Lehrermangel in Hessen: Landesregierung will mehr Quereinsteiger gewinnen
In Hessen gibt es nach Angaben des Kultusministeriums 58.960 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer – 3300 mehr als im Schuljahr 2022/23. Doch längst nicht alle Stellen sind besetzt. Könnten Quereinsteiger das Problem mindern?
Fulda/Wiesbaden - Beim Thema Lehrermangel gibt sich das hessische Kultusministerium wortkarg. Daten darüber, wie viele Stellen in einzelnen Schulamtsbezirken besetzt sind und wie groß der jeweilige Mangel ist, lägen dem Ministerium nicht vor, heiß es auf Anfrage unserer Zeitung.
9200 Lehrer fehlen in Hessen - Mangel vor allem in sozialen Brennpunkten
Die Bildungsgewerkschaften und Verbände werden deutlicher: Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sprach zu Schuljahresbeginn von „deutlich mehr als 2000 unbesetzten Planstellen an hessischen Schulen“. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen (GEW) fehlen 9200 Lehrer. Bis 2030 werde diese Lücke sogar auf 11.700 Lehrer steigen.
Boris Krüger, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands Hessen, erklärt, grundsätzlich bestehe ein Lehrkräftemangel vor allem im Bereich der Grund- und Berufsschulen. In Hessen bekommen Grundschullehrer seit August 2022 schrittweise mehr Geld.
Gymnasien seien in der Regel personell gut aufgestellt. Dass das Kultusministerium bezüglich des Lehrkräftemangels keine genauen Zahlen ausweist, liege vor allem daran, dass dieser regional sehr unterschiedlich sei. Liefere man detaillierte Daten, müsse man Herausforderungen in der Lehrerversorgung eingestehen.
„Hoch problematisch ist der Mangel insbesondere in sozialen Brennpunkten, wie Teilen Frankfurts oder Offenbachs. Dort will keiner hin. In der Folge wird der dortige Mangel häufig mit Quereinsteigern, angestellten Lehrern oder solchen auf Honorarbasis aufgefangen“, so Krüger.
Anders sehe es etwa in Nordhessen und Fulda aus. Hier könne nicht von einem Mangel gesprochen werden. „Derzeit sind den Schulen im Bereich des Staatlichen Schulamtes Fulda 1922,2 Stellen zugewiesen. Alle genannten Stellen sind besetzt, rechnerisch ergibt sich sogar eine Überbesetzung“, so Marion VanCuylenburg, seit 2021 Leiterin des Staatlichen Schulamts Fulda.
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„Abschreckende Faktoren“: Wie der Lehrerberuf wieder attraktiver werden könnte
Um eine auskömmliche Versorgung mit Lehrern über alle Regionen hinweg sicherzustellen, brauche es laut Krüger eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. „Das Hauptmanko am Lehrerberuf sind die vielen abschreckenden Faktoren: große Klassen, eine hohe Stundenzahl, eine immer stärker werdende Heterogenität bei den Schülern, seit Corona verstärkt psychische Probleme, überbordende Bürokratie und zunehmend mehr Helikoptereltern“, konstatiert Krüger.

Daher brauche man unter anderem Verwaltungsfachkräfte an Schulen, die Lehrer von bürokratischen Aufgaben entlasten. Langfristig gesehen müsse die Zahl der Studienplätze für das Lehramt erhöht werden. Kurzfristig könnten Lücken mit Quereinsteigern, Pensionären und dem Aufstocken von Stunden durch Lehrer in Teilzeit geschlossen werden.
Die schwarz-rote Koalition plant indes, Vertretungskräfte zu entfristen und für diese einen berufsbegleitenden Quereinstieg zu entwickeln. Insbesondere im MINT-Bereich fehlten Lehrkräfte. Hier plane man eine Initiative mit Industrie- und Wirtschaftsverbänden, um Quereinsteiger zu gewinnen.
Dennoch, so stellt Ministeriumssprecher Philipp Bender klar, liege der Schwerpunkt der Landesregierung auf der Rekrutierung grundständig ausgebildeter Lehrkräfte. Dessen ungeachtet soll es laut Kultusministerkonferenz künftig auch die Möglichkeit geben, Lehrer zu werden mit nur einem Studienfach. Auch duale Lehramtsstudiengänge sind bundesweit im Gespräch.
Lehrermangel in Hessen: Quereinstieg soll gefördert werden
Die GEW bewertet die Pläne, den Quereinstieg zu fördern, positiv. „Auch ist es erfreulich, dass der Koalitionsvertrag das Problem der großen Arbeitsbelastungen zumindest benennt. Wir hoffen, dass sich das tatsächlich in konkreten Maßnahmen widerspiegeln wird“, sagt Heike Ackermann, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen.
Um die Attraktivität des Lehrerberufs zu steigern, plädiert Ackermann für eine Reduzierung der Pflichtstundenzahl und den Abbau außerunterrichtlicher Dienstpflichten. „Das hätte einen doppelten Effekt: Die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler würde ebenso profitieren wie die Gesundheit der Lehrkräfte.“ Zudem würde dies die Attraktivität des Berufs steigern, wodurch mehr Menschen für einen Quereinstieg gewonnen werden könnten.
„Eine faire Bezahlung ist ein wesentlicher Baustein, auch für die Attraktivität des Lehramts“, ergänzt Volker Weigand, Landesvorsitzender des Hessischen Philologenverbandes. Mit Blick auf die heterogener werdende Schülerschaft und gesellschaftliche Entwicklungen wie zunehmende Inklusion und Migration „müssten auch Klassen und Kurse deutlich kleiner werden. Der Bildungsetat muss dementsprechend deutlich ausgebaut werden.“ Nur so sei man künftigen Herausforderungen gewachsen.
Quereinstieg als Lehrkraft
Quereinsteiger kann grundsätzlich jeder mit einem Master oder vergleichbarem Studienabschluss werden. Einerseits haben Interessenten die Möglichkeit im Rahmen einer 3,5-jährigen berufsbegleitenden Maßnahme eine dem Lehramt gleichgestellte Qualifikation zu erwerben, um anschließend als Lehrer an Grund-, Haupt- und Realschulen unterrichten zu können.
Für sogenannte Mangelfächer (z.B. Physik, Chemie, Informatik) besteht andererseits die Option, in das zweijährige Referendariat einzusteigen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Studienabschluss der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt gleichgestellt wird. In diesem Fall reichen für den Grundschulbereich bereits ein Bachelorabschluss in Deutsch, Mathematik, Sport, Musik oder Kunst und der Nachweis einer fünfjährigen Berufserfahrung im studierten Fach aus. Zudem besteht über diesen Weg die Möglichkeit, an einem Gymnasium unterrichten zu dürfen.
Wolfgang Stock, Vorsitzender des Landeselternbeirats Hessen, sieht den Quereinstieg vor dem Hintergrund zunehmender Verwaltungsaufgaben, den Erwartungen von Eltern, Kollegen und Vorgesetzten kritisch. Kerstin Mück, Fuldaer Kreisvorsitzende des Deutschen Lehrerverbands Hessen (DLH), sagt dagegen: „Ohne Quereinsteiger hätten schon vor 20 Jahren Fachbedarfe in Mangelfächern nicht abgedeckt werden können. Daher sind Quereinsteiger richtig und wichtig, um die Fachlichkeit im Unterricht zu sichern.“ (Von Toni Spangenberg)