Ex-Verteidigungsminister im Pioneer-Interview - Die Ukraine Putin „zum Fraß vorwerfen“? KT zu Guttenberg sagt, was dann passiert

Die vor Millionenpublikum ausgetragene Kontroverse zwischen Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj dominiert zum Wochenbeginn die internationale Agenda. Fragen von großer Tragweite sind aufgeworfen: Wie reagiert Putin auf dieses Zerwürfnis? Gibt es den Westen noch als normative Wertegemeinschaft? Kehrt in Deutschland jetzt die Wehrpflicht zurück?

Antworten darauf, versuche ich im Gespräch mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zu finden. Das ganze Interview hören Sie im Pioneer-Podcast. Hier die Kurzfassung: 

Pioneer: Trump und Vance gegen Selenskyj. Was haben wir da im Oval Office erlebt? 

Guttenberg: Wir hatten heute Nacht die Oscarverleihung in L.A. und da fehlte nur noch der Preis für die perfideste Rolle in einem Reality-TV Format. Dieser Preis hätte verliehen werden müssen an Donald Trump und seinen Vizepräsidenten. Und in einer Nebenrolle an Wolodymyr Selenskyj. Wir haben erlebt, wie vor großem Publikum ein weiterer Sargnagel in die internationalen Institutionen, in die westliche Werteordnung, die ja ohnehin schon stark angeschlagen ist, hinein gerammt wurde.

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Guttenberg: "Gibt Stimmen, die sagen, die Eskalation sei von Selenskyj herbeigeführt worden"

Pioneer: Sie glauben, wir wohnten einer geplanten Inszenierung bei?

Guttenberg: Es gibt Stimmen, die sagen, die Eskalation sei von Selenskyj herbeigeführt worden. Ich stimme dem nicht zu. Ich glaube vielmehr, dass die Eskalation in seiner Entwicklung als Szenario geplant war durch die Vereinigten Staaten – also durch den Präsidenten und seinen Vizepräsidenten und das Team dahinter. Wieso sollte Trump sonst am Ende sagen, was für eine wunderbare TV-Show man da geliefert habe? Und wenn das jemand meisterhaft versteht, ist das der derzeitige Präsident. Und er hat mit J.D. Vance einen entsprechenden Lakaien an seiner Seite. 

Pioneer: Und wie lautet die Lehre aus alledem für uns Europäer?

Guttenberg: Das sollte uns als der finale Wake-up Call dienen.

Pioneer: Der wievielte eigentlich? 

Guttenberg: In den letzten 20 Jahren gab es zahlreiche dieser Weckrufe. Trump ist letztlich nur das Symptom unserer Versäumnisse.

 Karl-Theodor zu Guttenberg
Karl-Theodor zu Guttenberg Sebastian Gollnow/dpa

Pioneer: Die Amerikaner von heute sind anders als die Amerikaner der 60er-, 70er- und 80er-Jahre, als man in Washington immer Krieg führen wollte, um Öl, um Land und die Ausbreitung des Kommunismus zu stoppen. Heute will man raus aus den Konflikten, raus aus Afghanistan und raus aus der Ukraine. Amerika zieht sich zurück. Warum verstehen wir nicht, was das für uns bedeutet? 

Guttenberg: Wir haben es uns wohlig gemacht mit unserem breiten Hintern auf der Couch der Nichteinmischung. Über Jahrzehnte haben wir uns darauf verlassen, dass wenn es irgendwo grauslich wird, die Amerikaner für uns die Kohlen aus dem Feuer holen. Diese Zeiten sind lange vorbei, aber das ist nicht in unseren Köpfen angekommen. Jetzt reicht es nicht, sich romantisch auf die alte Sichtweise zurückzuziehen.

"Wir haben keine andere Wahl" 

Pioneer: Die Europäer, die in London zusammengekommen sind, müssten den Ukrainern nur signalisieren: Die Amerikaner fallen aus, wir springen ein.

Guttenberg: Wir werden selbstverständlich über Beträge reden müssen, die einen erst mal staunen lassen und die maßgeblich innenpolitische Konflikte nach sich ziehen. Nur: Wir haben keine andere Wahl. 

Pioneer: Warum nicht?

Guttenberg: Das Bedrohungsszenario wird nicht verschwinden, auch dann nicht, wenn wir uns unterwürfig entscheiden würden, zu sagen: Wir haben keine Chance und wir werfen den Reißzähnen des Wolfes Putin jetzt die Ukraine zum Fraß vor. Er wird es bei dem Gabelfrühstück nicht belassen. 

