Ärmel hochkrempeln statt lamentieren: Elterninitiativen nehmen die Kinderbetreuung selbst in die Hand. In der Regel da, wo die kommunale Infrastruktur unzureichend ist. Das bedeutet viel Arbeit, aber auch große Gestaltungsfreiheit.
Holzkirchen/Weyarn – Marion Osterloher sitzt im Schatten eines Baums auf einer Decke und liest vor. Die Kinder hören aufmerksam zu. Nur ein paar spielen lieber Fußball im idyllischen Garten des Spielkreises Weyarn. Für eine Einrichtung mit insgesamt 45 Kindern im Alter von zwei bis zwölf Jahren ist es erstaunlich ruhig.
Die Elterninitiative, die Krippe, Kindergarten und Hort vereint, wurde 1993 als Alternative zum Regelkindergarten gegründet. Mit 15 Kindern sind die Gruppen kleiner, außerdem altersgemischt. „Die Schulkinder lesen den Kleinen gerne etwas vor“, erzählt Osterloher, die die Sonnengruppe leitet. Durch die Mitarbeit der Eltern ist die Atmosphäre familiär. Das ist nicht zuletzt in der Küche spürbar, wo die diensthabenden Eltern regional und biologisch kochen. Grießnockerlsuppe, Pfannkuchen, Spaghetti Bolognese, Spinat-Lachs-Lasagne und Scheiterhaufen stehen beispielsweise auf dem Speiseplan.
Mitarbeit
Der Spielkreis ist die einzige Elterninitiative in Weyarn. Im benachbarten Holzkirchen dagegen gibt es gleich fünf. Vor allem der Wunsch nach einer Alternative zu bestehenden Betreuungseinrichtungen veranlasst Eltern dazu, einen gemeinnützigen Verein zu gründen, der dann die Trägerschaft übernimmt und pädagogisches Personal einstellt. Reformpädagogische Einrichtungen wie Waldorf oder Montessori sind daher meist als Elterninitiativen organisiert. Aber auch Betreuungsplatzmangel ist ein Grund, selbst aktiv zu werden. Elterninitiativen müssen dabei sicherheitstechnische Standards und Auflagen hinsichtlich der Qualifikation des Personals und des Betreuungsschlüssels erfüllen, um eine Betriebserlaubnis zu bekommen. Wie andere Kitas auch finanzieren sie sich über Elternbeiträge, staatliche und kommunale Zuschüsse.
Das alternative Betreuungskonzept des Spielkreises ist bei Eltern beliebt – obwohl es sie zur Mitarbeit verpflichtet. Kochen, Putzen und das Begleiten der Kinder zum Turnen zählen beispielsweise zu ihren Aufgaben. „Man muss das mögen“, sagt Marion Osterloher. Sie hatte 2009 angefangen, sich ehrenamtlich als Mutter im Spielkreis zu engagieren. „Das hat mir so gut gefallen, dass ich die Erzieherausbildung gemacht habe“, erzählt sie. Seit 2016 leitet sie die Einrichtung.
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Nicht alle Eltern teilen ihren Enthusiasmus, zumal sich viele von einer Kita Erleichterung bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie versprechen – und gerade keine zusätzliche Arbeit. „Oft liegt der Teufel im Detail“, sagt Osterloher. Etwa dann, wenn alle Eltern ihr Pflichtpensum abgeleistet haben, aber der Rasen gemäht werden muss.
Wer sich dennoch für eine Elterninitiative entscheidet, wird mit großem Gestaltungsspielraum belohnt: Das pädagogische Konzept, Betreuungszeiten und Ferienregelungen, die Qualität des Mittagessens, sogar die Personalauswahl liegt in den Händen der Eltern. Hinzu kommt die Teilhabe an einer Lebenswelt ihrer Kinder, die den Eltern ansonsten verborgen bliebe.
Betriebsnahe Krippe
„Wir haben als Elterninitiative ganz andere Möglichkeiten, die Mitarbeiter adäquat zu bezahlen“, sagt Sarah Schmuck. Die 32-jährige Mutter einer Tochter ist im Vorstand der Holzkirchner Krippe „Hexennest“, die 2001 aus den Bedürfnissen berufstätiger Eltern des Pharmaunternehmens Hexal entstand – lange bevor der Betreuungsplatzanspruch für Kinder ab einem Jahr eingeführt wurde. Zwei Erzieher, eine Kinderpflegekraft sowie eine Hauswirtschafterin kümmern sich hier um zwölf Kinder. Im Gegensatz zu den Beschäftigten kommunaler Kitas erhalten sie die Großraumzulage zu 100 Prozent. „Wir versuchen, rauszuholen, was geht“, sagt Schmuck. Hilfreich sei dabei die Betriebsnähe zu Hexal als Sponsor.
Schmuck ist seit Mai im Hexennest für das Personalwesen zuständig – ehrenamtlich. „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Arbeitsverträge geschrieben.“ Woher sie weiß, wie das geht? „Man arbeitet sich ein“, sagt die Marketing-Expertin und fügt hinzu: „Aber es ist schon viel Verantwortung für einen Laien.“ Gerade als Österreicherin, die auch in Dänemark gearbeitet habe, finde sie das beeindruckend und erschreckend zugleich. „Dass es von staatlicher Seite so wenig Betreuungseinrichtungen gibt, dass es ein Konstrukt wie die Elterninitiative braucht, kenne ich aus anderen Ländern nicht.“
Ihre Kollegin Ivana Gabler, die im Hexennest-Vorstand für die Belegung der Krippenplätze zuständig ist, bestätigt das: „Man hat neben Job und Familie noch eine Teilzeit-Stelle“, sagt die 39 Jahre alte Mutter von zwei Kindern, die bei Hexal vollzeitnah als „Global Director of Planning and Operations“ arbeitet. Und doch überwiegen für sie die Vorteile: „Ein Mitspracherecht bei der Frage, wie das eigene Kind betreut wird, ist sehr wertvoll.“
Daher hoffen Gabler und Schmuck, dass das Hexennest bald nach Holzkirchen zurückkehren kann. Nach einem Wasserschaden ist die Krippe nach Otterfing gezogen, wo ihnen das Haus für Kinder der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Exil gewährt. Eine Interimslösung. „Wenn wir keine Räume in Holzkirchen finden, müssen wir nach 25 erfolgreichen Jahren und sehr viel Engagement schließen“, so Gabler. Davon wären nicht nur Kinder Betriebsangehöriger betroffen. Knapp die Hälfte der Plätze sind derzeit von externen Holzkirchner Kindern belegt.