„Vertikale Eskalation“ – und „sehr gefährliche Übergangsphase“: Masala und Mangott warnen

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Zwei prominente Experten bringen ernüchternde Einschätzungen zum Ukraine-Krieg: Carlo Masala hält Krieg gar für ein zu akzeptierendes Faktum.

Leipzig – Mehr als zwei Jahre Ukraine-Krieg: Das ist mehr als genug Zeit, um den Konflikt in ein Buch zu verarbeiten. Zwei der prominentesten Experten haben das getan – und am Wochenende bei der Leipziger Buchmesse ihre Erkenntnisse vorgestellt. Carlo Masala und Gerhard Mangott haben den Zuhörern dabei eher wenig Anlass zu Optimismus gegeben.

Zwei ihrer Hauptthesen: Verhandlungen sind im Ukraine-Krieg bis auf Weiteres nicht denkbar, allen Rufen nach mehr Diplomatie-Bemühungen zum Trotz. Und glaubt man Masala, dann muss sich die Welt an eine „Übergangsphase“ gewöhnen – eine „sehr gefährliche“ Übergangsphase. Mangott machte im Detail sehr unterschiedliche Haltungen im Westen zur Unterstützung der Ukraine aus. Und attestierte ebenfalls Gefahren, bis hin zu einer „horizontalen“ oder „vertikalen“ Ausweitung des Konflikts.

„Putin sagt, was er vorhat“: Masala erklärt „Geschichtsrevisionismus“ – und diagnostiziert „Chaos“ in der Welt

„Wir sollten nicht immer so erschrocken sein, wenn Krieg ausbricht“, sagte Masala am Sonntag (24. März) auf der Buchmessen-Bühne der Sender ARD, ZDF und 3Sat. „Man sollte sich einfach an das Faktum gewöhnen, dass es manchmal Situationen gibt, in denen Akteure Krieg führen wollen und man sie nicht davon abhalten kann, Krieg zu führen.“ Wladimir Putins Russland etwa wolle erst an den Verhandlungstisch, wenn es bekomme, was es fordere.

Politikwissenschaftler Carlo Masala am Sonntag bei der Leipziger Buchmesse.
Politikwissenschaftler Carlo Masala am Sonntag auf der Leipziger Buchmesse. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Überraschend sei der Angriff aus Putins Russland nicht gekommen, erklärte der Wissenschaftler der Bundeswehr-Uni München. „Bei Putin haben wir es mit jemandem zu tun, der uns sagt, was er vorhat. Er macht es nicht direkt danach, aber er sagt uns, was er vorhat“, sagte Masala. Und Putin lege immer wieder „Geschichtsrevisionismus“ an den Tag: „‚Russlands Grenzen enden nirgendwo‘“, heiße es: „Es geht um die Erweiterung des russischen Einfluss- und Machtbereichs“. Ein Spiel mit dem Feuer sei auch in Transnistrien denkbar, auch für das Baltikum seien schon alarmierende Signale zu hören gewesen.

Da ist die Ukraine ein ‚illegaler Staat‘, die Souveränität der baltischen Staaten wird angezweifelt und überall dort, wo Russen leben, hat Russland hat eine Schutzfunktion. Das sehen wir in Transnistrien. Putin spielt mit dem Feuer, diese russischen Bürger im Ausland gegebenenfalls zu schützen.

Zugleich gebe es ein gewisses Chaos auf der Weltbühne: Noch in den 1970er-Jahren etwa sei es eher undenkbar gewesen, dass ein Konflikt im Nahen und Mittleren Osten auf die nun denkbare Weise hätte eskalieren können. Die USA und die Sowjetunion hätten ihre regionalen Vertreter „zurückgepfiffen“, mutmaßte Masala.

Nun bilde sich ein neuer – wenn auch lockererer – Block heraus, der die Weltordnung herausfordere: Eine „Achse“ aus Russland, China, Nordkorea, Iran; auf politischer Ebene unterstützt von Brasilien und Südafrika. „So lange diese neue Ordnung noch nicht völlig ausgeprägt ist, werden wir uns an dieses Chaos gewöhnen müssen und werden wir in dieser Übergangszeit leben, die natürlich enorm gefährlich ist“, sagte der Experte.

