Dorothee Löser: erste Frau an der Spitze des Dekanatsbezirk Kempten im Interview

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Hinschauen und Hinhören will Dorothee Löser, die erste Frau an der Spitze des Dekanatsbezirk Kempten, am Anfang ihrer Dienstzeit in den Mittelpunkt stellen. Bereits heimisch fühlt sie sich im Dekanatsbüro am St.-Mang-Platz in Kempten. © Fischer

Dorothee Löser, Dekanin für die Städte Kempten, Kaufbeuren, Lindau und die Landkreise Ober-, West- und Ostallgäu umfasst, im Kreisboten-Interview.

Allgäu – Beim Gespräch ist sie erst seit ein paar Tagen im Amt und mitten in den Vorbereitungen für die feierliche Amtseinführung, trotzdem bekommt man das Gefühl, dass sie sich hier bereits jetzt heimisch und sicher fühlt. Von einem Zeitdruck ist nichts zu spüren; sie ist nicht nur an der Beantwortung von Fragen, sondern an einem gegenseitigen Gespräch interessiert.

Frau Löser, wie würden Sie Ihr Arbeitsfeld als Dekanin kurz beschreiben?

Löser: „Zuständig bin ich für die Stellenbesetzung, Personalführung, Verwaltung, Immobilien und organisatorische Fragen in allen unserer Kirchengemeinden. Die Personalverantwortung gilt nicht nur für die Hauptamtlichen in Voll- und Teilzeit, sondern auch für die Ehrenamtlichen. Wie ist unser Team aufgestellt? Wie kann man Personal halten und Nachwuchs generieren? Was passiert, wenn jemand in den Ruhestand geht? Wie gestalten wir den Generationsübertritt? Das sind zentrale Fragestellungen, für die wir Lösungen finden müssen.

Auf der inhaltlichen Seite ist meine Aufgabe, gemeinsam mit unseren Pfarrern und Pfarrerinnen, Diakonen und Diakoninnen, Religionspädagogen und Religionspädagoginnen und Kirchenvorständen das Kirchenleben zu gestalten, ein Kirchenprofil zu entwickeln und Schwerpunkte zu setzen.“

Welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Löser: „Stellen Sie diese Frage in einem Jahr wieder! Zuerst will ich das große Feld erschließen, wo ich jetzt hingekommen bin. Ich freue mich auf die bevorstehenden Begegnungen. Hinhören und Hinschauen stehen zunächst im Mittelpunkt meiner Arbeit. Ich will der Motor sein, neue Sachen anleiern und andere bei der Umsetzung unterstützen, fragen, wer es machen kann. Ich bin zwar die Frontfrau, die Repräsentierende im Amt mit Leitungsaufgaben, aber ich kann nur so stark sein, wie mein Background, mein Team stark ist.“

Frau Löser, Sie sind die erste Frau, die an der Spitze des Dekanatsbezirks Kempten steht. Hat das für Sie eine besondere Bedeutung?

Löser: „Erste Frau in Ämtern zu sein, begleitet mich in meiner ganzen Laufbahn. Von 2009 bis 2021 war ich die erste geschäftsführende Pfarrerin und von 2016 bis 2021 stellvertretende Dekanin in Freising. Anschließend wurde ich zur ersten theologischen Referentin ins Landeskirchenamt berufen, zuständig für die Personalangelegenheiten aller Pfarrerinnen und Pfarrer. Und jetzt bin ich hier auch die erste Frau. Irgendwie rutsche ich da immer hinein.

Frauen in Führungspositionen gehörte zu den Schwerpunktthemen der Landeskirche in den letzten drei Jahren. Auch die Synode beschäftigte sich damit. Heute werden Frauen gefördert, auch der Personalreferent legt sehr viel Wert darauf. Trotzdem habe ich im Dekanamt zu 80 Prozent männliche Kollegen. Ich will meine jungen Kolleginnen gezielt fördern. Viele von ihnen fangen ihre Tätigkeit in Teilzeit an. Was spricht dagegen, jungen Frauen zu sagen: Ihr könnt auch in Teilzeit Verantwortung übernehmen und in leitender Position arbeiten? Von dort aus kämen sie leichter in ein Führungsamt. So wie es jetzt läuft, bekommen erfahrene Männer in Leitungspositionen oft den Vorrang.“

Sind Frauen die besseren Führungskräfte?

Löser: „Frauen sind nicht besser als Männer, aber sie gehen manche Sachen anders an. Wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten und sich gegenseitig ergänzen, ist das für das Team eine Bereicherung.

Integration, Toleranz und Menschenrechte, das sind Themen, die heute wieder sehr aktuell sind.

