Kirchenvertreter im Landkreis erklären, wie Halloween, Allerheiligen und Reformationstag geschichtlich und spirituell zusammenhängen.
Landkreis - Ab Herbst geraten die Menschen, allen voran Mütter, oft in Terminstress. Da wäre Sankt Martin am 11. November. Laternen wollen gebastelt, Lieder geübt, Gänse gebacken werden. Kurz nach Rabimmel-Rabammel steht der Nikolaus vor der Tür, oder eher: lauter leere Stiefelchen. Und die füllt eben kein Bischof aus Myra, sondern Nikolaus‘ irdische Helferlein, alias „Mütter“. Ganz Ambitionierte basteln auch schon Adventskalender, deren 24 Schächtelchen sie möglichst kreativ befüllen werden.
Plötzlich aber krakeelen schrecklich anzusehende Zombies, weißgewandete Geister und warzengesichtige Hexen vor der Haustür und weichen erst, wenn sich ihre Säckchen mit Süßkram gefüllt haben. Heute Abend ist Halloween! Und wehe dem, der nicht vorgesorgt und sich keinen üppigen Vorrat an Süßem angelegt hat. Dann gibt’s, Saures! So will es die Tradition.
Weilheims größte Gruselparty
Heute Abend steigt zum zehnten Mal die Weilheimer „Halloween Night“, dieses Mal in der großen Hochlandhalle und mit DJ Tim Kruger aus München. Während die erste Party vor elf Jahren noch ein kleines, internes Event für Freunde und Stammgäste von Initiator Marcel Stibich im Bistro Inkognito war, sind heuer bereits 450 Karten verkauft. An der Abendkasse liegen noch 50 Tickets à 15 Euro bereit.
Gemeinsam mit Alpenova Event ist die leere Halle mit großem Dekoaufwand in eine Art „Geisterbahn“ für Freunde der Nacht verwandelt worden. „Verkleidungszwang gibt es nicht“, sagt Mit-Veranstalter Sebastian Frey, „aber kreative Gruseloutfits sind natürlich gern gesehen.“
Aber was heißt schon Tradition? Ist Halloween, das vor 20, höchstens 30 Jahren aus Amerika nach Europa geschwappt ist, nicht einfach nur ein weiterer Termin im Konsumkalender, an dem Super- und Drogeriemärkte, Verkleidungs- und DekoShops Kasse machen?
Reformationstag und Allerheiligen
Denn alle machen mit, bestellen Skelett-Einteiler, Kunstblut, Vampirzähne, schminken sich selbst und dem Nachwuchs Narben ins Gesicht, ritzen Kürbissen Fratzen ins Fleisch, backen Monstermuffins und gehen auf Gruselpartys.
Dass aber die Protestanten am 31. Oktober schon seit dem 16. Jahrhundert Martin Luther ehren, indem sie den Reformationstag begehen, und dass am 1. November die Katholiken aller Heiligen gedenken, das dürfte oft weniger Beachtung finden als die „Süßes-oder-Saures-Kreuzzüge“ durch die Nachbarschaft.
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Dabei haben das vermeintlich amerikanische Halloween und das katholische Allerheiligen gemeinsame Wurzeln. Und sogar der evangelische Reformationstag lässt sich mit ein wenig Geschick mit Halloween-Traditionen verbinden. Wie genau das geht und was genau zu Allerheiligen und am Reformationstag gefeiert wird, das erklären uns die Kirchenvertreter des Landkreises.
Pfarrer Paul Igbo, Leiter der katholischen Pfarreiengemeinschaft Weilheim, sagt: „Die katholische Kirche hat sehr viele Heilige und es werden jedes Jahr mehr. So wird an einem Tag häufig nicht nur einem, sondern gleich mehrerer Heiliger gedacht.“ Wobei darunter all die Christen zu verstehen sind, die von der Kirche kanonisiert, also heiliggesprochen worden sind.
Zu Ehren dieser wachsenden Schar vorbildlicher Christen, die damals meist den Märtyrertod gestorben waren, wurde bereits im 4. Jahrhundert ein Gemeinschaftsfest begangen: Das „Festum omnium sanctorum“ fand am Sonntag nach Pfingsten statt, bis es Papst Gregor IV. im Jahr 835 auf den 1. November verlegte. Wenn auch aus recht pragmatischen Gründen, wie die „Legenda aurea“ festhält: „da um die Zeit der Nahrung mehr ist, auch Ernte und Weinlese gehalten werden.“
Paul Igbo sagt über das Hochfest der katholischen Kirche: „Wir bitten die Menschen, die nach ihrem Tod bei Gott sind, um ihre Fürsprache. Doch frage ich mich, sind wirklich nur die Christen bei Gott, die Rom heiliggesprochen hat?“ Der 47-Jährige mit nigerianischen Wurzeln findet nämlich: „Alle, die intensiv christliche Nächstenliebe praktizieren, die ihre Verwandten pflegen, viel Gutes tun, sind in meinen Augen Heilige, so wie meine Oma, die war auch eine Heilige.“ Mit dem Fest am 1. November sei deswegen auch immer ein Aufruf an alle Menschen verbunden, der Heiligkeit zuzustreben. An Allerseelen, dem Tag danach, gedenken die Katholiken indes aller Verstorbenen, also auch derer, die nicht ganz makellos durchs Leben gegangen sind, und bitten für sie um Gottes Barmherzigkeit.
