Ist die ZUM in Kempten bald Geschichte?
Kempten – Von einem Grundsatzbeschluss, der alle 30 Jahre einmal vorkommt, sprach Oberbürgermeister Thomas Kiechle bei der Vorstellung des neuen Bus-Systems für Kempten im Stadtrat.
Auch die Stadträte sparten nicht mit den Superlativen: von einer „Revolution“ (Katharina Schrader, SPD), von einem „Meilenstein“, von „guten Nachrichten, die einen erschlagen“ (beide Dr. Stefan Thiemann, Grüne) von einem „Quantensprung, der die Mobilitätswende enorm voranbringt“ (Michael Hofer, ÖDP), von einer „kompletten Veränderung“ (Helmut Berchtold, CSU) war die Rede. Andere bezeichneten die Pläne als „Katastrophe für die Geschäftsleute“ (Walter Freudling), die „keine Verbesserung, nur eine Verschlechterung“ (Tatjana Preuß, beide AfD) bringen würden.
Der direkte Anlass
Nach der Festwoche 2024 beginnen die Bauarbeiten im Sparkassenquartier. Diese haben zur Folge, dass die ZUM wegen der Baustelle drei Jahre lang nur sehr eingeschränkt nutzbar sein wird. Für diese Zeit braucht man einen Ersatz. Aus diesem Anlass stellte sich der Ausschuss für Mobilität und Verkehr die Frage, ob der jetzige Standort grundsätzlich zukunftsfähig sei.
Die ZUM habe ihre Belastungsgrenze erreicht und lasse eine notwendige Erweiterung nicht zu, berichtete Baureferent Tim Koemstedt über die Ergebnisse der Untersuchung durch die VCDB VerkehrsConsult Dresden-Berlin GmbH. Außerdem komme es bei Großveranstaltungen wie der Festwoche zu großen Störungen des ÖPNV-Betriebs. Deswegen sei es sinnvoll, das derzeitige ZUM-Konzept mit einem Rendezvous-System (hier treffen sich zeitgleich zweimal in der Stunde alle zwölf Stadtbuslinien) dauerhaft durch ein neues ÖPNV-System zu ersetzen.
Die ZUM habe sich 30 Jahre lang bewährt, behauptete Preuß. Wegen der Sparkasse etwas übers Knie zu brechen, sei falsch, fügte Freudling hinzu. „Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll“, entgegnete Berchtold entsetzt. Von Übers-Knie-brechen könne keine Rede sein: Man habe 2014 begonnen, über die Konzepte ausführlich zu diskutieren und seit 2017 spreche man über einen Ersatz für die ZUM.
Konkrete Vorschläge
Die Firma VCDB schlägt vor, die jetzigen zwölf Stadtbuslinien zu vereinfachen und durch sechs neue zu ersetzen (Linie 1: Thingers – Hofgarten – Bühl – JVA, Linie 2: Stadtweiher – Hauptbahnhof – Zentrum/Stadtpark - Hofgarten – Lenzfried, Linie 3: Stiftallmey – Hofgarten – Luwigshöhe –Hauptbahnhof, Linie 4: Stiftsbleiche – Halde – Hofgarten – Klinikum – CamboMare – Hauptbahnhof, Linie 5: Hofgarten – Zentrum/Stadtpark - Hauptbahnhof – Eich – Waltenhofen/Rauns, Linie 6: Hofgarten – Hauptbahnhof – Lanzen).
Diese sollen durch zwei Ringbuslinien (Linie 7: Hauptbahnhof – Stiftallmey - Stiftsbleiche – Daimlerstraße, Linie 8 Hauptbahnhof – Ostbahnhof – Daimlerstraße) und durch Spätbusse (die Linien 100 bis 500 fahren von 19:35 bis 22:35 Uhr, am Wochenende bis 0:35 Uhr) ergänzt werden.
Neue Umsteigemöglichkeiten
Bis jetzt fahren alle Busse bis zur ZUM, wo man umsteigen kann. In Zukunft entstehen zahlreiche neue Umsteigemöglichkeiten (Oberwang, Memminger Straße, Maria-Ward-Schule, Aybühlweg, Ceratizit, Heisinger Straße, Berliner Platz, Ostbahnhof, Lenzfrieder Straße, Schumacherring) und zwei große Umsteigepunkte am Hauptbahnhof und in der Nördlichen Innenstadt. Hier kommen auch die Regionalbusse an. Zwischen den beiden Punkten entsteht eine Stammstrecke, wo alle siebeneinhalb Minuten ein Bus fahren wird.
Der Umsteigepunkt am Hauptbahnhof kann kurzfristig ohne bauliche Maßnahmen in Betrieb genommen werden. Hier soll zunächst ein provisorisches Kundenzentrum entstehen. Der endgültige Ausbau ist für 2027–2029 geplant, im Einklang mit der Einführung des neuen ÖPNV-Konzeptes des Landkreises.
Über den genauen Standort des Umsteigepunktes in der Nördlichen Innenstadt gibt es kontroverse Diskussionen (ausführlicher Bericht folgt), deswegen wurde der geplante Tagesordnungspunkt im Stadtrat auf den gemeinsamen Antrag der Fraktionen CSU und Freie Wähler kurzfristig abgesetzt.
