Bürgergeld: Steigen die Löhne stärker als die Sozialleistungen?

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Nachdem das Bürgergeld zum Jahresbeginn um ganze 12 Prozent erhöht wurde, häufen sich die Aussagen, wonach sich das Arbeiten nicht mehr lohne. Stimmt das tatsächlich oder werden dabei wichtige Fakten außer Acht gelassen?

Berlin – Sowohl 2023 als auch 2024 gab es für die Bezieher von Bürgergeld spürbare Erhöhungen. Zunächst kletterte die staatliche Transferleistung im Januar 2023 um 53 Euro auf monatlich 502 Euro, dann am Anfang diesen Jahres nochmal um zusätzliche 61 Euro auf nunmehr 563 Euro pro Monat. Ob das angesichts allgemein zunehmender Lebenshaltungskosten gerecht oder überzogen ist, ist derzeit Gegenstand von Diskussionen. Doch welche Seite hat nun recht?

Verhältnismäßiger Anstieg oder überproportionale Erhöhung?

Beim Thema Bürgergeld gehen die Meinungen auseinander – die eine Seite verteidigt die Anpassung um 12 Prozent, die andere wiederum findet sie deutlich zu hoch angesetzt. Eine neue Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ), die zuerst von der WirtschaftsWoche aufgegriffen wurde, liefert nun interessante Zahlen. Demnach sei die Erhöhung der Regelbedarfe auch in dieser Höhe angemessen gewesen. Das habe verschiedene Gründe, so die Forscher.

Mutter mit Kindern und Bürgergeld (Symbolbild).
Die Höhe des Bürgergeldes stand zuletzt vermehrt in der Kritik. © IMAGO/Ute Grabowsky/photothek.de

Im Zeitraum zwischen 2005 und 2023 hätten die Nettolöhne hierzulande um durchschnittlich 59 Prozent, die Regelbedarfe aber lediglich um 46 Prozent sowie die Verbraucherpreise um 43 Prozent zugelegt, berichtete die WirtschaftsWoche unter Berufung auf die Studienautoren. Das zeige, dass sich insbesondere die Löhne schneller als die Sozialleistungen entwickelt haben. Schon seit 2014 könne man außerdem eine Verschärfung dieses Trends beobachten. Nur in den von Corona geprägten Jahren 2020 und 2021 stiegen die Regelbedarfe demnach kräftiger als die Verbraucherpreise.

Der Bericht weist allerdings darauf hin, dass die Regelbedarfe schon 2022 infolge des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Inflation wieder hinter der allgemeinen Preissteigerung zurückblieben. Auch der Anpassungsrhythmus sowie die bis 2022 geltende Anpassungsformel trügen zu diesem Effekt bei, ergänzt die WirtschaftsWoche. Das alles führe nach Ansicht der Forscher dazu, dass eine Angleichung an die Nettogehälter des Jahres 2023 erst mit der deutlichen Erhöhung des Regelbedarfs 2024 stattgefunden hätte. Aber weshalb wird das Bürgergeld von vielen Seiten trotzdem derart scharf attackiert?

Ist das Lohnabstandsgebot zu niedrig?

Bei Debatten über die Höhe des Bürgergeldes wird gerne angeführt, dass reguläres Arbeiten vielen Menschen – wenn überhaupt –nur wenige Euro mehr im Monat beschere. Tatsächlich verweisen auch die Forscher des IAQ auf einen großen Niedriglohnsektor, der in Deutschland nach wie vor bestehe. Gerade in Gegenden mit hohen Mieten könne ein niedriges Einkommen für Arbeitnehmer zum Problem werden. Denn während sie Heiz- und Wohnkosten selbstständig bestreiten müssen, werde das für Bürgergeldempfänger innerhalb eines angemessenen Rahmens vom Jobcenter übernommen, so die WirtschaftsWoche.

Dass der Unterschiedsbetrag zwischen dem Arbeitseinkommen und den staatlichen Leistungen vielfach zu gering sei, bejahen rund 70 Prozent der Teilnehmer einer Befragung, die kürzlich vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt wurde. Rund drei Viertel stimmten zudem der Aussage zu, „dass das Bürgergeld in seiner derzeitigen Höhe viele Empfänger davon abhalte, sich eine reguläre Arbeit zu suchen“. Für Unmut dürfte derweil auch die Tatsache sorgen, dass eine Lohnerhöhung von zwölf Prozent auf einen Schlag für viele Arbeitnehmer schlichtweg unrealistisch ist.

Arbeiten gehen lohnt sich, aber

Der Regelbedarf eines Alleinstehenden belief sich 2023 nach einer Berechnung der IAQ-Experten auf 502 Euro. Hinzu kamen Kosten in Höhe von 427 Euro für die Unterkunft, in Summe also 929 Euro. Ein Arbeitnehmer verfügte im gleichen Zeitraum hierzulande hingegen im Durchschnitt über ein Nettogehalt von 2417 Euro. Bis auf wenige Ausnahmen sei man deshalb mit regulärer Arbeit finanziell deutlich besser gestellt als mit Bürgergeld, schließen die Wissenschaftler.

Einige Wechselwirkungen müssen dennoch Berücksichtigung finden. Viele Transferleistungen, so zum Beispiel Kinderzuschläge, Unterhaltsvorschüsse oder das Wohngeld, sind unmittelbar mit dem Einkommen verknüpft. Steigt letzteres, wirkt sich das negativ auf die staatlichen Zahlungen aus. Dies hat häufig zur Folge, dass durch eine Arbeitsaufnahme oder durch Mehrarbeit weniger Geld als zuvor zur Verfügung steht. Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche fordert der Wirtschaftsweise und Professor für öffentliche Finanzen und Sozialpolitik, Martin Werding, daher vor allem beim Zusammenspiel von Bürgergeld und Wohngeld eine bessere Abstimmung. Um das Arbeiten allgemein wieder attraktiver zu machen, müsse auch über Steuerreformen nachgedacht werden, findet der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. So sollten etwa Teilzeit- und Vollzeitstellen gleich besteuert werden.

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