Gezeichnetes Leben: Ernst Grube überlebte den Holocaust – „Zeit heilt keine Wunden“ erzählt seine Biografie als Comic
Hannah Brinkmann hat das Leben des Shoah-Überlebenden Ernst Grube als Comic erzählt. „Zeit heilt keine Wunden“ wird jetzt im NS-Dokumentationszentrum München vorgestellt.
Kalendersprüche sind für die Tonne. Eine Binse, gewiss. Aber dieses Buch entlarvt sie besonders eindrücklich. Am Ende sehen wir da Ernst Grube am Chiemsee sitzen. „Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden“, resümiert er. „Aber jetzt, im Alter, kommt der Schmerz zurück. Und ich merke, es ist nicht so. Zeit heilt keine Wunden.“ Es gibt Verletzungen, die nie wieder gut werden. Die nicht heilen können – und die vielleicht auch nicht heilen sollen. In Ernst Grubes Leben spiegelt sich die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in enormer Unerbittlichkeit. Die Comic-Künstlerin Hannah Brinkmann, 1990 in Hamburg geboren, hat seine Biografie nun aufgeschrieben, komprimiert und gezeichnet. Grubes Zitat hat sie zum Titel ihres Buches gewählt; am 21. November 2024 stellt das Duo „Zeit heilt keine Wunden“ im NS-Dokumentationszentrum vor.
Ernst Grube wurde 1932 in München geboren
Ernst Grube wurde am 13. Dezember 1932 in München geboren – also rund sechs Wochen, bevor Hitler in Berlin zum Reichskanzler ernannt wurde. Den Nazis galt der Bub als „Mischling ersten Grades“, da seine Mutter jüdisch war. 1945 wurde der Zwölfjährige mit einem der letzten Transporte aus seiner Heimatstadt nach Theresienstadt deportiert, wo ihn schließlich die Rote Armee befreite. Grube kehrte nach München zurück, wurde Malermeister wie sein Vater, der sich einst in der KPD engagiert hatte, und Berufsschullehrer. Ernst Grube war und ist ein zutiefst politischer Mensch – er machte sich etwa gegen die Wiederbewaffnung und für die kommunistische Bewegung stark. Dafür wurde er verurteilt und inhaftiert. Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe steht der Münchner im Jahr 1959 dem Richter Kurt Weber gegenüber, einst Erster Staatsanwalt in Nazi-Deutschland.

Brinkmann legte 2020 den Comic „Gegen mein Gewissen“ vor, in dem sie von ihrem Onkel Hermann erzählt, der trotz eines laufenden Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer einberufen wurde und 1974 den einzigen Ausweg im Suizid sah. Bereits dieses Buch zeichnete sich durch den gewissenhaft recherchierten zeithistorischen Hintergrund aus.
In „Zeit heilt keine Wunden“ stellt die Künstlerin nun Grubes Geschichte neben jene des Juristen Weber, dessen Antikommunismus – den er mit vielen seiner Kollegen teilte – in den Fünfzigerjahren zu unverhältnismäßigen Urteilen führte. Natürlich liegt der Schwerpunkt des Buchs auf der Biografie des Münchners. Ebenso klar ist auch, dass die Autorin die beiden Leben auf Schlüsselmomente verknappen und so weit bearbeiten musste, dass sich eine stimmige Dramaturgie ergibt. Wie der sogenannte Radikalenerlass Grube 1974 beinahe den Job an der Berufsschule kostete, ist zum Beispiel nur angetippt. „Ernst hat sein ganzes Leben lang gekämpft“, sagt Brinkmann. Ihr glückt es sehr lesenswert, diese Kämpfe, dieses schier unglaubliche Schicksal anschaulich aufzubereiten und davon zu erzählen. Künstlerisch hätte sie sich indes sehr viel mehr trauen, stärker überraschen dürfen. Ordentlich setzt die Zeichnerin Panel an Panel; gedeckte, erdige Farben dominieren. Das Lettering überzeugt, etwa die Idee, den in Paragrafen gegossenen Judenhass in Schreibmaschinen-Typografie zu dokumentieren. Dagegen wirkt die Figurengestaltung erstaunlich hölzern – als seien die Charaktere unter der Last der Geschichte zur Unbeweglichkeit verdammt. Dabei zeigt doch gerade Ernst Grubes Leben, dass dem nicht so ist. Und das ist ein Glück.
Informationen zum Buch: Hannah Brinkmann: „Zeit heilt keine Wunden. Das Leben des Ernst Grube“. Avant-Verlag, Berlin, 272 Seiten; 30 Euro.
Lesung: Hannah Brinkmann und Ernst Grube stellen das Buch am 21. November 2024, 19 Uhr, im NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1, vor; der Eintritt ist frei.