Pioneer: Und Deutschland …

Guttenberg: … wird dabei eine Führungsrolle übernehmen müssen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt hier in die Schuhe kommen, was die Koalitionsbildung anbelangt. Die Welt wartet nicht auf uns.

"Müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit erhöhen"

Pioneer: Wenn einer Führungsrolle sagt, wird’s teuer. Was sind die Summen, an die Sie denken, wenn es um die europäische Aufrüstung geht?

Guttenberg: Es wird in der Ukraine militärische Systeme geben, die die USA möglicherweise so nicht mehr zur Verfügung stellen und wo Europa wird einspringen müssen. Gleichzeitig müssen wir unsere eigene Verteidigungsfähigkeit erhöhen. Wir reden hier über Hunderte von Milliarden.

Pioneer: Denken Sie dabei an eine europäische Kriegsanleihe?

Guttenberg: Der Begriff ist möglicherweise etwas, womit man nicht viel gewinnen wird. Aber man wird einen Euphemismus finden, der etwas Ähnliches darstellt.

Pioneer: Was hören Sie von Ihren republikanischen Freunden?

Guttenberg: Viele fürchten, dass die Nato als ein Konstrukt durch dieses Verhalten von Trump und Vance sehr bald Geschichte sein könnte. Und sie erkennen, dass ein Risiko besteht, mit einem solchen Vorgehen die Europäer näher in die Arme Chinas zu treiben. 

Pioneer: Der Westen, wie wir ihn kannten, ist nach diesem Wochenende beendet? 

Guttenberg: Den gibt es nicht mehr. Alles andere wären nur nostalgische Gedanken. 

Pioneer: Apropos Nostalgie: Sie waren der Verteidigungsminister, der die Wehrpflicht nicht abgeschafft, aber ausgesetzt hat. Wenn wir jetzt über die Ukraine reden und über einen Sicherheitsmechanismus zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstandes. Sehen Sie dort auch deutsche Soldaten und Soldatinnen? 

Guttenberg: Bei einer Absicherung eines Friedensprozesses wird Europa gefordert sein. Ich glaube nicht, dass sich Deutschland aus der Verantwortung ziehen kann, wenn Europa gefragt ist. 

"Habe wenig darüber gelesen, wie ein deutscher Impuls in London aussehen könnte"

Pioneer: Was wäre Ihre Empfehlung an Friedrich Merz und diejenigen, die jetzt dieses Kabinett bilden? 

Guttenberg: Ich habe in den letzten Stunden wenig darüber gelesen, wie ein deutscher Impuls in London aussehen könnte. Aber diesen muss es geben und es muss ihn bald geben. Ich spüre diese Bereitschaft in der Union. Ich spüre sie auch in Teilen der SPD. Die größte Wirtschaftsnation Europas muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen …

Pioneer: … und auch bereit sein, die Wehrpflicht wieder einzusetzen?

Guttenberg: Das ist auf jeden Fall eine Option und das war auch der Grund, weshalb ich sie damals nicht abgeschafft habe. Nur dafür braucht man auch Geld, zusätzliches Geld. 

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Pioneer: Aber ist der Zeitpunkt gekommen: Ja oder nein? 

Guttenberg: Der Zeitpunkt, die Wehrpflicht offensiv zu diskutieren, ist sicher gekommen.

Pioneer: Und der Krieg in der Ukraine soll dann was: beendet oder doch noch gewonnen werden

Guttenberg: Einen Krieg zu gewinnen gegen eine Atommacht, ist milde formuliert nicht leicht. Aber wir dürfen nicht in eine Situation kommen, wo etwas ein ,frozen conflict‘ genannt wird, der im Zweifel nichts anderes ist als ein lauwarmer Konflikt, der jederzeit wieder aufkeimen kann.

Pioneer: Das bedeutet konkret was? 

Guttenberg: Es muss gesichert sein, dass Russland keine Möglichkeit hat, sich so zu positionieren, dass sie jederzeit beschließen könnten: Jetzt folgt die nächste Welle. Eine Welle, die über Moldawien, über Georgien, möglicherweise sogar über Nato-Mitgliedsstaaten rollt. Das Ziel muss sein, die Ukraine so abzusichern, dass Russland keinen Anreiz verspürt, zum erneuten Aggressor zu werden.