Rekordjahr für die Energiewende: Windkraft löst Kohlestrom ab, CO₂-Ausstoß sinkt auf neues Tief

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Rückblick auf 2023: Windkraft löst Kohle als wichtigsten Stromerzeuger ab, die deutschen CO₂-Emissionen sind auf dem Niveau der 50er - außerdem wurde so viel Solarkraft zugebaut, wie nie.

München – Die Energiekosten sind weiter eine große Belastung für die Volkswirtschaft: Die Kilowattstunde kostet mit rund zehn Cent gut 2,5 Mal so viel wie vor der Krise. Grund sind vor allem die hohen Preise für Erdgas und CO₂, die in der Stromerzeugung nach wie vor den Ton angeben. Doch 2023 war auch ein Jahr voller Rekorde. Bruno Burger und Christoph Kost vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) wissen, warum.

Strompreise sinken im Vergleich zu 2022 – die Hälfte stammt aus Erneuerbaren

Die beste Nachricht zuerst: Die Börsenstrompreise haben das extreme Krisenniveau von 2022 verlassen. Wegen der gesunkenen Gaskosten haben sie sich seit Jahresbeginn mehr als halbiert. Außerdem war die deutsche Stromerzeugung 2023 so sauber wie nie. Erstmals stammt mehr als die Hälfte der Elektrizität aus Wind, Wasser, Photovoltaik und Biomasse. Hohe CO₂-Preise haben im Sommer den Betrieb der Kohlekraftwerke unrentabel gemacht und günstigere Importe aus Ländern angeregt, wo es saisonbedingte Überschüsse gab. Mehr als 50 Prozent der Importe waren grün, etwa Windkraft aus Dänemark.

„Die Stromerzeugung aus Braunkohle ist 2023 auf dem Niveau von 1965“, erklärt Bruno Burger. Der Wissenschaftler registriert für seine Datenbank Energy-Charts stundenaktuell die Erzeugung jedes deutschen Kraftwerks. Gleichzeitig gab es Rekorde bei der Grünstromerzeugung: „Wir haben 2023 so viel Windstrom erzeugt wie noch nie, und beim Solarstrom ist es voraussichtlich auch so.“ Dazu hat neben günstigem Wetter auch der rasante Ausbau von Windkraft und Photovoltaik beigetragen.

Photovoltaik (PV): Deutschland übertrifft 2023 die Ziele

Deutschland hat seine Ausbauziele klar übertroffen: „Beim Ausbau der Solarkraft liegen wir über dem Plan. Wir wollten dieses Jahr neun Gigawatt zubauen – und wir hatten schon im Oktober fast zwölf“, erklärt Burger. „Wir haben heute fast 20 Prozent mehr PV-Leistung als 2022“, so der Wissenschaftler.

Gut die Hälfte haben Privatleute geleistet. Über eine Million Anlagen zur Strom- und Wärmegewinnung haben sie 2023 installiert. Auch große Freiflächen-PV hätten deutlich zugenommen, weil sie schneller zu realisieren seien als Windräder. PV-Anlagen liefern zwar nicht immer Strom, dafür aber günstig, erklärt Christoph Kost, der am ISE die Abteilung für Energiewirtschaft leitet: „Der Strom aus einer großen Freiflächen-PV-Anlage kostet heute durchschnittlich sechs Cent, in besonders guten Lagen sogar nur drei bis vier Cent.“ Noch vor zehn Jahren waren Solaranlagen gut zehnmal so teuer.

Windkraft deckt teilweise schon 70 Prozent des Strombedarfs

Während der aktuell windreichen Wochen deckt Windkraft allein teilweise rund 70 Prozent des deutschen Strombedarfs, an mehreren Tagen lag der Kohleanteil im deutschen Mix unter zehn Prozent. Wegen der starken Winde ist die Bundesrepublik in diesen Wochen wieder klar Nettoexporteur. Auch aufs Jahr gesehen hat Windkraft die Kohle als wichtigste deutsche Stromquelle abgelöst.

Dennoch läuft der Ausbau nicht optimal: Statt vier Gigawatt erwartet Bruno Burger für 2023 nur 3,3: „Die Gründe liegen vor allem in der Vergangenheit, wo Gesetze wie die 10-H-Regel den Ausbau gebremst haben.“ Das ziehe sich: „Windräder haben Genehmigungszeiten von mehreren Jahren, Robert Habecks Osterpaket ist keine zwei Jahre alt. Davon können wir noch nicht viel spüren, das wird aber wahrscheinlich noch kommen.“

Nach wie vor gibt es Verbesserungsbedarf: „Aktuell ist es zum einen schwer, Flächen zu bekommen, zum anderen ist der bürokratische Aufwand unnötig hoch. Allein für den Transport eines Windrad-Flügels müssen die Betriebe mehrere Anträge einreichen.“

Besonders die Windkraft auf See hinke hinterher: „Bei den Offshore-Anlagen sieht es ganz schlecht aus: Die Anlagen müssen ausgeschrieben werden – aber 2019 und 2020 gab es unter Wirtschaftsminister Peter Altmaier erst gar keine Ausschreibungen.“ Das sei noch lange zu spüren: „Eine Offshore-Anlage wird vier bis fünf Jahre gebaut, in der Zwischenzeit passiert nichts. Deshalb werden wir unsere Ziele für Offshore auch in den kommenden Jahren nicht schaffen“, so Bruno Burger. 2023 gingen magere 315 Megawatt ans Netz.

Neues Tempo bei der Windkraft nötig

Das neue Tempo beim Ausbau sei dringend nötig: „Das neue Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren ist dringend nötig, weil der Strombedarf jahrelang unterschätzt wurde.“ Dafür seien falsche Annahmen der unionsgeführten Vorgängerregierungen verantwortlich: „Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist davon ausgegangen, dass der Strombedarf bis 2030 nicht steigen wird, obwohl wir dann elektrisch heizen, Auto fahren, und so weiter. Das war natürlich eine Lüge“ kritisiert Bruno Burger. „Mehrere Institute, auch das ISE, und Verbände haben das bemängelt. Deswegen wurden zehn Jahre lang die Stromnetze vollkommen unterdimensioniert geplant und müssen jetzt im Eiltempo nachgerüstet werden.“ Dazu gehören auch die Gleichstromleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland.

Schwertransport von Windflügel im Schwarzwald
Deutschland läuft in diesen Wochen größtenteils mit Windstrom - dennoch blockiert immer noch viel Bürokratie den Ausbau. © Philipp von Ditfurth

Windkraft an Land ist die günstigere Variante: „Je nach Lage liegen die Preise zwischen sechs und acht Cent“, erklärt Christoph Kost. Damit seien auch in den südlichen Bundesländern wettbewerbsfähige Preise möglich.

„Offshore-Strom kann man zwischen sieben und zehn Cent erzeugen“, so Christoph Kost. „Windkraft auf See erzeugt aber an deutlich mehr Stunden Strom und konkurriert deshalb öfter mit teureren fossilen Kraftwerken.“ Das senkt die Strompreise.

Denn die Kosten der Anlagen haben sich laut Christoph Kost binnen zehn Jahren halbiert. Das macht sie für Investoren attraktiv: Statt eine Förderung zu bezahlen, versteigerte die Bundesnetzagentur für 12,5 Milliarden Euro im Juli erstmals das Recht, Windparks mit sieben Gigawatt Leistung vor den deutschen Küsten zu planen. Die Erlöse aus der Auktion werden laut Behörde ab der Fertigstellung 2030 genutzt, um die Stromkosten zu senken.

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