Eskalation im Ukraine-Krieg? Experte Mangott warnt – und verweist auf Sonderfall Krim

Mangott sah tags zuvor auf der österreichischen Buchmessebühne ebenfalls keine Aussicht auf Verhandlungen. „Beide Seiten sagen zwar, sie seien bereit zu verhandeln“, sagte der Politikwissenschaftler – fügte aber hinzu: zu Bedingungen, die für die jeweils andere Seite „nicht akzeptabel“ seien. Er schränkte immerhin ein: „Aber es könnte eben ein Zustand eintreten, wo beide Kriegsparteien militärisch näher an dem Schritt sind, dass sie eine solche Waffenruhe einer Fortsetzung des Kampfes vorziehen, mit allen Nachteilen, die sie hat.“

Als gewichtiger schien der Innsbrucker Russland-Experte aber die Risiken der aktuellen Lage einzuschätzen. Formal sei zwar richtig, dass die Ukraine selbst ihre Ziele im Verteidigungskrieg setze. Klar sei aber auch: Über das Ausmaß der Waffenlieferungen bestimmten die Unterstützerstaaten die Lage Kiews sehr direkt mit. Dabei komme es auch auf Nuancen an. So forderten einige Staaten einen Sieg der Ukraine – andere Regierungschefs, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), betonten hingegen, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, die Ukraine nicht verlieren.

Die Bücher zu den Vorträgen:

Carlo Masala: „Warum die Welt keinen Frieden findet“ – Brandstätter, 20,00 Euro

Gerhard Mangott: „Russland, Ukraine und die Zukunft“ – Brandstätter, 20,00 Euro

Alexej Bobrownikow: „Blutige Allianzen“ – Dietz, 26,00 Euro

Es gebe Regionen im Westen, „die sagen, ein maximalistisches Kriegsziel birgt das Risiko einer Eskalation in sich, nämlich einer horizontalen Eskalation, dass zusätzliche Länder in den Krieg hineingezogen werden – oder schlimmer noch eine vertikale Eskalation“. Letztere könnte etwa den Einsatz von Atomwaffen meinen. Einen Schritt von russischer Seite schloss Mangott schon vor einiger Zeit im Gespräch mit IPPEN.MEDIA nicht aus.

Eine besondere Rolle als „rote Linie“ für den Kreml schrieb er bereits damals der Krim zu. Auch am Samstag attestierte Mangott der Krim eine besondere Brisanz. Sollte die Halbinsel an die Ukraine fallen – was derzeit aber ein noch weit entferntes Szenario sei – sei eine von internationalen Institutionen durchgeführte Volksabstimmung angebracht, mahnte der Politikwissenschaftler. Dabei seien „natürlich“ auch die Krimtataren oder geflüchtete Menschen mit Stimmrecht zu bedenken. Realistisch wirke das gleichwohl nicht, räumte er ein: Weder Russland noch die Ukraine würden wohl ihre Oberhand über die Region mit einer Abstimmung aufs Spiel setzen.

Ukraine steht im Krieg gegen Russland vor Problem – Journalist appelliert an den Westen

Die Ukraine stehe unterdessen vor einem nicht auf Waffen bezogenen Problem: Das Land benötige viele weitere Soldaten, die überhaupt erstmal die Waffensysteme an der Front bedienen könnten. „Darüber wird in den Parlamenten seit vielen Wochen, Monaten und Jahren schon sehr emotional diskutiert“, erklärte Mangott. „Ich habe nicht die Antwort, wie es sich auswirkt, so viele junge Männer und Frauen in den Krieg zu schicken“, räumte der Experte ein.

Ebenfalls auf der Buchmesse appellierte unterdessen der ukrainische Investigativ-Journalist Alexej Bobrownikow an den Westen. In Notsituationen Kosten aufzurechnen sei zwar zynisch, sagte er. Dennoch rate er dem Westen, genau das zu tun: Sollte Putin gewinnen, würden „dutzende Millionen” Menschen die Ukraine verlassen, warnte er. Angesichts dessen sei jede Lieferung von militärischem Gerät gut angelegtes Geld. Die Ukraine, versicherte er, werde „standhaft“ bleiben. Bobrownikow hatte selbst in Irpin in der ukrainischen Armee gekämpft.

Bobronikow schreibt in seinem Buch „Blutige Allianzen“ über Schmuggel und blutige Machenschaften in den „Grauzonen“, etwa den besetzten Gebieten – Russland beschere dem Westen dort auch massive wirtschaftliche Einbußen, erklärte er. (fn)

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