Offenheit haben für Menschen aus anderen Kulturen liegt mir am Herzen. In Freising waren wir mit der Diakonie in integrativen Projekten vielseitig aktiv. Das internationale Frauenfrühstück gehörte genauso dazu wie die Trägerschaft einer Kindertagesstätte mit Kindern aus 26 Nationalitäten. In solchen Einrichtungen sind Erzieherinnen mit muslimischem Hintergrund eine Bereicherung. Ich finde es schade, dass die ACK-Klausel trotz Verbesserungen für ihre Anstellung noch immer hohe Hürden setzt. Die Landeskirche legt viel Wert auf die interkulturelle Arbeit.“

Auf der Grundlage des Konzepts der öffentlichen Theologie war es Ihrem Vorgänger Jörg Dittmar immer wichtig, bei politischen Diskursen Stellung zu nehmen. „Demokratie braucht Religion“ von Hartmut Rosa gehört zu seinen Lieblingsbüchern. Inwieweit wollen Sie in der Politik unserer Region mitmischen?

Löser: „Mein Verständnis der politischen Rolle der Kirche basiert auf Dietrich Bonhoeffer: Wir sollten ‚Sand im Getriebe sein‘. Dabei ist mir die Wahrung der Schöpfung genauso wichtig, wie das Engagement für Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde. Als Christen haben wir die Pflicht, Farbe zu bekennen und uns streitbar für die Demokratie einzusetzen. Um die Schöpfung zu bewahren, engagierte ich mich in Freising gegen die dritte Startbahn. Dort habe ich einen ‚Tisch gegen rechts‘ mit etabliert. ‚Nie wieder ist jetzt‘ muss auch die Kirche betonen.

Das Kirchenasyl ist mir wichtig: Wenn wir gefordert sind, müssen wir uns für die Schwachen einsetzen, das ist ganz konkret gelebte Nächstenliebe. Bei all diesen Themen suche ich Mitstreitende. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern und Landräten. Wir bieten unsere Mitarbeit an: Wir sind dabei.“

Und wenn diese anders „ticken“, was in letzter Zeit immer öfter der Fall ist?

Löser: „Meine Aufgabe ist, kritisch nachzufragen: Warum haben Sie diese Position? Wir müssen das Fähnchen hochhalten, da sind wir gefordert. Und wenn ein Alleingang nötig ist, stelle ich mich hin, weil mein Amt das fordert. Aber zuerst will ich immer in Beziehung treten.“

Die Geschichte Kemptens ist durch tiefe Gräben zwischen der katholischen Stiftsstadt und evangelischen Reichsstadt geprägt. Auch deswegen gehörte es zu den Glanzlichtern der letzten Jahre, wie die beiden Dekane Jörg Dittmar und Dr. Bernhard Ehler das Reformationsjahr gemeinsam feierten und als Freunde die Ökumene vor Ort vorantrieben. Momentan nehmen wir eher einen Stillstand wahr.

Löser: „Nach meiner sehr evangelisch geprägten Gemeinde in der Württembergischen Landeskirche lernte ich in der sehr katholisch geprägten Stadt Freising kennen, was es bedeutet, in der Diaspora zu agieren. Dort gab es eine sehr lebendige Ökumene, ich bringe viele Erfahrungen und eine große Offenheit mit. Ich freue mich darauf, die Akteure in der ACK, aber auch in den Freikirchen und anderen Religionsgemeinschaften kennenzulernen und bin gespannt darauf, wo es eine gemeinsame Wellenlänge gibt.“

Was hat Sie auf Ihrem Lebensweg besonders beeinflusst?

Löser: „Ich bin in Stuttgart geboren und in einem christlich sozialisierten Elternhaus aufgewachsen. Meine Eltern haben uns Kindern mitgeben: Seid frei, macht euch immer ein eigenes Bild, sucht euch den Weg, der euch guttut. Außerdem war ich zwölf Jahre lang im Jugendwerk Degerloch engagiert, das mich sehr geprägt hat. Wir waren jeden Sommer in Schweden, in Camps, wo wir uns ausprobieren konnten.“

Haben Sie eine Familie ins Allgäu mitgebracht?

Löser: „Nein, ich bin getrennt lebend. Ich bin auch ein Mensch, wie alle anderen. Wir haben Kirchenmenschen jahrzehntelang makellos auf das Podest gesetzt. Alle biblischen Geschichten erzählen das Gleiche: Der Mensch dachte, und Gott lachte. Es kommt immer anders. Dass Menschen Brüche erleben, gehört zum Leben. Ich möchte diese Menschen begleiten und ihnen sagen: Geh deinen Weg ohne Angst, du bist nicht allein. Die Kirche muss nahbar sein, wir müssen füreinander da sein, so werden wir wieder glaubwürdig und ansprechbar. Dieses Rollenbild braucht die Kirche. Wenn uns das gelingt, haben wir unsere Aufgabe gefunden.“

Frau Löser, danke für das Gespräch.

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