US-Wahl: „Harris und Trump konzentrieren sich nur noch auf zwei Gruppen von Amerikanern“
In den USA zeichnet sich eine Trennlinie bei den Präsidentschaftswahlen ab. Männer neigen eher zu Trump, während Frauen Kamala Harris bevorzugen.
Kaum jemand kann die USA, ihre Politik und die kommenden Präsidentschaftswahlen besser analysieren als er: der amerikanische Politikwissenschaftler James W. Davis. Er ist ausgewiesener Experte für US-Politik und Internationale Beziehungen, lehrt seit Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum. Für IPPEN.MEDIA schreibt er regelmäßig über die Lage der USA und die kommende Präsidentschaftswahl.
„Harris und Trump konzentrieren sich nur noch auf zwei Gruppen von Amerikanern“
Um die Präsidentschaft in einem so vielfältigen Land wie den Vereinigten Staaten zu gewinnen, müssen die jeweiligen politische Botschaften auf viele verschiedene Zielgruppen zuschnitten werden. Afroamerikaner, Hispanoamerikaner, Asiaten, Araber, Katholiken, evangelikale Protestanten, Muslime, LGBTQ-Amerikaner, Amerikaner aus der Arbeiterklasse – die Liste lässt sich fortsetzen. Die Parteien geben Millionen für hochpreisige Berater aus, die die Wählerschaft in immer spezifischere Untergruppen zerlegen und Themen ermitteln, welche für die jeweiligen Gruppen am wichtigsten sind. Ziel ist es, eine Koalition zu schmieden, die in genügend Staaten eine Mehrheit erreicht, um die magische Zahl von 270 Stimmen im Wahlmännerkollegium zu erreichen. Doch zu Beginn der letzten zwei Wochen eines Wahlkampfes, der zu den einzigartigsten der amerikanischen Geschichte zählt, sieht es so aus, als würden sich die Kandidaten nur noch auf zwei Gruppen von Amerikanern konzentrieren: Männer und Frauen.
In mancher Hinsicht sind die Meinungen von Männern und Frauen heuer kaum voneinander zu unterscheiden. So stuft beispielsweise landesweit eine Mehrheit sowohl der Männer als auch der Frauen die Wirtschaft als das wichtigste oder eines der wichtigsten Themen ein; ein Thema, das ihre Wahlentscheidung mit beeinflussen wird. Wenn man die Zahlen jedoch nach Geschlecht aufschlüsselt, beginnen die Prioritäten von Männern und Frauen zu divergieren. Seit der Oberste Gerichtshof der USA entschieden hat, dass die einzelnen Bundesstaaten die Abtreibung verbieten können, ist das Recht der Frau auf Schwangerschaftsabbruch eines der wichtigsten Wahlthemen für weibliche Wähler, insbesondere für jüngere Frauen, geworden. In einer von der New York Times und dem Siena College im August durchgeführten Umfrage in den „Swing States“ nannten Männer die Wirtschaft und die Inflation als die wichtigsten Themen für ihre Wahlentscheidung. Bei den Frauen waren Abtreibung und Wirtschaft gleichauf die wichtigsten Themen. Für Frauen unter 45 Jahren war jedoch die Abtreibung das wichtigste Wahlthema.
„49 % der Frauen sind der Meinung, dass Trump bessere Arbeit in der Wirtschaft leisten würde“
Selbst wenn Männer und Frauen über die Bedeutung eines Themas sich einig sind, weichen ihre Meinung voneinander ab, welcher Kandidat dieser Vertritt. Während rund 60 % der Amerikaner insgesamt der Meinung sind, dass Trump die Wirtschaft besser managen würde als Kamala Harris, ist die Meinung der weiblichen Wähler ausgeglichener. 49 % der Frauen sind der Meinung, dass Trump bessere Arbeit in der Wirtschaft leisten würde, doch meinen 47 %, dass Harris bessere Arbeit leisten würde.
In der Abtreibungsfrage tendieren die weiblichen Wählerinnen eindeutig zu Harris‘ Gunsten. Auf die Frage, wessen Politik in der Abtreibungsfrage sie mehr befürworten, antworten 54 % der Amerikaner mit Harris. Fragt man jedoch nur die weiblichen Wählerinnen, steigt die Unterstützung für Harris auf 60 %.