„Wie sieht es zukünftig mit dem Schulverkehr aus?“, fragte Schrader. Dieser konzentriere sich auf den Hauptbahnhof, erwiderte KVB-Betriebsleiter Thomas Kappler. Aber der Regionalverkehr werde teilweise direkt die Schulen anfahren.
Mögliche Vorteile
Kempten ist eine wachsende Stadt, die ihr Angebot den Bedürfnissen anpassen sollte, um attraktiv zu bleiben, betonte Annette Hauser-Felberbaum (FW). „Die ZUM hat sich überlebt.“
Julius Bernhardt hob hervor, dass es von zentraler Bedeutung sei, dass man die Innenstadt mit dem Bus erreichen könne. Er lobte das neue Konzept, das durch ein dezentrales System für Flexibilität und für zukunftsfähige Ausbaumöglichkeiten sorge, für den Regionalverkehr Spielräume biete, aber auch die Einschränkungen für Großveranstaltungen aufhebe. „Ich bin zuversichtlich, dass wir es hinkriegen. 2024 wird für den ÖPNV ein spannendes Jahr werden“, meinte er.
Thiemann erwartet eine „massive Steigerung der Passagierzahlen“. „Man braucht kein Auto mehr innerhalb der Stadt“, drückte Hofer seine Hoffnung aus, was nicht nur wegen der Mobilitätswende, sondern auch wegen der Änderung der Altersstruktur wichtig sei.
Die direkte Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Klinikum, die Umsteigemöglichkeiten ohne Wartezeiten und die Tarifharmonisierung waren konkrete Plus-Punkte, die Koemstedt aufzeigte.
„Unnütze Fahrzeiten fallen weg“, so Berchtold. Wenn beispielsweise die Linie 30 von Sulzberg nicht zur ZUM, sondern nur zum Bahnhof fahre, könne diese statt in einem 30-Minuten-Takt alle 20 Minuten fahren. So erreiche man eine Taktverdichtung in der Region ohne weitere Kosten.
Risiken und Bedenken
„Wir nähern uns einer Großstadt an“, sagte Hofer. Mehrere Stadträte betonten, dass die damit verbundene Veränderung wahrscheinlich nicht sofort von der Bevölkerung Akzeptanz finde. Eine Umstellung werde nie geschätzt, meinte Alexander Hold (FW). „Alle müssen sich umgewöhnen“, so Schrader. Oberbürgermeister Kiechle hofft, dass die Bürger das Angebot auch annehmen. „Das Konzept wird kein Selbstläufer sein“, meinte Bernhardt. Man müsse rechtzeitig eine Kampagne starten. Für die Akzeptanz sei besonders wichtig, dass die Umsteigepunkte ausreichende Qualität haben.
In den Prozess seien bis jetzt nur die politische und die Fachebene eingebunden gewesen, sagte Hold. „Jetzt ist die Bürgerebene dran.“ Es könnte vorkommen, dass es durch die neue Linienführung länger dauere, manche Ziele zu erreichen, stellte Schrader fest.
„Der Dachser-Kreis ist nicht die Stadtgrenze“, merkte Hans-Peter Wegscheider (FW) an. „Der Stadtverkehr hört in Thingers auf“, fügte Wolfgang Meyer-Müller (Grüne) hinzu. In den Randgebieten gebe es Verbesserungsbedarf. Die Linien 40 und 50 sind keine städtischen Linien, sie verkehren weiterhin, beruhigte Kappler. Man sollte sich nicht allein auf eine Linie des Regionalverkehrs im Stadtgebiet Kempten verlassen, konterte Meyer-Müller.
Früher gab es vier Umsteigepunkte. Es habe sich bewährt, diese durch die ZUM zu ersetzen. Jetzt kehre man zum alten, schlechteren Zustand zurück, behauptete Preuß. Außerdem gebe es bei der Festwoche keine Beeinträchtigungen, man würde nur die Einsteigepunkte verlegen. Für mobilitätseingeschränkte Personen werde es durch das mehrmalige Umsteigen Probleme geben, fügte er hinzu.
Die Zukunft der ZUM
Der Rückbau der ZUM ermöglicht die Neugestaltung des Albert-Wehr-Platzes. Am Lyzeum sollen zwei Haltepunkte erhalten bleiben. Die Lücke zwischen Stadtpark und Linggpark kann geschlossen und völlig neu gestaltet werden.
Finanzierung, Kosten
„Kein Unternehmer würde so handeln wie wir“, meinte Freudling. Man könne keinen Grundsatzbeschluss fassen, bevor die Kalkulation stehe. „Wir sind in zwei Jahren pleite.“ Da die konkreten Maßnahmen erst ausgearbeitet werden, wurde in der Sitzung über deren Finanzierung nicht gesprochen. Aber einige Zahlen wurden vorgestellt: Die Busse werden in Zukunft 80 Kilometer, das heißt 1,3 Prozent mehr fahren als jetzt. Für die sechs Stadtlinien braucht man 18, für die Ringlinien acht und für die Spätlinien sieben umweltfreundliche E-Busse.
Der Grundsatzbeschluss wurde vom Stadtrat beschlossen. Die beiden AfD-Stadträte stimmten dagegen.