettspiele wie Schach eignen sich, Grenzen zu überwinden. Menschen, die kein Deutsch können, waren dabei, Kinder haben mit Senioren gespielt. Außerdem haben wir einen internationalen und interreligiösen Chor gegründet. Auch einen inklusiven Lauftreff gibt es, den wir mit dem RSLC Holzkirchen und der Regens-Wagner-Stiftung Erlkam gegründet haben.
Regens Wagner Erlkam ist für das Wir-Quartier ein wichtiger Partner...
Wir wollen auch die Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, in ihrer Freizeit rausholen und noch mehr im Ort und im Wir-Quartier integrieren. Ganz besonders an den Wochenenden. Das klappt schon zum Teil unter der Woche. Sie kommen zum Beispiel zu Toms Café.
Sie haben selbst eine Tochter mit Behinderung. Wie ist es um die Inklusion in Holzkirchen bestellt?
Innerhalb der Kirchengemeinde versuchen wir, Inklusion zu leben. Inklusion bedeutet ja, dass man das Miteinander und alle Angebote so gestaltet, dass möglichst viele teilnehmen können ohne extra Hilfen oder Assistenzkräften. Wir haben auch einen inklusiven Kindergarten, den Hollerbusch, der sehr gute inklusive Arbeit leistet. Aber nicht in jedem Kindergarten, das muss man ganz klar sagen, wird fachlich so darauf geachtet. Im Grundschulbereich klappt Inklusion schon nicht mehr so gut. Normalerweise gehen betroffene Kinder auf Förderschulen. Es fehlt an der personellen Ausstattung, um Inklusion in den Grundschulen wirklich zu leben. Im Endeffekt besuchen Menschen mit Behinderung ihr Leben lang besondere Einrichtungen, weshalb sie in unserem Alltag kaum sichtbar sind. Ein gemeinsames, inklusives Miteinander findet nur dann statt, wenn sich Betroffene und Angehörige explizit darum kümmern. Und die meisten Menschen, die sich für Inklusion engagieren, sind immer noch die Angehörigen.
Warum ist es wichtig, dass unsere Gesellschaft inklusiver wird?
Weil von Inklusion alle profitieren, nicht nur Menschen mit Behinderung. Nehmen Sie das Beispiel einfache Sprache. Davon profitieren auch Kinder und Menschen, die nicht perfekt deutsch können oder an Demenz erkrankt sind. Oder ein großes Behinderten-WC. Das ist auch für Eltern mit mehreren kleinen Kindern, Senioren und Seniorinnen attraktiv. Man darf auch nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft immer älter wird. Jeder kann plötzlich selbst betroffen sein. In den letzten Jahren gab es viele Faktoren, die das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft befördert haben. Es gibt auch in Holzkirchen Menschen, die sich keine Café- oder Kinobesuche leisten können und zu vereinsamen drohen. Deshalb ist es wichtig, Orte zu schaffen, an denen jeder willkommen ist. Eine bunte, vielfältige Gesellschaft ist die Basis für Demokratie. In der Vielfalt lernen wir, respektvoll miteinander umzugehen, zuzuhören und andere Sichtweisen zu tolerieren.
Wofür sollen die Spenden aus „Leser helfen Lesern“ konkret verwendet werden?
Wir wollen sie in die Maßnahmen für Barrierefreiheit im Thomashaus investieren. Außerdem sind wir auf Spenden angewiesen, um die Personalkosten der Quartiersmanagerin mitzufinanzieren. Die Personalkosten werden von der Deutschen Fernsehlotterie gefördert, die den Großteil davon übernimmt. Denn wir können nicht alles ehrenamtlich stemmen. Auch für die Veranstaltungen brauchen wir Geld, denn sie sollen für die Besucher kostenlos sein. Wer eine Veranstaltung besucht und Geld hat, darf gern etwas in den Spendenkorb geben. Aber die, die nicht so viel haben, sollen kommen können ohne schlechtes Gewissen.