► James W. Davis, US-Amerikaner, ist einer der renommiertesten Experten für US-Politik und internationale Beziehungen.
► Er studierte Internationale Beziehungen an der Michigan State University, promovierte 1995 in Politikwissenschaft an der Columbia University und habilitierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis 2005 lehrte.
► Seit 2005 ist er Professor für Internationale Beziehungen und Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen.
►Davis ist Autor mehrerer Bücher und hat zahlreiche wissenschaftliche Ehrungen erhalten, darunter Gastprofessuren und Fellowships an renommierten Institutionen.
Meine news
Die Kluft zwischen den Geschlechtern (im englischen „Gender-Gap“) – definiert als die Differenz zwischen dem Stimmenanteil der Frauen und dem Stimmenanteil der Männer, die jeweils die Demokraten und Republikanern unterstützen – ist in der amerikanischen Politik nichts Neues. Mindestens seit den 1980er Jahren haben die Demokraten bei den weiblichen Wählern in der Regel besser abgeschnitten als die Republikaner, während die Männer Amerikas eher für republikanische Kandidaten gestimmt haben. Das ist auch in diesem Jahr nicht anders. Eine im September von der Quinnipiac University durchgeführte landesweite Umfrage ergab einen satten Unterschied von 26 Prozentpunkten zwischen den Geschlechtern. Frauen favorisieren Harris mit 53 % zu 41 %, ein Vorsprung von 12 Prozentpunkten. In der gleichen Umfrage sprachen sich die Männer mit 54 % zu 40 % für Trump aus, ein Vorsprung von 14 Prozentpunkten für den ehemaligen Präsidenten.
US-Wahl: „Geschlechterunterschied kann sich als entscheidend erweisen“
Angesichts des zu erwartenden extrem knappen Wahlergebnisses, das in diesem Jahr erwartet wird, könnte sich der Geschlechterunterschied als entscheidend erweisen. Zum einen gibt es in der Bevölkerung mehr erwachsene Frauen als Männer. Noch wichtiger ist, dass Frauen eher zur Wahl gehen als Männer. So bestand im Jahr 2020 fast 55 % der Wählerschaft aus Frauen, während der Anteil der Männer nur 44 % betrug. Ein Großteil dieses Unterschieds wird auf ältere Frauen zurückgeführt. Ältere Amerikaner sind beständigere Wähler als junge Menschen, und ältere Frauen sind älteren Männern zahlenmäßig weit überlegen. Doch in diesem Wahlzyklus hat die Abtreibungsfrage die Wählerregistrierung unter jüngeren Frauen, insbesondere aus Minderheitsgruppen, in die Höhe getrieben. Im Vergleich zu 2020 hat sich die Zahl der registrierten Wählerinnen in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen unter schwarzen Frauen fast verdreifacht und unter hispanischen Frauen um 150 % erhöht. Wenn die neu registrierten jungen Frauen am 5. November tatsächlich zur Wahl gehen, könnten sie Harris den nötigen Vorsprung verschaffen.
Es ist daher nicht überraschend, dass Harris zu der Strategie zurückgekehrt ist, Frauen daran zu erinnern, dass es die von Donald Trump ernannten Supreme Court Richter waren, die dafür gestimmt haben, das Bundesrecht auf Abtreibung aufzuheben. Aus geschlechterpolitischer Sicht muss es Donald Trumps Ziel sein, die Zahl der Wählerinnen zu senken und gleichzeitig die Zahl der Männer zu erhöhen, die tatsächlich zur Wahl gehen. In der Tat hat der ehemalige Präsident die letzten Tage damit verbracht, Kundgebungen abzuhalten, um männliche Wähler zu mobilisieren. Dabei hat er sich jedoch in neue Tiefen der Vulgarität begeben, eine Taktik, die wahrscheinlich noch mehr Frauen dazu bringen wird, für Harris zu stimmen. Sie werden dies nicht tun, weil die Vizepräsidentin eine Frau ist. Sie werden es tun, weil Kamala Harris einfach ein besseres Vorbild für ihre Töchter darstellt; und was ebenso wichtig ist – ein Vorbild für ihre Söhne.