Der Euphrat ist der längste Fluss Vorderasiens. Ein Strom, der durch die Türkei, Syrien und den Irak in den Persischen Golf fließt. Den gleichen Namen trägt ein Auswerteprojekt des NRW-Landeskriminalamts (LKA) und der Sicherheitskonferenz Ruhr zur Kriminalität syrischer Staatsbürger und jener Migranten, die inzwischen eingebürgert wurden.
Die Erkenntnisse zu dem Anstieg "der absoluten Fallzahlen bei syrischen Tatverdächtigen sind besorgniserregend", befinden die Autoren des achtseitigen Lagebildes, das NRW-Innenminister Herbert Reul am Mittwoch vorstellte.
Verfünffacht innerhalb von zehn Jahren
Demnach hat sich die Zahl der Beschuldigten aus dem einstigen Bürgerkriegsgebiet zwischen Euphrat und Tigris in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht. "Bei der Betrachtung der von syrischen Tatverdächtigen verübten Delikte" richtet sich das Augenmerk der LKA-Experten vor allem auf Raubüberfälle, Körperverletzungen und Nötigungen.
Bei allen ausländischen Beschuldigten machen diese Fälle im vergangenen Jahr etwa ein Viertel des Gesamtaufkommens aus. "Bei syrischen Tatverdächtigen hingegen zirka 38 Prozent." Der LKA-Analyse zufolge greifen Syrer im Vergleich zu anderen nichtdeutschen Ethnien „am häufigsten zum Messer als Tatmittel“.
Zugleich sind die Opfer ebenfalls aus dem Bürgerkriegsland nach Deutschland gekommen. „Mitgeführte Waffen, zum Beispiel Teppichmesser, verleihen vermeintlichen Schutz und gelten als Attribut für Männlichkeit“, heißt es in dem Report. Gewalt diene als eine angeblich angemessene Option zur Konfliktlösung.
In dem Bericht betonen die LKA-Analytiker allerdings auch, "dass ein Großteil von Personen mit syrischer Migrationsgeschichte" keine Straftaten begangen haben. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass die Zahl zugewanderter Syrer seit 2015 stark zugenommen hat, was natürlich Auswirkungen auf absolute Zahl der Straftaten hat.
Reul warnt vor wachsender Gewaltbereitschaft
Vor dem Hintergrund warnte NRW-Innenminister Herbert Reul, der die Untersuchung vor zwei Jahren nach Krawallen zwischen syrischen Großfamilien und kurdisch-libanesischen Clans im Ruhrgebiet angestoßen hatte, vor den Folgen: "Wir müssen kriminelle Strukturen erkennen, bevor sie Wurzeln schlagen."
Und weiter: "Noch sind Syrer bei Clankriminalität und Organisierter Kriminalität nur Nebendarsteller, aber bei Gewaltkriminalität spielen sie eine Hauptrolle. Und das ist ein wachsendes Problem."
Viele syrische Menschen lebten friedlich in Deutschland, betonte der CDU-Politiker, "doch einige wenige fallen immer wieder durch rohe Gewalt auf. Manche haben mehr Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch in der Akte als Jahre auf dem Buckel. Wichtig ist, dass wir heute ganz genau hinschauen und uns heute kümmern. Was heute keine Clankriminalität ist, darf auch morgen keine werden".
Hoher Anteil jugendlicher Tatverdächtiger
Bei insgesamt 55.613 Gewaltdelikten im Jahr 2024 sind laut Kriminalstatistik knapp 42 Prozent der Tatverdächtigen Ausländer. Zu dieser Rubrik zählen Mord, Totschlag bis hin zu schweren Sexualverbrechen. Der nichtdeutsche Bevölkerungsanteil zwischen Rhein und Weser liegt nur bei 16,1 Prozent.
Alarmiert schreiben die LKA-Berichterstatter, dass insbesondere unter syrischen oder syrischstämmigen Kindern und Jugendlichen ein exzessiver Hang zur Gewalt festzustellen sei. Während ausländische minderjährige Beschuldigte einen Anteil von 18,5 Prozent ausmachten, liegt bei "den syrischen Tatverdächtigen der Wert fast doppelt so hoch".
