Habeck will Kanzler werden – dabei liegt seine Partei am Boden

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Robert Habeck war einst der Polit-Liebling der Deutschen. Jetzt ist nur jeder Fünfte mit seiner Arbeit zufrieden. Doch der Vizekanzler glaubt an ein Comeback.

Berlin – Elf Sekunden, keine Worte, eine Botschaft. Die Ampel ist vor gerade mal 22 Stunden und 41 Minuten zerbrochen, da taucht im Netz ein Video von Robert Habeck auf. Der Vizekanzler sitzt zu später Stunde an einem Schreibtisch und kritzelt auf Unterlagen herum. Leise summt er Herbert Grönemeyers „Zeit, dass sich was dreht“, während die Kamera immer näher an ihn rangeht. Dann schmunzelt der Grüne, hält seine Hand vor die Linse, Abblende.

Nach fünf Jahren Abstinenz hat Habeck sein Profil auf X reaktiviert. Der kurze Clip dürfte anfangs viele Nutzer ratlos zurückgelassen haben, doch er enthält eindeutige Hinweise. Der wichtigste wird nur für den Bruchteil einer Sekunde eingeblendet, beim ersten Hinschauen kaum wahrnehmbar: eine Nahaufnahme von Habecks Perlenarmband. „Kanzler Era“ steht da – eine Anspielung auf die Freundschaftsarmbänder, die Taylor-Swift-Fans gerade auf ihrer Welttournee „The Eras Tour“ tragen.

Jünger und hoffnungsvoller: Annalena Baerbock und Robert Habeck 2018 beim Parteitag der Grünen. Die beiden wurden damals zur Doppelspitze gewählt. Es war der Beginn ihres politischen Aufstiegs. Jetzt will Habeck Kanzler werden. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Robert Habeck will Kanzler werden – obwohl die Grünen am Boden liegen

Robert Habeck will Kanzler werden. Das war lange ein offenes Geheimnis. Jetzt ist es offiziell. „Ich bin bereit, meine Erfahrung, meine Kraft und meine Verantwortung anzubieten“, erklärt er am nächsten Tag. „Wenn Sie wollen, auch als Kanzler.“ Mit einer Partei, die völlig am Boden liegt, kürzlich sogar ihre Parteispitze auswechseln musste wegen der desaströsen Ergebnisse in Ostdeutschland. In Umfragen schaffen die Grünen gerade mal neun bis zwölf Prozent.

Interessant an Habecks Video ist auch die Songauswahl. Erst vor zwei Wochen hatte die Junge Union (JU) bei ihrem Deutschlandtag „Zeit, dass sich was dreht“ abgespielt, als Friedrich Merz auf die Bühne lief. „Begrüßt mit mir den nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“, wurde der CDU-Chef anmoderiert.

Habeck wollte bereits 2021 Kanzler werden

Habecks Botschaft ist eine Kampfansage. Nicht nur an die CDU, auch an den ehemaligen und den derzeitigen Koalitionspartner. Und an Teile seiner eigenen Partei. Der Wirtschaftsminister wollte bereits bei der letzten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat antreten, musste aber zugunsten von Annalena Baerbock zurückstecken. So richtig verkraftet hat er das nie. „Von hier an anders“, schreibt er nun über das Video.

Baerbock hat bereits im Juli den Weg für ihn frei gemacht. In einem Interview mit CNN hatte die Außenministerin in Washington erklärt, nicht noch mal als Kanzlerkandidatin antreten zu wollen. In den Monaten davor hatte sich eigentlich abgezeichnet, dass zwischen den beiden Grünen-Rivalen ein harter Streit um die K-Frage entbrennen würde.

Habeck
Skizze für den Weg ins Kanzleramt? In dem Elf-Sekunden-Clip trägt Habeck ein Armband, auf dem „Kanzler Era“ steht. © X

Auch Habeck selbst steckt mitten im politischen Sinkflug

Inzwischen hat sich längst die Frage erübrigt, wer für die Grünen ins Rennen um den Kanzlerstuhl zieht. Vielmehr geht es darum, ob es überhaupt jemand tun sollte. Der Abstieg der vergangenen Jahre ist brutal. Bei der Europawahl 2019 holte die Partei noch 20,5 Prozent, bei den Wählern unter 24 waren es sogar 34 Prozent. Es waren die goldenen Stunden der Grünen, als Klimaschutz cool und trendig war. Heute gilt ihre Politik als realitätsfern, gar bedrohlich.

Auch Habeck selbst steckt mitten im politischen Sinkflug. Nach der letzten Bundestagswahl war er noch Polit-Liebling der Deutschen. Monatelang hatte er alle Umfragen angeführt. Nahbar, authentisch, jemand, der locker-lässig mit hochgekrempelten Hemdsärmeln komplexe Probleme verständlich herunterbricht. Dem viele sogar verziehen haben, dass er als Grüner in Katar um fossile Energieträger gebeten hat, denn irgendwie musste er ja russisches Gas ersetzen. Und selbstkritisch war er dabei auch noch. Dieser neue Politikstil imponierte.

Habeck liegt sogar hinter Sahra Wagenknecht

Inzwischen ist sein Bild in der Gesellschaft ein völlig anderes. Laut dem Deutschlandtrend der vergangenen Woche sind gerade mal 20 Prozent der Deutschen mit Habecks Arbeit zufrieden – damit liegt er sogar hinter Sahra Wagenknecht (24). Für viele ist der Norddeutsche schuld am wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands. Es begann mit „Habecks Heiz-Hammer“, wie viele Boulevardmedien titelten, mit dem der Wirtschaftsminister Hausbesitzer in der gesamten Republik verunsichert hatte. Von da an galten die Grünen als übergriffige Regierungspartei, die in die eigenen vier Wände der Bürger eingreift – mit Habeck als Anführer.

Konservative sehen in dem 55-Jährigen seither ein grünes Schreckgespenst. Dagegen ist er innerhalb seiner eigenen Partei vielen nicht grün genug: Der Realo will Wähler aus der Mitte gewinnen – und macht sich damit vor allem im linken Flügel seiner Partei keine Freunde. Die Verschärfungen in der Asylpolitik, die er als Vizekanzler mit ausgehandelt hat, haben viele Grüne zutiefst erschüttert.

Merz spottet über Habeck

Trotzdem gilt es als sicher, dass sie sich geschlossen hinter einen Kanzlerkandidaten Habeck stellen. Offiziell werden die Delegierten auf dem Parteitag Ende kommender Woche in Wiesbaden darüber abstimmen. Ernsthafte Konkurrenten gibt es nicht.

Wann auch immer es zu Neuwahlen kommt, die Chancen für Habeck stehen derzeit schlecht. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz spottete über Habecks Video: Seine Selbsterklärung zum Kanzlerkandidaten habe bei diesen Umfragewerten „ja durchaus einen humorvollen Teil“. Habeck wiederum hatte bereits Ende August bei einem Wahlkampftermin in Sachsen gesagt, er warte auf einen „Kristallisationspunkt“ – an dem sich die Grünen beweisen, „dass wir viel, viel besser in Deutschland sind, als die Stimmungslage und die Umfragen es im Moment zeigen“. Der Vizekanzler ist optimistisch, dass sich noch was dreht. (Kathrin Braun)

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