Während es neben den Gottesdiensten an Allerheiligen in allen katholischen Weilheimer Pfarreien Gräbersegnungen gibt, wird Igbo in seiner Messe am Samstag Seligpreisungen lesen – und vielleicht in Zukunft einmal dasselbe Experiment wagen, das bei den Jugendlichen in Karlshuld so gut ankam: eine Andacht zum Thema Licht, bei der man bei Kerzenschein zum Friedhof ging, Kinderpunsch und Süßes genoss. „Ich versuche, die heidnischen Traditionen nicht zu verteufeln, sondern sie mit den christlichen zu verbinden und dann kann man ja trotzdem Spaß haben“, findet der Pfarrer.
Die Nähe zu den Toten aber, die Allerheiligen und Allerseelen charakterisiert, ist das wichtigste Verbindungsstück zu „Samhain“, einem keltischen Fest und Vorläufer von Halloween. Die Kelten nämlich waren der Überzeugung, dass zu Samhain, ihrem Neujahrsfest, die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten verschwamm. Sie glaubten, dass ihre Vorfahren an diesem Abend auf die Erde zurückkehrten und, um sie zu ehren, stellten sie Speisen und Lichter vor die Tür. Ganz ähnlich wird bis heute in Mexico zur selben Zeit „El día de los muertos“ gefeiert. Um die bösen Geister zu vertreiben, entzündeten die Kelten an Samhain indes große Feuer, verkleideten sich und trugen Tiermasken und -häute.
Im Zuge der Christianisierung wurden die heidnischen Traditionen nicht abgeschafft, sondern überformt (etwa Lichter auf den Gräbern statt großer Feuer) und als Rom Allerheiligen auf den 1. November verlegte, wurde aus dem 31. Oktober erst „All Hallow’s Eve“, also der „Vorabend von Allerheiligen“, dann „Hallowe’en“ und schließlich „Halloween“, wie wir es heute kennen.
Und dabei spielt ein Fruchtgemüse eine zentrale Rolle: der Kürbis. Vor beinah jeder Haustür grinst uns in diesen Tagen ein ausgehöhltes Exemplar mit schiefen Zähnen und lodernden Augen an. Die Ursprünge dieses Szenarios liegen in einer irischen Legende, nach der ein Mann namens Jack den Teufel betrog und dazu verdammt war, zwischen Himmel und Hölle umherzuirren. Dabei leuchtete er sich den Weg mit einer hohlen Rübe, in der ein Kohlestück glomm. Die Iren exportierten Mitte des 19. Jahrhunderts diesen Brauch rund um Jack-o-Lantern auf ihrem Exodus nach Amerika, wo man feststellte, wie viel leichter als eine Rübe sich ein weicher Kürbis schnitzen lässt.
Hier kommt nun Pfarrerin Brigitte Weggel aus Peiting ins Spiel, denn die hat aus der Not eine Tugend gemacht und lädt am Reformationstag alle Kinder in die Christuskirche zum großen Schnitzwettbewerb ein. Der dürfte besser ankommen als ihr Versuch vor einigen Jahren, den kleinen Gespenstern und Untoten vor ihrer Haustür Essiggurken anzudienen. „Für uns fällt der Reformationstag eigentlich auf einen undankbaren Abend. Also habe ich mir überlegt, wie wir ein attraktives Alternativangebot machen können“, erzählt sie. Internet und KI hätten ihr kurz darauf den „Lutherkürbis“ ausgespuckt.
„Das ist für mich Reframing pur“, freut sich die Pfarrerin, „denn statt einer Grimasse werden wir eine Lutherrose in die Kürbisse schnitzen. Das Thema Licht bleibt, aber jetzt geht es um das Licht der Liebe.“ Außerdem werden von 16 bis 18 Uhr Martinsgänse gebacken, Kürbissuppe gekocht und während des anschließenden Festgottesdienstes leuchten die freundlichen Kürbisse. Gefeiert werden dann auch die endlich abgeschlossenen Reformarbeiten.
Dass die Erneuerung des Christuskirchendachs just zum Reformationstag fertig geworden ist, hat an sich schon Symbolkraft. „Denn“, das erklärt Weggels Kollegin Julia Steller aus Schongau, „am Reformationstag erinnern wir uns daran, dass die Kirche sich immer erneuern muss. Nur so kann sie aktuell bleiben und im Alltag der Menschen weiter eine Rolle spielen.“
Vieles kann nebeneinander stehen
Als Luther am 31. Oktober 1517 in Wittenberg seine 95 Thesen veröffentlichte und darin vor allem den Ablasshandel anprangerte, habe der Augustinermönch keinesfalls eine Abspaltung von seiner Kirche gewollt, sondern lediglich ihre „Reformatio“, ihre Erneuerung, schildert Steller. „Für uns als Glaubensgemeinschaft, als Institution, ist es darum auch heute noch ungemein wichtig, uns unserer Wurzeln zu vergewissern, unser Profil zu schärfen und ein menschenwürdiges, respektvolles Miteinander aus dem christlichen Glauben heraus zu praktizieren.“ Denn nur, wenn dieser ständige Reformationsgedanke gelinge, da ist sich die Pfarrerin sicher, könne Kirche zukunftsfähig sein.
Dass sich der amerikanisch-europäische Reimport Halloween bei den Menschen heute so großer Beliebtheit erfreut, stört die 38-Jährige dagegen gar nicht: „In unserer pluralen Gesellschaft kann vieles nebeneinander stehen. Wünschenswert ist nur, sich einmal mit den Ursprüngen auseinanderzusetzen.“
Auf diese Weise kann am heutigen Tag neben allem Kommerz und Konsum vielleicht auch eine humorvolle Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit stattfinden und – durch seine Parodie – sogar dem Tod der Schrecken genommen werden.