Noch keine festen Clanstrukturen – aber warnende Tendenzen
Ähnlich feste Strukturen wie bei kriminellen kurdisch-libanesischen Clans seien noch nicht gegeben, so der Report. Eher handele es sich um lose Gruppen. Das LKA beschreibt die syrischen Communitys als heterogener.
„So weisen sie unterschiedlichste Herkunftsorte auf, sind in weniger geschlossenen, großfamiliären Gruppen“ eingewandert und über Deutschland verteilt. „Aufgrund der Erkenntnisse zur Clankriminalität dürften sich vor dem Hintergrund sozialdynamischer Prozesse bis dato lose Strukturen erst perspektivisch zu festen, clankriminellen“ Hierarchien entwickeln.
Syrische Banden in der Schleuserkriminalität aktiv
Bei der Schleuserkriminalität nehmen syrische Tatverdächtige laut dem LKA bereits eine "exponierte Stellung ein". Khaled A., alias Abu Ali, soll zahlreiche Landsleute nach Deutschland geschleppt haben. Der Gangster operierte auf etlichen illegalen Geschäftsfeldern.
In Wuppertal nannte er sich selbst "Bürgermeister der Araber", weil er auf eingereiste Landsleute aus seiner ostsyrischen Heimatregion Deir ez-Zor großen Einfluss ausübte. Oft gab der einstige Kommandeur der Terror-Garden Jabhat al-Nusra den Friedensrichter bei gewaltsamen Konflikten zwischen kurdisch-libanesischen Familien oder in den eigenen Reihen.
Abu Ali drehte das große Rad in der arabischen Unterwelt. Räuberische Erpressung, Geldwäsche, Geiselnahme, Überfälle, Sozialbetrug bis hin zur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Der einstige Dschihadist, inzwischen zu langjähriger Haftstrafe verurteilt, firmierte als Inbegriff eines neuen vielseitigen arabischen Players im organisierten Verbrechen hierzulande.
Machtkämpfe im Ruhrgebiet
Kriminelle syrische Familiensyndikate insbesondere aus dem Gouvernement Deir ez-Zor fassen seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 im Ruhrgebiet und in bergischen Städten wie Wuppertal und Solingen zunehmend Fuß. Diese Zuwanderergruppen stoßen in ihren neuen Wohnstätten auf besetztes Terrain.
In jenen Vierteln geben kurdisch-libanesische Großfamilien den Ton an. Teils stammen etwa Ableger des bundesweit auf 3000 Mitglieder geschätzten mächtigen Al-Zein-Clans mit dem Nachnamen Hassan ebenfalls aus der syrischen Region Deir ez-Zor.
Konflikte aus Syrien setzen sich in Deutschland fort
Clanexperten glauben, dass die Auseinandersetzungen aus der Heimat sich auch in Deutschland fortsetzen. Im Kern geht es um Macht, Einfluss oder die Frage: Wer lenkt die Dealer auf der Straße? Vieles dreht sich um Schutzgeld, Betrügereien oder Steuerhinterziehung mit gepanschtem Wasserpfeifentabak.
Da eskalieren die Interessenlagen, mitunter wachsen sich Konflikte aus marginalen Gründen zu Straßenschlachten zwischen den kurdisch-libanesischen Platzhirschen und den syrischen Neuankömmlingen aus.
So geschehen im Juni 2023, als sich tagelang beide Seiten mit einem Großaufgebot auf den Straßen in Castrop-Rauxel, Essen, Gelsenkirchen und anderswo auf der Ruhrschiene bekämpften.
Warnung vor neuen Clanstrukturen
Nach diesen Auseinandersetzungen ließ NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) das Phänomen wachsender Kriminalität durch syrische Flüchtlinge untersuchen.
Der CDU-Fraktionsvize Gregor Golland zieht ein klares Fazit: "Auch, wenn Syrer noch nicht fest in kriminelle Clanstrukturen eingebunden sind, benennt das Lagebild bereits jetzt deren weit überproportionale Anzahl an Tatverdächtigen und eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft." Vor der weiteren Entwicklung werde ausdrücklich gewarnt.
"Dagegen helfen nur Null-Toleranz und schnelle Abschiebungen nach Syrien. Wehret den Anfängen der Clankriminalität! Die Fehler mit den libanesischen Clans dürfen sich nicht wiederholen", so Gollands Resümee.